Anton Henning ist mit so vielen Talenten gesegnet, dass er damit mehrere Künstler beglücken könnte. Der 1964 in Berlin geborene und im brandenburgischen Manker lebende Zeichner, Maler, Bildhauer, Innenarchitekt und Designer dreht auch Videofilme, komponiert Musik und ist leidenschaftlicher Koch. Er ist einer, den Museumsleute und Kritiker gern Ausnahme- oder Universalkünstler nennen. Seit über 20 Jahren fügt der Autodidakt seine Kunstwerke zu aufwändigen Installationen zusammen, in die er einzelne Galerien- und Museumsräume, aber auch ganze Häuser integriert. Er gestaltet schöne Innenräume als Kulissen und Bühnen für schöne Bilder (Porträts, Stillleben, Landschaften und Akte) und andere gediegene Dinge wie Skulpturen, Lampen, kinetische Objekte, Tische, Sitzmöbel und Teppiche. Die Wände sind auch ein Teil der Inszenierungen, denn ihr Anstrich korrespondiert mit den Farben der Kunstwerke. Jedes Bild hat den passenden Rahmen, und die besonders wertvollen Bilder werden von oben, häufig auch von unten und von der Seite beleuchtet. Das Publikum hat den Eindruck, durch eine öffentliche oder private Sammlung der Moderne zu schlendern. Es sieht schönen Wand- und Raumschmuck in einem anmutig arrangierten Ambiente: ein Vorbild für die Gestaltung des eigenen Domizils.
31 Apotheotische Antiphrasen und eine Oase
Anton Henning betrachtet mit Humor, Sprachwitz und Ironie sein Tun und sein Publikum, wovon auch die Titel seiner Einzelausstellungen zeugen, zum Beispiel Ziemlich schöne Malereien (Kunstmuseum Luzern, 2003), Elf fast makellose Malereien (Galerie Bob van Orsouw, Zürich, 2004), 27 recht gelungene Skulpturen (Arndt & Partner, Berlin, 2005), Oktogon für Herford (MARTa Herford, 2005), 31 Apotheotische Antiphrasen für Haus Esters (Haus Esters, Krefeld, 2005), (…) immer eine gute Linie (Arp Museum, Remagen, 2007), 20 Jahre Dilettantismus (Arndt & Partner, Berlin, 2008), Oase (Georg-Kolbe-Museum; Berlin, 2009) und Gegengift (Haus am Waldsee, Berlin, 2009), 9 hypertroph-kontemplative Ölmalereien und eine sportliche Skulptur (Look, Berlin, 2014) oder Pink Period (Tim van Laere Gallery, Amsterdam, 2019). Das klingt lustig und ist keine Pos(s)e, denn der Künstler ist einer, der sich von Anfang an in Bildern und Worten mit sich selbst, seiner Arbeit, dem Geschmack des Publikums und der Rolle der Kunstwelt ironisch, manchmal spöttisch und subversiv auseinandersetzt.
Ein Ambiente für Wohlfühlmomente
Nach einer langen Pause von acht Jahren sind Anton Hennings unverkennbare Werke wieder in Berlin zu sehen. Seine Ausstellung unter dem Titel Zukunft und Anmut, No. 1 in der Galerie Michael Haas verwandelt ihre Räume in einen bürgerlichen Salon, wo alles Ton in Ton aufeinander abgestimmt ist: Der Wandanstrich greift die Farben der Bilder auf, die Bilder sind diesmal mit einigen wenigen Ausnahmen schlicht gerahmt, die beiden Sofas und der Coachtisch haben klare konstruktivistische Muster, sodass sie vom Wandschmuck nicht ablenken. Es ist ein Ambiente zum Wohlfühlen, etwas überladen, aber ausgewogen, sozusagen eine Wellness-Oase der Kunst. So sieht es in einer gepflegten Museums- oder Privatsammlung aus, wo man auf Gemälde des Kubismus, Surrealismus, Fauvismus, der Action Painting sowie hier und da auf einige recht realistische Darstellungen trifft. Tatsächlich stammt alles, was auf dem Boden und an der Wand, aus Meister Hennings Hand, der auf seine erfrischende Art die großen Namen der älteren und neueren Kunst als Objekte der Begierde und Zierde persifliert – und sie zugleich lustvoll goutiert. Viele der Bilder, von denen fast alle aus der laufenden Produktion stammen, sind Variationen zum Thema Interieur im Interieur: gemalte Innenräume, die stellenweise wie Fenster einen Blick auf gemalte Landschaften, also auf die Außenwelt eröffnen und täuschend echt wirken. Auf zwei Porträts verewigt sich der Künstler als Stehlampe im Zigarettenqualm. Das Gemalte bleibt hoffentlich lange bestehen, während reale künstliche Lichtquellen und Rauch vergehen.
Euphorie und Melancholie
In Hennings Kunst spielt das Antonym (wie seine Retrospektive im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen 2009 hieß) eine große Rolle. Zum einen verweist er damit auf seinen Vornamen Anton, zum anderen mag er wohl deshalb Gegensätze, aus denen bekanntlich das Leben besteht. Sein Œuvre zeichnet sich durch Leichtigkeit und Ernst, Euphorie und Melancholie, Sinnlichkeit und Morbidität aus, obwohl man das in seinen dynamischen und zugleich in sich ruhenden pastellfarbenen Inszenierungen auf den ersten Blick nicht zu erkennen vermag. Und darüber hinaus ist er auch ein ganz besonderer Kunstsammler, der sich Künstler aneignet, die er bewundert und deren Werke er gern besessen hätte. Er bildet sie auf seine Weise nach und schafft Gemälde und Plastiken mit einem hohen Wiedererkennungswert. Das gebildete Publikum freut sich, Ähnlichkeiten mit den Arbeiten von Matisse, Magritte, Picabia, Dali, Pollock, Condo oder sogar mit Niki de Saint Phalle zu entdecken. Mit Künstlern also, die einen festen Platz in der Kunstgeschichte haben und die eine anspruchsvolle Sammlung einfach besitzen muss, obwohl sie keinen anderen Zweck erfüllen, als schön (oder begehrenswert) zu sein, den Neid derer, die sie sich nicht leisten können, zu erwecken, vielleicht nur das Auge zu erfreuen, wenn man denn schon ein Auge dafür hat.
Ein dankbarer, die Linie liebender Maler
Anton Henning verewigt sich gern auf seinen Bildern und Objekten – mal als Leuchte, mal abstrakt, häufig mit einer Zigarette – weil er ja dieses Kunstuniversum geschaffen hat. Auffallend in seiner Soloschau Zukunft und Anmut, No. 1 in der Galerie Michael Haas ist die Wanderung der Motive, welche durch alle Gemälde ziehen, mal pastos, mal altmeisterlich gemalt: Linien mit unterschiedlicher Dicke, kleine und große Punkte, Blumen, Früchte, abstrahierte Körperteile auf den Pin-ups, Zielscheiben – und immer wieder die grüne Landschaft in verschiedenen Aufmachungen, aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen und mit realistischen oder surrealen Elementen bestückt. Ein Bild ist der Ausgangspunkt für eine Reihe anderer Bilder, die seine eigenartigen Doppelgänger und zugleich eigenständig sind. Die Kunstgeschichte ist ein unerschöpflicher Fundus für Künstler jeder Generation, auch wenn sich ihre Ausdrucksformen scheinbar verändern. Unabhängig davon sind die Sujets immer dieselben und deshalb zeitlos: Porträts, Stillleben, Landschaften, Akte, in denen die Flüchtigkeit des Augenblicks festgehalten wird und der Vergänglichkeit trotzt. Das ist die immerwährende Anmut der Kunst, die von der Kunst kommt und der sich Anton Henning verschrieben hat, was in Zukunft auch so bleiben wird. Im Ausstellungskatalog, der sich wie ein wortgewaltiges Manifest liest, bekennt er unter anderem:
Die Linie schlingt und verliert sich gierig in ihrer Selbstgewissheit, der Raum klammert sich an seine schwebende Eleganz, auf einem Tischchen reifen drei Früchte, früh geerntet, meine Kinder, die ich, damit sie keine Stellen bekommen, vorsichtig unter den duftenden Blumen arrangiere, während die Hoffnung in ihrer königlichen Einsamkeit stirbt, um aufzuerstehen in der Wirklichkeit gemalter Blumen. Bilder, Früchte, Hoffnung und Blumen. Alles in der sich windenden Linie der Liebe. Ich bin dankbar, ich bin ihr Maler, ein Liebender.“
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Anton Henning
Zukunft und Anmut, No. 1
29. April–25. Juni 2022
Galerie Michael Haas >>>
Niebuhrstraße 1, 10629 Berlin
Mo-Fr 9–18 Uhr; Sa 12–16 Uhr