Für den strassen|feger schreibe ich seit fünf Jahren, zuerst sporadisch, dann immer öfter und seit 2012 regelmäßig. Da ich längere Texte bevorzuge, bietet die Rubrik »art strassen|feger« genügend Platz für meine Streifzüge, auf denen ich Kunst und Kultur in und nicht nur in Berlin erkunde, über Museen und Galerien berichte, Ausstellungen und Bücher rezensiere, Künstlerinnen und Künstler interviewe, sie in ihren Ateliers besuche und darauf achte, dass nicht nur die Stars des internationalen Kunstmarkts zu Wort kommen. Sie sind sowieso in allen Medien präsent, werden gefeiert, gesammelt, häufig überbewertet.
Rückblick und Fotos von Urszula Usakowska-Wolff
In »art strassen|feger« porträtiere ich deshalb sowohl die Arrivierten als auch die noch Unbekannten oder zu wenig Beachteten: bevorzugt Persönlichkeiten, die sich nicht für den Nabel der Welt halten, sich treu bleiben, ihre Sache gut, ehrlich und konsequent machen, auch wenn sie missverstanden, belächelt, kaum wahrgenommen oder verschwiegen werden. Die Leserinnen und Leser wissen das zu schätzen, denn oft wurde mir erzählt, dass sie sich mit dem strassen|feger in der Hand auf den Weg gemacht haben, um eine in unserer Zeitung rezensierte Ausstellung zu besuchen: die von Mariusz Kubielas in der Fotogalerie Friedrichshain, die von Gérard Gartner bei Kai Dikhas oder die von Sebastian Bieniek im Projektraum Experimentalsystem, um nur einige Beispiele aus den letzten Monaten zu nennen. Was jedoch am wichtigsten ist: Wir gewinnen Förderer und Freunde wie Rolando Villazón, Klaus Staeck, Ralf Kopp und viele andere, die unsere Arbeit unterstützen und bekannt machen. Und ich darf mich persönlich glücklich schätzen, dass ich Menschen begegnete, die mich durch ihre Ausstrahlung, Haltung, Weisheit und Bescheidenheit ganz besonders beeindruckten: dem spanischen Künstler Vanesco (1952 – 2015) und Gerda Schimpf (1913 – 2014). Als wir die Fotografin in der strassen|feger-Ausgabe »Lebenskunst« im Oktober 2013 aufs Titelbild brachten, scherzte sie: »Ich musste über 100 Jahre alt werden, um die Karriere eines Covergirls zu starten.«
In »art strassen|feger« habe ich bisher in etwa 200 Texte veröffentlicht. Alles begann mit einem Interview mit Alicja Kwade, das im Juni 2010 erschien. Was für ein Zufall, dass ich in der Ausgabe 20/2015 über ihre Ausstellung »Monolog aus dem 11ten Stock« im Haus am Waldsee schrieb! So schließt sich vorläufig der Kreis.
Und hier einige Zitate aus meinen Interviews für »art strassenfeger« aus den letzten fünf Jahren:
»Mein Interesse gilt eigentlich schon immer Sachen, die ich nicht begreifen kann. Das ist eigentlich diese Ohnmacht vor dem Unbegreiflichen, die immer da ist, und dass alles auf dieser Erde darauf hinausgeht, warum sich alles gerade so abspielt, wie es sich abspielt. Ich denke, das ist ein menschlicher Urinstinkt, hinterherzurennen und zu versuchen, über seinen Erkennungshorizont zu schauen. Was aber irgendwann zum Scheitern verurteilt ist, weil man mit seinem Säugetiergehirn so weit nicht kommt. Irgendwann kommt man also immer an das Ende seiner Kapazität.«
Alicja Kwade, strassenfeger 13, 2010
»Die Bewegung mit der Statik zu verbinden ist ein Widerspruch, der zu unserer Zeit gut passt. Ich greife Themen auf, die in der Luft liegen, und versuche, das Wesentliche aus der Situation, in der sich Menschen befinden, herauszuholen. Ich typisiere die Personen nicht einzeln, sondern jede Person typisiert die Person nebenan. Wie im Theater, wo die Hauptrolle von den Nebenrollen lebt.«
Mario Lischewsky, strassen|feger 13, 2011
»Ich bin weder Hellseher noch Prophet, sondern jemand, der über einen relativ nüchtern-analytischen Verstand verfügt und ihn mit einer künstlerischen Vision verbindet, woraus Bilder entstehen, wozu andere ganze Bücher brauchen: Das schafft die Satire eben. Die Tragik liegt darin, dass in vielen meiner Plakate die Wirklichkeit die Satire eingeholt hat, teilweise darüber hinausgegangen ist. Man könnte sagen, ich bin stolz darauf, dass ich etwas früher gesehen habe, aber nein, nein, ich mache ja die Sachen, damit sich etwas ändert, weil ich immer noch an die Veränderbarkeit der Welt glaube. Sie verändert sich ja auch ständig. Die Frage ist nur, in welche Richtung. In Richtung Zerstörung oder in Richtung Erhaltung. Ich glaube, es geht immer noch in Richtung Zerstörung, und zwar dramatisch.«
Klaus Staeck, strassen|feger 7, 2012
»Meine Devise ist, den Kitsch zu entkitschen. Deshalb suche ich mir Objekte aus, die ihre Würde noch besitzen. Ich möchte sie dem Universum zurückgeben. Ich packe meine Arbeiten sozusagen in buntes Bonbonpapier, doch sie handeln von ersten Sachen. Ich lasse hinter dem Süßen auch das Giftige aufkommen. Ich bin ein Experimentator, unterwegs in Richtung Selbstschöpfung hinter der vordergründigen Erscheinung. Ich verstehe mich nicht als Künstler, denn Magie und Philosophie fangen jenseits der Kunst an.«
BĀLAVAT, strassen|feger 8, 2012
»Es war mir wichtig, den Leuten nicht nur die fertigen Bilder zu zeigen. Ich wollte sie vor allem darauf aufmerksam machen, dass die Kunst wie jede andere Arbeit recht anstrengend ist, doch auch Freude bereitet.«
Kirsten Klöckner, strassen|feger 17, 2012
»Kunst muss mehr sein, als nur Kunst. Kunst muss die Schöpfung wollen, Kunst muss bejahend sein, Kunst muss die Natur wollen, Kunst muss den Menschen wollen, Kunst muss die Tiere wollen, Kunst muss Gott wollen. Das Herausfordernde an der Kunst ist für mich, schöpferisch zu sein und diesen schöpferischen Impuls zu entfalten. Egal in welche Richtung.«
Vanesco, strassen|feger 19, 2012
»Ich blicke lieber nach vorne, denn ich habe noch viel zu tun. Das, was hinter mir liegt, ist nicht so wichtig. Die alten Bilder gehören mir nicht mehr. Man muss sich von den Dingen trennen können. Es ist so wie mit den Kindern, die gehen auch irgendwann aus dem Haus.«
Frank Stella, strassen|feger 20, 2012
»Es berührt mich immer sehr, einen Menschen zu sehen, der auf der Straße lebt. Wir sind so gewöhnt an ihren Anblick, dass wir das individuelle Schicksal, die Schwere der persönlichen Situation oft gar nichtmehr wahrnehmen. Das möchte ich verändern. Viele Menschen wissen vielleicht gar nicht, dass es den strassenfeger gibt, und ich möchte dieses großartige Projekt bekannter machen. Das Leben auf der Straße ist sehr hart und niemand, der nicht auf der Straße leben möchte, sollte dazu gezwungen sein.«
Rolando Villazón, strassen|feger 26, 2013
»Es gibt vieles, was in Europa mittlerweile gleich ist. Das ist zum Beispiel die Armut, die größer geworden ist. Ich weiß, dass ich die Welt zwar nicht verändern kann, doch ich verändere sie im Kleinen schon. Zum Beispiel dann, wenn ich einen Menschen dazu bewege, anders über die Probleme nachzudenken, als er es vorher getan hat. Mir liegt schon viel daran, auf das Leid oder die soziale Ausgrenzung aufmerksam zu machen.«
Ralf Kopp, strassen|feger 20, Oktober 2014
»Ich habe ja früher auch im Keller gespielt, im Heizungskeller oder überall dort, wo es möglich war. Um aufzutreten, muss man aus einer Szene kommen, und das ist nicht mein Fall. Ich komme nicht aus der Schwulenszene, ich komme nicht aus der schickeren Szene, es gibt keinen Laden für mich, deshalb habe ich diesen aufgemacht. Ich bin irgendwie ein Einzelgänger, der unter einer Glasglocke lebt, so ein bisschen autistisch.«
Juwelia, strassen|feger 1, 2015
»Es sind Selbstgespräche, die, wie fast bei jedem Künstler, zu Bildern werden. Wenn man Glück hat, gibt es Betrachter, die davon auch was haben und mehr als einmal darauf gucken. Und sich etwas dabei denken.«
Ellen Fuhr, strassen|feger 13, 2015
»Mir sind einige tragische Momente in meinem Leben passiert, da hat es mir geholfen zu sagen: Nimm dich jetzt nicht so wichtig, es ist so lächerlich, denn du bist in Wirklichkeit ein kleines Würstel, umgeben von sieben Milliarden kleinen Würsteln, die denken, dass sie alle der Mittelpunkt der Welt sind.«
Erwin Wurm, strassen|feger 17, 2015
»Mir gefallen bestimmte Haltungen. Es gibt ja diese Opferkünstler, die für die ganze Welt leiden und die saufen und kiffen, das ist so theatralisch, das mag ich gar nicht. Ich denke, dass ich so bin, wie ein Künstler sein sollte: eine Mischung aus Scharlatan, Schamane, Clown, Trickser. Ich denke, dass ist das, was den Künstler ausmacht. Er ist einer, der mit Figuren und mit Sachen spielt, mit denen man nicht spielen kann, aber er spielt trotzdem damit. So sollte ein Künstler sein.«
Sebastian Bieniek, strassen|feger 19, 2015
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 21/2015