Die Gemäldegalerie am Kulturforum Berlin zeigt eine überraschende Ausstellung, in der Albrecht Dürer, Wegbereiter der deutschen Renaissance, und William Kentridge aus Südafrika als Künstler, die der Druckgrafik zum Durchbruch oder zum neuen Aufbruch verholfen haben, gewürdigt werden.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Albrecht Dürer und William Kentridge: zwei Künstler, die zeitlich und inhaltlich weit voneinander entfernt sind. Und doch hängen jetzt ihre 110 Druckgrafiken nebeneinander in sieben Räumen der Gemäldegalerie, denn Kunst kennt keine geografischen oder zeitlichen Grenzen. Die Schau »Double Vision« ist das Ergebnis des Transferprojekts der Forschergruppe »BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik« der Freien Universität Berlin, welche in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin »die relationalen Bedeutungsgefüge von Exponaten und ihrer Präsentation in Museen und Ausstellungen« erforscht, mit dem Ziel, »aus kunsthistorischer Perspektive einen grundlegenden Beitrag zur Ausstellungstheorie zu leisten.« Die Wahl fiel auf diese beiden Künstler wegen der von ihnen »in besonderem Maße reflektierten grafischen Ästhetik des Schwarz-Weiß.«
Sehen im Stehen oder im Liegen
Ob diese Schau »einen grundlegenden Beitrag zur Ausstellungstheorie« leistet, sei dahingestellt. Sie ist auf jeden Fall recht übersichtlich, nicht überladen und zeichnet sich durch eine offene Architektur aus. Manche Exponate kann man im Sitzen oder sogar im Liegen betrachten. Dazu lädt eine reichlich mit Kissen bestückte Matratze ein. Einige Bücher und Blätter und ein Monitor sind in Vitrinen untergebracht. Es gibt einen Tisch mit vielen Stühlen, sodass man ganz entspannt im schwergewichtigen Katalog schmökern kann. Die Ausstellung bietet also genügend Möglichkeiten, die Kunst aus allen Blickwinkeln und Positionen anzuschauen. Und weil Grafik eine Kunst ist, deren inhaltlicher und handwerklicher Reichtum sich selten auf den ersten Blick offenbaren, ist »Double Vision« nichts für Eilige. Wenn Werke zweier Meister, die ein halbes Jahrtausend trennt, zur Schau gestellt werden, sollte man sich beim Begehen, Sehen, Wahrnehmen, Verstehen und Reflektieren dessen, was sie geschaffen haben, viel Zeit lassen. Da es in der Ausstellung keine erklärenden Wandtexte gibt, kann man sich ganz auf die Papierarbeiten konzentrieren und sie in aller Ruhe genießen.
Schwarz-Weiß im alten und neuen Glanz
Was verbindet den Nürnberger Albrecht Dürer (1471 – 1528), Wegbereiter der deutschen Renaissance, mit dem 1955 in Johannesburg geborenen William Kentridge? Das ist vor allem ihre Beschäftigung mit der Druckgrafik in Schwarz-Weiß und den vielen Tönen dazwischen. Albrecht Dürer etablierte den Holzschnitt und den Kupferstich als eigenständige Kunstgattung, er erkannte auch als einer der Ersten, welche Möglichkeiten die Reproduzierbarkeit der neuen Drucktechniken bietet. Er gründete seinen eigenen Verlag, in dem er seine Werke druckte, an die Buchhandlungen verkaufte oder sie mithilfe von Agenten vermarktete, was ihm eine materielle Unabhängigkeit bescherte und ihn europaweit bekannt machte. William Kentridge verhilft diesem alten Genre, das heute häufig als antiquiert und überholt gilt, zum neuen Glanz und bringt es auf Trab. Neben statischen fertigt er auch bewegte Bilder, also Animationsfilme, die wie ein Daumenkino wirken. Rassentrennung, Apartheid und ihr Ende sowie die zunehmende Brutalität der heutigen südafrikanischen Gesellschaft sind Themen, die sich durch William Kentrigdes schwarz-weißes multimediales Werk wie ein roter Faden ziehen. Dabei lässt er sich häufig von europäischer Literatur, von Alfred Jarry, Franz Kafka oder Italo Calvino inspirieren und stellt die literarischen Helden und Antihelden der Moderne in einen südafrikanischen Kontext. Seine Filme und Druckgrafikserien bestehen aus einer Flut von Szenen, aus denen sich ständig etwas Neues entwickelt.
Die Macht des Papiers
»Double Vision« ist ein gelungenes Beispiel der Komparatistik. Sie zeigt, dass durch die Kunstgeschichte Motive und Themen wandern, dass sie von neuen Künstlergenerationen aufgegriffen, angeeignet, verfremdet, variiert oder neu interpretiert werden. Der Fundus, aus dem die Kunst sich bedient, ist Mythologie, Religion, Literatur, Fantasie, Geschichte und Gegenwart. Auch wenn die Künstler, wie Albrecht Dürer, oft ihrer Zeit voraus sind, geben sie ihre Zeit wieder. Er war ein illustrer Vertreter seiner Epoche, nämlich des Humanismus, und seine Druckgrafik spiegelt das wieder: das Interesse an der Antike, die Lust am nackten Körper, die Begeisterung für Naturwissenschaft, für Denker und Forscher sowie die Verweltlichung der Heiligendarstellungen, die auf Dürers Bildern wie »gewöhnliche« Menschen aussehen. Nur »Melencolia I« (1514) scheint nicht von dieser Welt zu sein und fordert immer wieder zum Grübeln und Rätseln auf. Ein ganz besonderes Werk, das der Inszenierung der weltlichen Macht dienen sollte, ist »Die Ehrenpforte Kaiser Maximilian I.«, von Dürer zwischen 1515 – 1518 geschaffen, sozusagen ein Denkmal aus Papier. Sie wurde aber erstmals 1526 gedruckt, also sieben Jahre nach dem Tod des Kaisers. Diese monumentale Arbeit, 195 Druckstöcke auf 36 Großfolienbögen, misst circa 357 x 309 cm und ist somit der größte Holzschnitt in der europäischen Kunstgeschichte. Für die Schau » Double Vision« wurde »Die Ehrenpforte« neu gerahmt. Das Pendant dazu ist die halb so große Lithographie (196 x 180 cm) mit einem Baum inmitten einer Landschaft. Diese Grafik von William Kentridge heißt »Remembering the Treason Trial« (2013) und bezieht sich auf den Gerichtsprozess, der 1956 begann und 1961 mit dem Freispruch der mehr als 150 Südafrikaner, die des Landesverrats beschuldigt wurden, endete. Der Künstler, dessen Eltern Verteidiger der Angeklagten waren, rechnet auf diesem Bild mit der Apartheid ab, die jedoch keineswegs vergessen und immer wieder in Erinnerung gebracht werden muss, denn der Boden, auf dem Menschenverachtung und Rassenhass gedeihen, ist noch immer fruchtbar.
Das Rhinozeros und die Rhinos
Manchmal sind Künstler Magier, denn sie bilden etwas ab, was sie vorher nie gesehen haben. Das Rhinozeros kannte Albrecht Dürer nur vom Hörensagen und trotzdem zeichnete er es 1515. Bis ins 18. Jahrhundert war das auf seinem Holzschnitt fast naturgetreu dargestellte Nashorn der Inbegriff des Panzernashorns, von Zeitgenossen und nachfolgenden Künstlergenerationen oft kopiert, nie erreicht. Das Motiv des Nashorns greift auch William Kentridge oft auf. Er zeigt es auf seine Art, nicht so detailliert ausgearbeitet, eher beiläufig skizziert, auf das Wesentliche reduziert. Seine »Rhinos« sind einerseits eine Referenz an Dürer, anderseits wohl auch an das absurde Theaterstück »Rhinocéros« (Die Nashörner, 1959) von Eugène Ionesco. Doch während sich beim französischen Dramatiker die Menschen in Nashörner verwandeln, verwandeln sich beim südafrikanischen Künstler die Nashörner in Haustiere und werden wie Hunde oder Katzen in Wohnungen gehalten. Die Kunst ist wandelbar und unterliegt einer ständigen Transformation. Die Künstler greifen Themen auf, die in ihrer Zeit oder in allen Zeiten von Bedeutung sind. Eins ist jedoch unveränderbar: Ohne Handwerk gibt es kein Kunstwerk, denn Kunst kommt von Können. »Was ganz leicht ist, kann auch nicht sehr kunstreich sein. Was aber kunstreich ist, das will Fleiß, Mühe und Arbeit haben«, meinte Albrecht Dürer. Kunst gelingt am besten und trotzt Moden und Zeiten, wenn Technik und Inhalt eine Einheit bilden. Dann ist das Können perfekt. Dass sich Dürer und Kentridge, zwei unbestrittene Kunstgrößen und Könner, in Berlin eine Ausstellung teilen, ist ein Glücksfall.
Text & Fotos: Urszula Usakowska-Wolff, VG Wort, VG Bild-Kunst
Erschienen im strassen|feger 25/2015
Double Vision: Albrecht Dürer & William Kentridge
Noch bis zum 6. März 2016
Kupferstichkabinett
Kulturforum
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
Öffnungszeiten
Di – Fr 10:00 – 18:00 Uhr
Do 10:00 – 20:00 Uhr
Sa – So 11:00 – 18:00 Uhr
Eintrittspreise
Ausstellung: 8 / 4 Euro
Bereichskarte Kulturforum:16 / 8 Euro