Bayu Aji und sein Königreich der Tiere
Bayu Aji und sein Königreich der Tiere

Bayu Aji und sein Königreich der Tiere

Herlambang Bayu Aji ist wohl der einzige Künstler in Berlin, der sich so umfangreich und ausführlich mit dem javanischen Schattenpuppentheater befasst. Deshalb ist die Ausstellung seiner Schattenpuppen im Projektraum art.endart in Weddig eine Rarität: außergewöhnlich und unbedingt zum Besuch empfohlen.

Von Urszula Usakowska-Wolff

Positive Energie, Humor, gute Laune und ein Lachen, das ansteckend wirkt: Herlambang Bayu Aji hat ein Naturell, das auf Anhieb begeistert und Sympathie weckt. Der mit vielen Talenten gesegnete Künstler von der Insel Java, seit fünf Jahren auch er ein Berliner, ist Regisseur, Dramaturg, Schauspieler, Sprecher und Musiker in einer Person. Seine Bühne sowie ein kleines Orchester, das es sich auf dem Parkett gemütlich gemacht hat und die Trommeln zum Klingen bringt, befinden sich hinter einer weißen Leinwand, wo Bayu Aji die selbstgemachten Puppen agieren lässt. Die Silhouetten der Puppen fallen auf die Leinwand, auf der er eine zeitgenössische Interpretation des alten indonesischen Schattentheaters Wayang bietet. Zugleich schlagen seine Aufführungen eine Brücke zwischen der alten und der neuen Heimat, zwischen Indonesien und Deutschland. Der Künstler greift häufig Motive aus den Märchen von Wilhelm Hauff und der Gebrüder Grimm auf, um zu zeigen, dass die Welt auch heute nicht besser geworden ist, dass die Herrscher ihre Macht missbrauchen, die Menschen einschüchtern, ausbeuten, sich auf ihre Kosten bereichern. »Meine Intention ist es, Geschichten zu erzählen, die mit unserer Situation etwas zu tun haben«, sagt Bayu Aji.

Herlambang Bayu Aji. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Herlambang Bayu Aji. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Faszinierende alte Technik

Herlambang Bayu Aji wurde vor 33 Jahren in Surakarta, auch Solo genannt, einer Großstadt in Zentral-Java geboren. Seine Eltern starben früh, der Vater 1995, die Mutter 2005. »Meine Mutter verkaufte Essen in einem Zelt auf der Straße, mein Vater war Busfahrer. Ich habe neun Geschwister, acht Schwestern und einen Bruder. Ich war der erste in meiner Familie, der studiert hatte. Ich wusste, dass meine Mutter mir kein Geld geben konnte, sie gab mir aber ihren Segen. Ich habe 2001 das Studium der Malerei an der Akademie der Künste in Solo begonnen und es 2007 beendet. Um die Studiengebühren und das Material zu bezahlen, habe ich mit Schreibwaren gehandelt. Im Herbst 2005 hatte ich die Idee, Schattenpuppen zu machen. Diese alte Technik hat mich so fasziniert, dass ich jeden Morgen nach dem Aufstehen nur einen Kaffee trank, dann den ganzen Tag oder mehrere Tage nacheinander die Puppen aufs Papier gezeichnet, sie dann ausgeschnitten und beidseitig mit Acrylfarben und Tusche bemalt habe.« Auf Java heißt sowohl das traditionelle Schattenpuppentheater als auch die Figuren, die darin zum Einsatz kommen Wayang. Bayu Aji knüpft an diese alte Tradition an, wenn es um die Form und das Material geht. »Ich benutze eine Leinwand, ich benutze eine Lampe, die aber keine Öllampe ist«, sagt der Künstler. »Die von mir gefertigten Puppen sehen aber anders aus als die alten. Und sie erzählten Geschichten, die immer mit einem Bauernhof verbunden sind.« Deshalb nennt er sein Schattenpuppentheater »Wayang Rajakaya«. Das zweite Wort ist ein Homonym mit doppelter Bedeutung: Königreich und Tiere, wobei die Tiere, wie in Märchen und Fabeln oft der Fall, Menschen, ihre Eigenarten und Abarten, ihre guten und schlechten Eigenschaften symbolisieren.

Herlambang Bayu Aji, Puppen aus Wayang Rajakaya. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Herlambang Bayu Aji, Puppen aus Wayang Rajakaya. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Hauptfigur Kuh

Da liegt es nahe, dass dem indonesischen Künstler George Orwells »Farm der Tiere« als Inspirationsquelle diente. »Diesen Roman habe ich viel später gelesen«, erklärt Bayu Aji. »Die Hauptfigur bei Orwell ist ein Schwein, bei mir eine Kuh. Schon als ich in Solo Malerei studierte, habe ich oft Kühe gemalt. Die Kuh ist für mich wie Indonesien, kräftig, nahrhaft, geduldig, ein Organismus mit einem großen Potential, das nicht richtig genutzt wird. Wir haben Bodenschätze, Minen, schöne Landschaften, unendlich viel Sonne und Energie, warum sind wir trotzdem arm? Wir wollen oder können diese Reichtümer nicht selbst managen, weil die Regierung korrupt ist. Sie lässt die Regenwälder abbrennen, um Ölpalmen anzubauen. Sie verkauft Naturschutzgebiete an Unternehmer. Aktivisten und Journalisten, die das publik machen, verschwinden für immer. Politik und Gesellschaftskritik spielen in meinen Geschichten immer eine Rolle. Ich versuche, sie so zu gestalten und so zu erzählen, dass sie für alle, unabhängig von Alter und Wissen über Indonesien, verständlich sind. »Bayu Ajis »Schattentheater aus dem Königreich der Tiere« ist eine ernste Angelegenheit, die sich auf humorvolle, kabarettistische und unterhaltsame Art mit politischen und gesellschaftlichen Problemen seines Landes, mit der Zerstörung von Natur und Kultur, also mit Themen, die leider global sind, auseinandersetzt.

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Ein raumgreifender Comic

Bisher hat der Künstler zweihundert Puppen aus Wasserbüffelleder, Papier und Bambus geschaffen, ein Teil davon wird jetzt in der Ausstellung »Wayang Rajakaya« im Projektraum art.endart in der Drontheimer Straße in Berlin-Wedding präsentiert. Des Meisters Hand verwandelt die Galerie in ein Märchenland, bevölkert mit freundlichen oder furchterregenden Monstern und Tieren, die wie Menschen handeln. Sie sind gut oder böse, manchmal beides, schlau, hilfsbereit, stur, hinterhältig, hilfsbereit oder eigennützig: Schweine, Eichhörnchen, Drachen, Ziegen, Antilopen, Büffel, Elefanten, Hasen, Mäuse. Trotz ihrer nicht immer positiven Eigenschaften sehen alle Figuren prächtig aus. Die meisten sind bunt, wirken filigran, auch wenn sie eine beachtliche Größe erreichen. Wie ein raumgreifender Comic hängen sie einzeln oder in Gruppen in den Fenstern und an den Wänden. Für die aufwändigsten, kostbarsten und beständigsten Puppen verwendet Bayu Aji Wasserbüffelleder. Er zeichnet Vorlagen und lässt sie in Solo von Handwerkern schneiden. Das Pergament aus Wasserbüffelleder ist der Stoff, aus dem traditionelle javanische Schattenpuppen sind. »Seine Herstellung ist ein langer und komplizierter Prozess, denn das Leder muss drei Tage im Wasser liegen, um weich zu werden, und danach zwei Wochen lang in der Sonne trocknen«, sagt der Künstler. »Deshalb kann ich solche Puppen nicht selbst und nicht in Deutschland machen lassen, weil es hier dieses Pergament nicht zu kaufen gibt.«

Herlambang Bayu Aji, Puppen aus Wayang Rajakaya. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Herlambang Bayu Aji, Puppen aus Wayang Rajakaya. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Ein kreatives Team

Gleich nach dem Beginn des Studiums der Malerei in Solo organisierte Bayu Aji eine internationale Jugendkonferenz, zu der auch viele Leute aus Deutschland kamen. Seit 2010 lebt er zusammen mit seiner Frau Camilla Kussl aus Überlingen in Berlin. Sie studiert Kunstgeschichte an der HU, er im Institut für Kunst im Kontext an der UdK, wo er am 8. Februar seine Masterarbeit präsentieren wird. Es heißt »Jamakakarta – das Land der Affen« und ist ein »partizipatives Projekt«, entstanden unter Herlambang Bayu Ajis künstlerischer Leitung in Zusammenarbeit mit Watch Indonesia! E.V. Der Titel dieses Schattentheaters ist ein schönes Wortspiel: Jakarta und Makak. Das Stück, welches in Märchenform über politische Machenschaften in Indonesien erzählt, wurde 2014 im Theaterhaus Berlin-Mitte aufgeführt und war ein großer Publikumserfolg. Eine Dokumentation dieser politisch-künstlerischen Aktion ist in der Ausstellung »Wayang Rajakaya« ebenfalls zu sehen. »Die meisten meiner Theaterstücke und auch das Begleitbuch zum >Land der Affen< habe ich auf Deutsch geschrieben«, sagt der Künstler. »Deutsch ist sehr schwer, die Aussprache, die Grammatik, vor allem die Deklination. Früher habe ich etwas Englisch gesprochen, heute ist mein Englisch genauso schlecht wie mein Deutsch«, lacht Bayu Aji. Sein Englisch kann ich nicht beurteilen, aber Deutsch beherrscht er fast perfekt, wenn man bedenkt, dass er es erst als Erwachsener gelernt hat. Bei der Korrektur seiner Texte hilft ihm Camilla. Das Ehepaar ist ein kreatives Team. In größeren Schattenspielen, die manchmal eine Stunde dauern, leiht seine Frau den Puppen ihre Stimme, sie singt und trommelt.

Schattenpuppenspiel von Herlambang Bayu Aji. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Schattenpuppenspiel von Herlambang Bayu Aji. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Herlambang Bayu Aji ist wohl der einzige Künstler in Berlin, der sich so umfangreich und ausführlich mit dem javanischen Schattenpuppentheater befasst. Wer es bisher nicht geschafft hat, sein »Wayang Rajakaya«, zu besuchen, sollte sich bald auf den Weg zum Projektraum art.endart machen. »Das Königreich der Tiere« schließt seine Tore mit einem großen Finale: der Aufführung eines Schattenpuppentheaters, an dem sich ein perfekt eingespieltes Team unter der Leitung des Meisters aus Solo beteiligt.


Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff, VG Wort, VG Bild-Kunst
Erschienen im strassen|feger 2/2016


Herlambang Bayu Aji
»Wayang Rajakaya«
Schattenpuppen-Ausstellung

Noch bis zum 7. Januar

Projektraum art.endart
Drontheimer Straße 22/23
13359 Berlin

Schattenpuppentheater für Erwachsene
am 6. Februar um 19 Uhr
mit Herlambang Bayu Aji, Camilla Kussl und Laleh Torabi