Die Ausstellung »ImEx. Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende« in der Alten Nationalgalerie sollte man sich nicht entgehen lassen: 160 Meisterwerke des Impressionismus und Expressionismus, die dort präsentiert werden, zeigen, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Stilrichtungen größer sind als die Gegensätze und Unterschiede.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Manchmal kann ein Verlust zu einem Gewinn führen. So ist die Schließung der Neuen Nationalgalerie, die in den nächsten fünf Jahren saniert wird, ein Glücksfall für die Alte Nationalgalerie. Ein Teil der Schätze, die zur Sammlung des Mies-van-der-Rohe-Baus am Kulturforum gehören, und zwar die Gemälde der Expressionisten, können jetzt in der Ausstellung »ImEx. Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende« auf der Museumsinsel bewundert werden. Die Aufsehen erregende und publikumsmagnetische Schau, über 100 000 Menschen haben sie bisher gesehen, ist ein kunsthistorisches Ereignis. Noch nie wurden in einem Musentempel Werke beider so – wie man bisher meinte – gegensätzlicher und unterschiedlicher Stilrichtungen tête-à-tête gezeigt: des vorwiegend französischen Impressionismus, der den flüchtigen Augenblick auf die Leinwand bannte und ihn so schön verweilen ließ und des vorwiegend deutschen Expressionismus, dessen Exponenten angetreten waren, um sich, wie Ernst Ludwig Kirchner 1906 im Programm der Künstlergruppe »Die Brücke« schrieb, »Arm- und Lebensfreiheit (zu) verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Der gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.«
Zurück zu den Anfängen
Mit der Ausstellung »ImEx. Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende« kehrt die (heute als Alte bezeichnete) Nationalgalerie zu ihren Anfängen zurück. 1896 wurde Hugo von Tschudi ihr Direktor. Und obwohl über dem Eingang des von Friedrich August Stüler geplanten und 1876 eröffneten Prunkbaus die Inschrift »Der deutschen Kunst« prangt, führte die erste Reise des neuen Direktors nach Paris. Dort erwarb er 30 Gemälde, unter anderem von Monet, Manet und Degas. Somit war die Neue Nationalgalerie das erste Museum weltweit, das Werke dieser Künstler besaß. Tschudis Nachfolger wurde 1909 Ludwig Justi, der nach 1918 die Neue Abteilung der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais gründete. Seine Sammelleidenschaft galt vor allem den Expressionisten, doch auch Bilder der Impressionisten, die in anderen Räumen der Neuen Abteilung hingen, kamen nicht zu kurz. Das entsprach Justis Konzept des »vergleichenden Sehens«, woran die gegenwärtige Ausstellung in der Alten Nationalgalerie auf eine innovative Weise anknüpft: Sie ermöglicht einen anderen Blick auf Altbekanntes und ist ein gelungenes Beispiel einer neuen kunstgeschichtlichen Komparatistik.
Ohne Pose und Camouflage
Die von Angelika Wesenberg kuratierte Schau trägt den Titel »ImEx«, eine Anspielung sowohl auf den Begriff aus dem Handel Import – Export, als auch auf die Werke des Im- und Expressionismus. 160 mehr oder weniger bekannte Gemälde und Skulpturen, die Hälfte davon aus der Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, hängen und stehen jetzt nebeneinander oder in unmittelbarer Nähe: Renoir neben Pechstein, Kirchner neben Degas, Macke neben Manet, Monet neben Munch, Nolde neben Signac, Cézanne neben Corinth, Maillol neben Kolbe. Diese scheinbar ungleichen Paare, die in der Beletage der Alten Nationalgalerie aufeinander treffen und in Dialog treten, sind gar nicht so ungleich. Sie sind anschauliche und beeindruckende Zeugnisse einer durch Industrialisierung und Urbanisierung geprägten Zeit, die tradierte Vorstellung auf den Kopf stellte, in der alles in Bewegung geriet, die eine neue Sicht auf den Menschen und die ihn umgebenden Dinge erforderte. Das Gemeinsame dieser beiden Stilrichtungen ist, dass sie gegen den, wie wir heute sagen, Mainstream, also gegen die gern ausgestellte, mit Preisen und Aufträgen überhäufte Akademiemalerei aufbegehrten. Die Impressionisten und Expressionisten versteckten ihre Sujets nicht mehr in Posen und mythologischer Camouflage. Sie malten Mädchen aus dem Volk, Liebespaare und unverkennbar unglückliche Ehepaare, Tänzerinnen, Fischerinnen und Kokotten. Sie malten Cafés, Tanzschuppen und Etablissements, in denen sich das immer selbstbewusstere Bürgertum und Kleinbürgertum, vor allem sein männlicher Teil, vergnügte. Sie malten Brücken, Häuser, Massen auf den Straßen, Dandys, Passanten und Flaneure. Sie malten die Vereinsamung des in unbequeme Kleider und bürgerliche Konventionen eigezwängten Individuums, das sein Leben in einer Vernunftsehe fristete. Das Pendant dazu waren die nicht immer makellosen nackten Körper der »Badenden«, die unverhüllt der Sinnlichkeit frönten. Die industrielle Produktion der Farben in Tuben ermöglichte es den Künstlern, seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch im Freien zu malen.
Ein Verriss mit ungeahnten Folgen
Die Bilder der Impressionisten erklären sich von selbst, sie bedürfen weder der historischen Belesenheit ihrer Vorgänger noch der psychologischen Deutungsfähigkeit ihrer Nachfolger. Der Augenblick wird in diesen Bildern zur Ewigkeit. Sie lösen die Welt in Licht, Farbe und Atmosphäre auf. Das sorgte für viel Unmut und Häme bei der damaligen Elite. Louis Leroy, einflussreicher Kunstkritiker, schrieb im April 1874 in der Pariser Satirezeitschrift »Le Charivari« einen Verriss der damals zum ersten Mal gezeigten Ausstellung einer Gruppe junger Maler, denen wiederholt der Zugang zum etablierten »Salon de Paris« verwehrt wurde. Besonders echauffierte er sich über das Gemälde »Impression – Soleil levant« (Impression – Sonnenaufgang) von Claude Monet. »Eine Tapete im Urzustand ist ausgearbeiteter als dieses Seestück«, so der Kritiker im »Ausstellung der Impressionisten« betitelten Artikel. Die neue Kunst hatte somit einen Namen und ging als »Impressionismus« in die Kunstgeschichte ein, obwohl sich die »Impressionisten« am Anfang dagegen sträubten. Schließlich nahmen sie ihn als Nom de guerre an. Der Begriff »Expressionismus« wurde 1911 von Herwarth Walden, dem legendären Galeristen und Herausgeber der Zeitschrift »Der Sturm« geprägt, nachdem er in der Neuen Secession eine Ausstellung der jungen französischen Maler Braque, Derain, Dufy, Picasso und Vlaminck gesehen hatte. Das ist wieder so eine kleine Ironie der Geschichte, denn der Expressionismus gilt, im Gegensatz zum »typisch« französischen Impressionismus, als eine genuin deutsche Kunst. Die Ablösung des Impressionismus durch den Expressionismus beschrieb Walden 1918 als »Kunstwende«.
Export der Sujets
»Die einen wollten nur noch malen, was sie wirklich sahen, die anderen nur das, was sie fühlten«, sagt die Kuratorin Angelika Wesenberg und bringt den Hauptunterschied zwischen den Impressionisten und den Expressionisten auf den Punkt. Was das » Sehen« vom »Fühlen« trennt, sind der Bildaufbau, die übergeordnete oder untergeordnete Rolle des Lichtes, der Auftrag und die Intensität der Farben, die kleinere oder größere Dekonstruktion und Deformation der Figuren und Landschaften. Was sie verbindet ist die Hinwendung zum »normalen« Leben, das zunehmend im öffentlichen Raum, auf der Straße, im Café, im Vergnügungsviertel, in der Sommerfrische, am Strand, im Park, im Hafen stattfindet. Was früher privat war, ist nun öffentlich. Das ist eine urbane Kunst, die die zunehmende Mobilität der Stadtbevölkerung, ihren Alltag und ihre Freizeit zeigt. Während die Gegensätze eher formal und mit der Entstehungszeit der Werke zusammenhängen, ähneln sich die Sujets. Das ist keine ganz so neue Erkenntnis, denn die Kunst beschäftigt sich seit eh und je mit Badenden, Landschaften, Stillleben und Tieren. Es ist aber schön zu sehen, wie diese Sujets von der einen Stilrichtung in die andere wandern, also vom Impressionismus in den Expressionismus exportiert werden. Die Schau ist in zwölf Kapitel gegliedert, in denen Bilder und Skulpturen zu den Themen: »Badende. Der Traum vom Paradies«, »Stadt, Vorstadt, Passanten«, »Im Grünen. Die Entstehung der Freizeit«, »Villen, Landhäuser«, »Vergnügen, Café, Tanz und Tingeltangel«, »Paare, Beziehungen«, »Künstler«, »Kunstvermittler. Dandy, Connaisseurs, Mäzen, Sammler«, »Stillleben«, »Interieur«, »Tiere« und »Vision Krieg« gezeigt werden. Neben den ganz großen Namen und bekannten Werken kann man in der Ausstellung »ImEx« auch einige weniger bekannte entdecken: »French Cancan« und »Das Mädchen mit roter Krawatte« (beide 1907) von Auguste Chabaud, das letztere mit einer hermaphroditisch anmutenden Prostituierten, die vor einem Stundenhotel steht; das großartige Bild von Erma Bossi, das die Beziehungslosigkeit und die Langeweile der »besseren« Kreise bei ihrem Pflichtbesuch »In der Oper« (1910) darstellt. Und das wunderbare Gemälde »Trocknende Wäsche am Ufer der Seine« (um 1892) von Gustave Caillebotte mit zwischen den Bäumen hängenden weißen Hemden, die vom Wind aufgebauscht werden, einer Bank auf dem Rasen, einem Hausboot auf dem Fluss und dem Himmel als Hintergrund. Einfach nur schön und friedlich, ein optischer und ästhetischer Genuss.
Visionen der Kunst-Ikonen
Ausstellungen, die sich den Anfängen der Klassischen Moderne widmen, erfreuen sich seit Jahren einer ungebrochenen Popularität. Die Bilder der Impressionisten und Expressionisten, auch viele der jetzt in der Alten Nationalgalerie gezeigten, sind Ikonen der neueren Kunstgeschichte. Heute kann man sich schwer vorstellen, dass sie lange Zeit abgelehnt, angefeindet und bestenfalls missverstanden wurden. Dazu gibt es in der Ausstellung eine Reihe von Vitrinen mit Zeugnissen, die den Leidensweg der beiden Ismen dokumentieren. Das Neue ist immer der Feind des Alten, weil es dessen hart erkämpfte Position gefährdet und einzunehmen droht. Auch in der Kunst muss jede Nachfolgegeneration einen Vatermord begehen, um sich einen Platz in der Kunstwelt zu sichern und bestehen zu können. Das Publikum begeistert sich erst dann für die Werke der einstigen Kunstrebellen, wenn sie zu Klassikern werden. Das kann manchmal auch mehr als einhundert Jahre dauern. Die Kunst ist ihrer Zeit entweder weit voraus oder zeigt sie so, wie es die Zeitgenossen nicht wahrhaben wollen. So endet die weitgehend schöne, harmonische und lebensbejahende Schau mit apokalyptischen Bildern, die bereits 1912 den Krieg vorausahnen. Einen Krieg, der zwei Jahre später begann, fünf Jahre dauerte, die Welt und die Kunst veränderte und schlimmer als die grausamste Vision war.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 16/2015
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Noch bis zum 20. September 2015
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Museumsinsel
Bodestraße 1-3
10178 Berlin
Öffnungszeiten:
Di, Mi, So 10 – 18 Uhr
Do, Fr, Sa 10 – 20 Uhr
Eintritt (inkl. Sammlung):
12 / 6 Euro
Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
VIP-Ticket:
30 Euro, sofortiger Einlass (Di–So, 11 und 14 Uhr)
Katalog:
Hirmer Verlag
Preis der Museumsausgabe: 29 Euro