Die Ausstellung »The Botticelli Renaissance« versucht, den Einfluss des Florentiner Malers auf die Kunst der letzten 200 Jahre zu beleuchten und zeigt, dass seine Sujets und Motive auch von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern aufgegriffen, angeeignet oder auf heutige Art interpretiert werden.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Zwei Schaufensterpuppen, die eine trägt ein gemustertes Sommerkleid, die andere einen gleich gemusterten Hosenanzug, beide Kleidungsstücke sind mit dem Etikett einer teuren italienischen Modeschmiede versehen, verharren auf dem weißen Podest in der Mitte des ersten Saals. An den Wänden ist zeitgenössische Kunst, vor allem die zwischen 1990 – 2015 entstandenen Bilder und Fotografien zu sehen. Nur ein Bild fällt aus dem Rahmen, obwohl es sehr schön und aufwändig gerahmt ist: ein altes Bild, das frischer und anregender wirkt, als viele der neuen, die es aufgreifen, variieren, persiflieren, verfremden, interpretieren und es in die Gegenwart überführen. Doch die nackte Schönheit mit dem Alabasterleib und den goldenen Haaren, die so lang sind, dass sie damit ihren Venushügel keusch verhüllt, scheint das nicht zu interessieren. Sie ist in sich gekehrt, melancholisch, verträumt und abwesend, obwohl sie eine starke körperliche Präsenz hat und wie eine Skulptur anmutet. Die 1490 vom Florentiner Maler Sandro Botticelli mit Tempera auf Leinwand gemalte »Venus«, die antike Göttin der Liebe, ist eines seiner bekanntesten Werke, eine Ikone, die gleichermaßen von der Kunstwelt, Mode und Popkultur verehrt, verarbeitet und manchmal auch verzerrt wird.
Nach 300 Jahren wiederentdeckt
Die Ausstellung »Botticelli 2015 – 1445. The Botticelli Renaissance« ist etwas ungewöhnlich, denn sie beginnt à rebours: am Anfang ist das Ende der Schau, am Ende der Anfang. Sie feiert die »Renaissance« eines Renaissancekünstlers, der sich zu Lebzeiten einer großen Popularität erfreute, dann vergessen und erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und zu einer Inspirationsquelle für Künstler der Moderne und Postmoderne wurde. Die über 150 Arbeiten umfassende Schau, worunter sich 50 Gemälde von Botticelli befinden, zeigt anhand von Werken, welche sich direkt oder indirekt auf den Alten Meister aus Florenz beziehen, seinen Einfluss auf die europäische und außereuropäische Kunst der letzten 200 Jahre. Während im ersten und zweiten Ausstellungsaal Botticellis Rezeptionsgeschichte erzählt wird, ist der dritte Saal ausschließlich seinem Œuvre gewidmet. Auf schwarz verkleideten Wänden hängen seine berühmten Madonnen, Heiligenbilder und Porträts der Adeligen. Was fehlt, ist »Der Frühling« (1477 – 1482) und »Die Geburt der Venus« (1482 – 1485), zwei Meisterwerke und Kultobjekte, deren Motive und Ornamente die Fantasie der Nachwelt am meisten, sozusagen nachhaltig beflügeln. Doch sie befinden sich auf Dauer in den Uffizien in Florenz und dürfen nicht auf Reisen gehen.
Andachtsbilder, Porträts, weibliche Akte
Der Mann, der sich als Künstler Sandro Botticelli nannte, war ein vielseitiger und gefragter Meister seines Fachs. Er malte Andachtsbilder, Porträts schöner Frauen und mächtiger Männer sowie Geschichten aus der Mythologie. »Überall in der Stadt schuf er eigenhändig für verschiedene Häuser Rundbilder und eine Reihe von weiblichen Akten, von denen zwei heute noch in Castello sind, einem Landsitz von Herzog Cosimo: Das eine zeigt die Geburt der Venus und jene Lüfte und Winde, die sie zusammen mit den Amoretten an Land treiben, das andere eine weitere Venus, die von den Grazien mit Blumen geschmückt wird, was den Frühling anzeigen soll, alles mit sichtlicher Anmut von ihm zum Ausdruck gebracht«, schrieb über Sandro Botticelli der Florentiner Architekt, Hofmaler der Medici, Biograf italienischer Künstler und somit einer der ersten Kunstkritiker, Giorgio Vasari (1511 – 1574), in seinem Werk »Das Leben der ausgezeichnetsten italienischen Architekten, Maler und Bildhauer«, das 1550 erschien und worin er als Erster den Begriff »rinascita«, Renaissance, also Wiedergeburt verwendete.
Botticelli und seine Helfer
Doch ob Botticelli diese Rundbilder und weibliche Akte wirklich »eigenhändig« schuf, ist nicht so ganz sicher, denn mit Ausnahme eines Gemäldes und einer Zeichnung sind seine Werke nicht signiert. Sandro Botticelli, der als Alessandro di Mariano Filipepi am 1. März 1445 in der Familie eines Florentiner Lohgerbers auf die Welt kam, eröffnete bereits als 25-jähriger eine eigene Werkstatt. Da er von den Medici gefördert wurde, die zu seinen wichtigsten und treuesten Auftraggebern gehörten, hatte er ein gutes und sicheres Einkommen. Er war durchaus ein moderner und geschäftstüchtiger Künstler, denn viele seiner Bilder, darunter das Porträt des 1478 bei einem Attentat ermordeten Giuliano di Piero de´ Medici, wurden in mehreren, seriell gefertigten Versionen, ausgeführt. Auch seine Bilder wurden nicht nur von ihm selbst in seiner Werkstatt gemalt. Wie viel Botticelli ist in einem Botticelli wirklich drin, ist ein Problem für Kunsthistoriker und für die Forschung. Ist ein Original wirklich ein Original oder ist es das Werk von vielen anonymen Handwerkern, deren Namen wir nie erfahren werden? Bei dem Betrachten dieser Bilder spielt das keine Rolle, auch wenn auffällt, dass sie nicht immer richtig proportioniert zu sein scheinen, denn die Fersen und die Hände der weiblichen und männlichen Figuren sind an manchen Stellen etwas zu lang oder zu klobig und die Beine etwas zu kurz geraten. Gerade dadurch, dass sie nicht makellos sind, wirken sie authentisch, verletzlich, einfach menschlich.
Gut für Bilder und Kleider
Botticelli, der im letzten Jahrzehnt seines Lebens laut Vasari nicht mehr malen konnte und als armer Mann am 10. Mai 1510 in seiner Heimatstadt starb, wurde dreihundert Jahre nach seinem Tod als ein Mythos wiedergeboren. Unabhängig davon, wer die ihm oder seiner Werkstatt zugeschriebenen Gemälde geschaffen hat, ist ihre Wirkung kolossal. Sie drückten der Kunst des 19. und 20.Jahrhunderts ihren Stempel auf, beeinflussten die Werke der Präraffaeliten, des Symbolismus, Jugendstils, Surrealismus, die gestrige und heutige Pop Art. Botticellis Motive sieht man bei Dante Gabriel Rossetti, Edward Burne-Jones, Gustave Moreau, Salvadore Dalí, René Magritte, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Cindy Sherman und vielen anderen, wobei die Porträts der schönen Damen, die Engel, Nymphen und vor allem seine Venus und Flora liebend gern zitiert und zu der eigenen Zeit passend mal gar ernst, mal augenzwinkernd zu etwas Neuen verarbeitet werden. Die luftigen und reich verzierten Kleider, in die Botticelli seine Göttinnen hüllte, waren und sind für die Modewelt ein Segen. Legendär sind die botticelliesken Abendroben von Elsa Schiaparelli und Alexander McQueen. Plakativ und effekthascherisch muten dagegen das Sommerkleid und der Hosenanzug von Dolce & Gabbana an, die aus einem mit Fragmenten aus der »Geburt der Venus« bedruckten Stoff genäht wurden: Gerade gut genug für einen Auftritt von Lady Gaga.
Drei Grazien in einer Felge
Das Werk von Botticelli ist ein Steinbruch, aus dem sich viele bedienen. Manchmal ist die Neuinterpretation eines beliebten Sujets ein Hochglanzkitsch, wie auf den C-Prints des gefragten Fotografen David LaChapelle zu sehen. Kunst, Kitsch und Kommerz sind heute nicht mehr zu trennen. So liegt vor dem Eingang zur »Botticelli Renaissance« ein rundes Ding auf einem Podest. Es ist kein Tondo. »Botticelli ist zum Markenzeichen geworden. Er steht für italienische Eleganz. Es wundert daher nicht, dass sogar eine Leichtmetallfelgen-Serie unter dem Namen >Botticelli< existiert. Die im Zentrum der Speichen eingesetzte Diamantform ist an eine Brosche angelehnt, die eine der drei Grazien in Botticellis Gemälde >Primavera< (Frühling) in den Uffizien, Florenz, trägt«, klärt die Website der Ausstellung auf.
© Urszula Usakowska-Wolff, VG Wort, VG Bild-Kunst
Erschienen im strassen|feger 1/2016
The Botticelli Renaissance
Noch bis zum 24. Januar 2016
Gemäldegalerie – Staatliche Museen zu Berlin
Kulturforum
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
Öffnungszeiten
Di – Fr 10:00 – 18:00 Uhr
Do 10:00 – 20:00 Uhr
Sa – So 11:00 – 18:00 Uhr
Eintrittspreis
14 / 7 Euro
Katalog
Hirmer Verlag
Preis: 29 Euro