Nach dem Abitur und einer Ausbildung zur Biologielaborantin studierte die 1958 in Berlin geborene Ellen Fuhr an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Die Malerin und Grafikerin lebt in Pankow und auf Hiddensee.
Interview & Fotos: Urszula Usakowska-Wolff
Urszula Usakowska-Wolff: Wann entstand bei Dir der Wunsch, Malerin zu werden? Warum hast Du Dich gerade für Malerei entschieden und nicht für eine andere künstlerische Disziplin?
Ellen Fuhr: Ich habe seit allerfrühesten Kindheit gezeichnet. Ich glaube, da war eine gewisse Sprachlosigkeit als Kind oder eine gewisse Veranlagung, dass ich über Bilder mit der Umwelt kommuniziert habe. Natürlich habe ich auch gesprochen, aber bei den Bildern hatte ich das Gefühl, dass man mich versteht. Aus den Reaktionen der Erwachsenen entnahm ich, dass ich mein Medium gefunden hatte. Tanz, Schriftstellerei oder Schauspielerei kamen für mich nicht infrage. Es war diese stille, zurückgezogene Kunst der Malerei allein im Atelier, die zu meinem Charakter am besten passte.
Gab es in Deiner Familie Künstler?
Nee (lacht), nur Physiker: Mein Großvater Gustav Hertz war Physiker und Nobelpreisträger. Sein Onkel war Heinrich Hertz, der leider mit 37 Jahren an einem vereiterten Zahn gestorben war. Mein Bruder ist Physiker und mein Mann ist Biophysiker.
Du hast Dein ganzes Leben, außer der Studienzeit in Dresden, in Berlin verbracht. Berlin taucht auf Deinen Bildern immer wieder auf. Du hast die Stadt vor und nach der Wende gemalt und malst sie auch heute. Was bedeutet Berlin für Dich?
Diese Stadt war für mich immer etwas Symbolisches, eine Sprache, eine Metapher. In der DDR war Berlin auch eine Projektionsfläche für Romantik. West-Berlin war so ein Sehnsuchtsziel, wo man nicht hinkam. Ich habe in Dresden studiert, weil die Auswahl in der kleinen DDR nicht groß war. Aber die damalige Zeit war nicht besonders spannend, weder in Dresden noch in Berlin. Es passierte nichts, man hat sich verkrochen, man hat seine Künstlerfreundschaften gepflegt, ich habe damals Kette geraucht, man hat sehr viel getrunken, man hat sehr viel gejammert, in Dresden war es noch schlimmer als in Berlin. Die Stadt war ja viel kleiner, man traf sich jeden Abend, da war schon eine sehr starke Selbstbemitleidung. Das war dann in Berlin nicht mehr so. Es gab im Prenzlauer Berg, wo ich nach dem Studium in Dresden gelandet bin, damals noch eine sehr romantische und melancholische Grundstimmung, das war das Lebensgefühl dort. Hinzu kommt, dass die Szene recht überschaubar war. Es gab ja nur viertausend bildende Künstler in der DDR. Wir kannten uns alle untereinander. Das hatte etwas von einer Schrebergartenkolonie.
Wie empfanden sich die bildenden Künstler damals in Ost-Berlin: als Subkultur oder Elite?
Ich glaube, sie waren beides. Ich kann aber nur von den 1980er Jahren sprechen, als es schon eine relative Freiheit gab und die Beschränkungen der künstlerischen Ausdrucksweise nicht mehr so groß waren. Ich habe in den 1980er Jahren nur zweimal einen offiziellen Grafikauftrag annehmen müssen, ansonsten habe ich von den Privatverkäufen von Grafik an Ärzte und Sammler über den staatlichen Kunsthandel gut leben können. Es gab jedes Jahr eine jurierte Ausstellung unter dem Titel »100 ausgewählte Grafiken«, und ich war jedes Jahr dabei, man verdiente sehr gut, denn man hat die ganze Auflage landauf, landab verkauft. Eine Radierung kostete, weiß ich noch, 120 Ostmark, die Radierungen waren alle immer weg. Nach der Wende hat sich kein Mensch für Druckgrafik interessiert – und ich habe bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Radierungen gemacht.
Als wir uns 1994 kennen lernten, wolltest Du die Kunst ganz aufgeben.
Das hing nicht nur damit zusammen, dass ich keine Radierungen mehr machen konnte, weil sie niemand kaufen wollte. Als die Mauer fiel und die ersten Kunstwissenschaftler von drüben ins Atelier kamen, da hatte man damit zu tun, sein Selbstwertgefühl halbwegs noch aufrecht zu erhalten. Damals war alles Figürliche verpönt. Und ich habe ganz bewusst gesagt, ich bleibe beim Viereck, beim klassischen, traditionellen Bild, ich werde keine Experimente machen, ich werde keine Collagen machen, ich werde auch nicht in den Raum gehen. Ich male mit Öl oder Acryl auf Leinwand und mit Acryl und Tusche auf Papier.
Zum Glück bist Du der Kunst treu geblieben – und Glück ist neben Berlin, dem Meer und den Porträts von Menschen, die Dir nahe stehen, darunter Schriftsteller wie Franz Kafka und Vladimir Nabokov, eines der Themen Deiner Gemälde, Zeichnungen und Lithografien. Warum interessierst Du Dich gerade dafür?
Die vier Themen hängen ja im Prinzip miteinander zusammen. Die Stadt ist genauso eine Metapher oder ein Symbolthema wie das Glück. Das Glück, was ich in meinem Leben oft gemerkt habe, hängt vom Zufall ab, doch aus rein wissenschaftlicher und philosophischer Sicht gibt es ja keine Zufälle… Was ist die Ursache ist das Leben ein Zufall, was ist Schicksal? Das sind Fragen, die mich beschäftigen. Außerdem bin ich eine, die auch vom Literarischen oder von einem narrativen Ausgangspunkt ausgeht. Ich begreife das Bild nicht nur als Form, ich brauche, ganz platt gesagt, eine Art von Restinhalt. Porträts habe ich immer gern gemacht, auch als Auftragsarbeiten. Und eine menschenleere Landschaft ist mir zu langweilig. Ich finde es schön, wenn da Gestalten oder Köpfe sind. Am meisten macht mir Spaß, wenn ich entweder einen Kopf nehme, der aus meinem Umfeld ist, den meines Mannes, den einer meiner beiden Töchter oder eben der Leute, die mir bedeutsam, interessant erscheinen oder vergessen wurden und mir einfach fehlen.
Wer fehlt Dir denn?
Das sind vorwiegend jüdische Künstler, die auch auf Hiddensee gemalt haben. Meine neuesten Bilder zum Thema »Menschen am Meer« sind eine Hommage an Käthe Loewenthal und Julo Levin. Käthe Loewenthal wurde 1942 (im Durchgangslager Izbica, Anm. d. R.), Julo Levin 1943 im KZ Auschwitz ermordet und de facto vergessen. Warum musste das so kommen? Warum musste das gerade in Deutschland so kommen? Ich denke über Sachen nach, von denen ich erfahre, die ich erlebe, die ich sehe, die mir auffallen. Es sind Selbstgespräche, die, wie fast bei jedem Künstler, zu Bildern werden. Wenn man Glück hat, gibt es Betrachter, die davon auch was haben und mehr als einmal darauf gucken. Und sich etwas dabei denken.
Welchen narrativen Ausgangspunkt haben die Akkordeon-Spieler, die man auf Deinen neueren Berlin-Bildern sieht?
Sie sind auch eine Art Metapher. Ich sehe oft junge Leute mit Kopfhörern, die um einen Mann, der Akkordeon spielt, herumrennen. Ich zeige den konstruierten Gegensatz zwischen dem analogen Musikmachen und dem digitalen Musikhören, was ich allerdings ohne Absicht einer Weltverbesserung oder ohne einen erhobenen Zeigefinger mache. Manches, was so passiert, finde ich einfach komisch.
Kannst Du Dir ein Leben ohne Malen vorstellen?
Nein! Ich bin glücklich, dass ich malen kann. Das ist ja die Rettung.
Die Rettung wovor?
Es gibt ein Bild von einem meiner Lieblingsmaler, Oskar Manigk, worauf er geschrieben hat: »Die Kunst rettet uns vor dem Leben.« Das ist wahr, denn beim Malen ist man bei sich und hat mit dem Rest der Welt nichts zu tun. Das ist sehr kontemplativ. Irgendwie ist das Malen eine Art Meditation.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 13/2015
»Glücksfall«
Ellen Fuhr. Arbeiten auf Papier
Noch bis zum 6. September
Helios Galerie
Schwanebecker Chausee 50
13125 Berlin
Eintritt frei