Es ist ein einzigartiges Kunstuniversum, das Andrzej Koston seit über 20 Jahren mit unverkennbaren Figuren bevölkert: seltsam anmutenden Männern, Frauen, Kindern, Tieren und Mischwesen, die sowohl menschliche, animalische Züge, als auch solche von Gegenständen haben. Ein Weißbartaffe, dem der Künstler einen roten Pelzmantel samt Kapuze und somit eine königliche Attitüde verpasst, scheint über sein ungewohntes Konterfei zu staunen. In einer edlen Robe und einer barocken Halskrause steckt eine Kugel – mit einem schwarzen Loch statt Auge. Dieser Kopf-Nicht-Kopf trägt darüber hinaus eine Art Birett und auf dem Revers eine rosarote Schleife. Eine andere Kugel, die einem seltsam verrenkten Kopf ähnelt, liegt im Bett. Aus der blauen Bettdecke lugen Fersen hervor, auch sie in einer äußerst unbequemen Position. Ein Mann umarmt einen gleichgroßen Vogel, während sie beide auf einen schwarzen Punkt am dunklen Himmel blicken. Ein anderer Mann, der sich als Superman verkleidet hat, hält Filzlatschen in den Händen. Kein Kostüm kann verbergen, dass er in Wirklichkeit ein Pantoffelheld ist. Und ein Affe, der in Hamlets Rolle schlüpft, hebt gleich zwei Totenschädel des Hofnarren Yorick wie Trophäen empor. Der Bildtitel lautet: Die Gesetze der Gewinner.
Sein ist besser als Nichtsein
Rätselhaft, unheimlich, absurd und clownesk sind die Bilder, die Andrzej Koston malt. Sie entziehen sich einer eindeutigen Interpretation, obwohl das, was sie darstellen, vertraut und déjà vu wirkt. Es ist ein Panoptikum, ein Ölfigurenkabinett, in dem die Grenzen zwischen Traum und Albtraum, Realität und Fantasie, Tragik und Komik zerfließen. Es entsteht der Eindruck, dem Künstler geht es darum zu veranschaulichen, dass auch das lächerlichste Sein besser ist als das Nichtsein. Eine auch für kurze Zeit geliehene fremde Identität, und zwar die der Helden der Massenkultur, sublimiert die Trostlosigkeit der eigenen Existenz und lässt die körperlichen Makel vergessen. Die irdischen Geschöpfe, in welcher Gestalt auch sie auf die Welt kommen, sind in einem Körper gefangen, den sie ja nicht frei und bewusst wählen können und der selten dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Andrzej Koston hat viel Verständnis für die Unzulänglichkeiten seiner Figuren, er schert sich nicht um ihre Proportionen, zeigt sie entweder als Riesen oder Zwerge, aber unabhängig von der Mickrigkeit oder Überlänge sind sie alle im Leben wohl zu kurz gekommen. Andrzej Kostons Bildvokabular ist übersichtlich. Er malt mit Öl auf Leinwand und benutzt vorwiegend die Elementarfarben Gelb, Rot, Blau und Grün. Da Blau seine Lieblingsfarbe ist, sehen viele seiner Gemälde so aus, als evozierten sie die Blaue Stunde.
Schemen und Schelmen
Andrzej Kostons Figuren sind entweder stark konturiert oder von einem Licht beleuchtet, das aus dem Bildinneren zu kommen scheint. So sind sie auch vor dem dunklen Hintergrund gut erkennbar. Manchmal tauchen sie aus der Finsternis wie Schemen oder Schelmen auf, die sich der Tragikomik des Seins bewusst sind, doch diese unausweichliche Tatsache mit Humor oder sanfter Resignation hinnehmen. Häufig setzt er Tiere ein, um auf menschliche Verhaltensweisen wie etwa die Sensationslust hinzuweisen: Drei hundeähnliche Wesen starren auf ein Objekt, vor dem sich eine Menge versammelt hat. Wovor harren sie so gebannt aus: vor einer explodierenden Atombombe, einer spektakulären Skulptur oder einem Pilzfelsen? Das ist die Frage. Kostons Bilder sind ambivalent, eindeutig ist dagegen die Sympathie und Empathie, die er für seine skurrilen Kreaturen empfindet, für ihre Suche nach Freundschaft und Nähe, Geborgenheit und Akzeptanz. Die von ihm dargestellten Menschen, Tiere und Dinge sind ebenbürtig und gleichwertig, somit plädiert er für ein respektvolles Miteinander aller Subjekte, auch solcher, die erst durch Fantasie zum Leben erweckt werden. Das Seltsame an Andrzej Kostons Bildern ist, dass sie so vertraut wirken, als hätten sie uns schon immer begleitet. Zum einen betrachtet er die Welt mit den Augen eines Kindes und malt sie dementsprechend, zum anderen erinnern viele seiner Gemälde durch die Farbgebung, das innere Licht, die Gestaltung der Sujets und die Benutzung der Vanitas-Symbole wie Kugeln, Dreiecke, leere Gläser, Totenköpfe, Hunde und Affen an bekannte Werke der Kunstgeschichte (Zwei Affen, 1562, von Pieter Bruegel dem Älteren, um 1525/1530–1569, und die Porträts von Diego Velázquez, 1599–1660), während das einäugige Bildnis der Frau im mittleren Alter mit Birett, Halskrause und Schleife vom US-amerikanischen Maler George Condo (* 1957) stammen könnte, dessen Malerei Andrzej, wie er mir sagte, nicht kennt.
Von Oberschlesien über Dortmund nach Berlin
Doch bei den Kugeln, die auf vielen seiner Bilder zu sehen sind, könnte es sich um Planeten, Ballons oder auch um leere Sprechblasen handeln. Das hängt damit zusammen, dass Andrzej Koston seine künstlerische Laufbahn als Cartoonist begann. 1967 in der oberschlesischen Stadt Kędzierzyn-Koźle unweit von Opole (Oppeln) in Polen geboren, zeichnete er bereits als Kind und versah seine Schulbücher mit Figuren, denen er freche Kommentare in den Mund legte. Das machte ihn bei den Lehrern nicht besonders beliebt, brachte ihn aber nicht davon ab, seine künstlerische Begabung weiterzuentwickeln. Doch zuerst erlernte er den Beruf des Schweißers und Schlossers, wanderte 1985, als 18-Jähiger, nach West-Deutschland aus, und lebte längere Zeit in Dortmund. Weil er sich auch als Fotograf betätigte, wollte er Fotografie an der dortigen Fachhochschule studieren, wurde aber nicht angenommen. Er bewarb sich also um ein Filmstudium und war damit erfolgreich. Nach dem Studium arbeitete er unter anderem als Kameramann für den WDR und drehte eigene Filme, darunter viele experimentelle. Parallel dazu wirkte er als Cartoonist und Karikaturist und veröffentlichte seine Arbeiten in führenden deutschen Zeitungen und Magazinen. Gleich am Anfang seines Aufenthalts in Deutschland lernte er Mariola, auch sie eine Spätaussiedlerin aus Oberschlesien, kennen. Sie heirateten 1997, haben zwei Söhne: Pascal und Kamil (die – als Demonstranten gegen die Rodung des Hambacher Forstes – auf dem Bild Waldmenschen verewigt sind) und zogen 2008 nach Berlin. Mariola, die Sozialpädagogik in Dortmund studierte, arbeitet als Erzieherin an einer Berliner Schule und ist darüber hinaus an den Kostonschen Filmproduktionen beteiligt. Ihre Söhne sind Fotografen und Graffitikünstler.
Ironischer Realist
In der Malerei von Andrzej Koston finden sich Erfahrungen, die er als Filmemacher, Fotograf, Illustrator, Cartoonist und Collagist gemacht hat, wieder. Seine Bilder wirken zum einen wie Filmstils, die an der Wand hängen und im Gehen Besehen werden können. Sie sind Momentaufnahmen einer Animation, die vom Publikum in Bewegung gesetzt wird. Zum anderen sind die darauf agierenden Akteure zahlenmäßig so klein und so charakteristisch, dass man sie sich leicht merken kann. Kostons Bilder haben einen hohen Wiedererkennungswert: Auch wenn unbekannt ist, wer sie gemalt hat, wird klar, dass sie aus einer Hand kommen. Sie sind das Werk eines ironischen Realisten, der die Welt und ihre Kreaturen mit einem wohlwollenden Blick begleitet, die Menschen oft zum Schmunzeln und auch zum Nachdenken bringt, indem er ihnen eine subtile Botschaft vermittelt: Guck hin, wir alle sind nicht vollkommen und werden es, trotz aller Anstrengungen, nie sein.
Andrzej Kostons Ausstellung im Projektraum art.endart ist eine rundum gelungene Schau, die einen kleinen Einblick in seine Malerei gibt. Es ist zu hoffen, dass sich der mit vielen Talenten gesegnete Künstler in diesen Räumen bald auch als Fotograf, Cartoonist, Collagist und Komponist präsentieren kann.
Text © Urszula Usakowska-Wolff
Andrzej Koston – Ohne Titel – Malerei
11.09. – 10.10.2021
art.endart >>>
Drontheimer Str. 22/23, 13359 Berlin