»gedeih« heißt die zweite Ausstellung der Gruppe »Die Saat«, die im November 2017 von vier Künstlerinnen gegründet wurde, die sich in einem Workshop des Erfolgsteams Bildende Kunst kennen lernten. Darunter waren Anja Asche und Nadja Schüller-Ost, deren Arbeiten in der Galerie DASLABOR gezeigt werden und die den Maler Marcus Lichtmannegger als Gast zur Teilnahme an dieser Schau eingeladen haben.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Die Ausstellung »gedeih«, ein Beitrag zum diesjährigen Kunstfestival »48 Stunden Neukölln«, das unter dem Titel »Neue Echtheit« steht, präsentiert drei künstlerische Positionen und Temperamente, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum einen die subtilen, minimalistischen Objekte und Collagen von Anja Asche (* 1967 in Göttingen), die fragil, ephemer und transparent wirken und das Verhältnis zwischen Innen und Außen, zwischen den Emotionen und Konventionen, zwischen dem Beständigen und Unbeständigen im Fluss der Zeit mit einer beeindruckenden Konsequenz und Stringenz untersuchen. Zum anderen die expressiven, dynamischen, überbordenden und gegenständlichen Zeichnungen von Nadja Schüller-Ost (* 1970 in Zwickau), eine Orgie aus Formen und Farben, die zeigen, dass in der heutigen Welt alles zur Ware verkommt, wie Ware behandelt und vermarktet wird. Und schließlich leider nur ein einziges Großformat von Marcus Lichtmannegger (* 1969 in Berchtesgaden), aber was für eines! Ein farbiges und rhythmisches Geflecht auf schwarzem Hintergrund, das pulsiert und zugleich harmonisch wirkt, obwohl es den Eindruck vermittelt, den Bilderrahmen sprengen zu wollen, um nach draußen, in eine verrückte urbane Nacht zu entkommen.
Konzeptuell & seriell
Obwohl die Arbeiten von Anja Asche, Nadja Schüller-Ost und Marcus Lichtmannegger so unterschiedlich sind hinsichtlich Material, Technik, Form, Inhalt und Ästhetik, gibt es doch einige Gemeinsamkeiten: So deutet der Ausstellungstitel möglicherweise an, dass sich alle drei der Kunst auf Gedeih und Verderb verschrieben haben, denn die Kunst ist für sie eine existentielle, organische und kontinuierliche Angelegenheit, die ständig weiterentwickelt wird, das heißt, aus einer Idee wächst eine neue, die dann variiert, perfektioniert und weiter gesponnen wird. Der künstlerische Prozess ist für sie, trotz aller Differenzen, ein konzeptueller Vorgang, auch wenn zum Beispiel die Malerei von Nadja Schüller und Marcus Lichtmannegger wie der Inbegriff der Spontaneität erscheinen vermag. Es ist fast alles genau durchdacht, konzipiert und, wie bei Marcus, in unzähligen kleinformatigen Papierarbeiten erprobt. Und alle drei sind, unabhängig von ihrer Herkunft, ausgesprochen urbane Künstler mit einer unverkennbaren Leidenschaft für das Serielle.
Maskieren & Demaskieren
Vergänglichkeit und Identität sind Themen, die Anja Asche mit wissenschaftlicher Akribie untersucht. Bisher kannte ich vor allem ihre Objekte, die sie aus Pflanzensamen, Gräser, Ästen, Flechten und anderen Fundstücken fertigt. Diese zum Teil winzigen und minimalistischen Arbeiten haben eine große Wirkung, denn sie regen zum Nachdenken über die Existenz, also über das Leben und seine vergängliche Schönheit und über die Verortung oder Ortlosigkeit des Individuums darin. Die hier gezeigten Arbeiten sind noch ein Beleg dafür, wie vielseitig und tiefsinnig diese Künstlerin ist. Unabhängig davon, ob sie mit organischem oder nicht organischem Material arbeitet, drückt sie mit einfachsten Mitteln komplizierte Inhalte verständlich und nachvollziehbar aus. Der Ausgangspunkt für das Objekt aus Plexiglas, Nadeln, Klingen und Gummistöpsel unter dem schlichten Titel »40 (Vierzig)« war Anjas 40. Geburtstag, visualisiert durch je ein Kästchen für ein Lebensjahr, wobei die ersten Jahre, wie das am Anfang des Lebens so üblich ist, noch mit keinem oder wenig Inhalt gefüllt sind und sich die Kästchen mit zunehmenden Alter auch etwas leeren. Aus dem eigenen Leben gegriffen ist auch die 15-teilige Collage-Serie »11 Uhr«, ein Mixed-Media-Werk aus Acrylfarbe, Wachs, Garn, Samen und Nadeln auf Transparentpapier. Ein Jahr lang fotografierte sich Anja fast jeden Tag genau um 11 Uhr, die Selbstbilder sind entsprechend bearbeitet und verfremdet, doch sie sehen wie Porträts des Geistes und der Seele aus. »11 Uhr« ist wie »40« eine Arbeit, die sich mit inneren Verletzungen auseinandersetzt: bevor jedoch versucht wird, die Lösung seiner Probleme nach »außen« zu delegieren, ist es nicht verkehrt, mit sich selbst Frieden zu schließen. Nur ein gefestigtes und bewusstes Ego kann sich in dieser Welt behaupten. Sehr raffiniert und zugleich einfach sind auch die drei mit rötlichen Tintenklecksen versehenen »Masken«: Reliefs, auf denen sich jeweils ein Schlitz befindet. Er ist mit Spiegelfolie beklebt. Wenn man die »Masken« aus der Nähe betrachtet, spiegelt sich darin ein Fragment des eigenen Gesichts. Wer wird da maskiert und / oder demaskiert? – das ist die Frage.
Sexy Sweeties
Einer pervertierten Gesellschaft, die Menschen wie Waren behandelt und vermarktet, setzt Nadja Schüller-Ost in der Serie »Sweeties« einen Spiegel vor. Diese Künstlerin dürfte den Besucherinnen und Besuchern der Galerie DASLABOR bekannt sein, hatte sie hier vor kurzem eine Einzelausstellung, in der sie ihre von der Antike inspirierte Serie »Verhängnis« zur Schau stellte. Anders als im »Verhängnis« sind die »Sweeties« nicht autothematisch und haben nur entfernt etwas mit Liebe zu tun: nämlich mit käuflicher Liebe, die im Katalog bestellt werden kann. Die süßen Lolitas, überzeichnet, fratzenhaft und doch mit viel Empathie dargestellt, sind blutjunge Mädchen, eine Art minderjährige Sexpuppen. Sie treten in aufreizenden Posen nackt oder sehr spärlich bekleidet und zum Teil maskiert auf. Chantell, Coco, Daisy und Lilly Marleen können einzeln, Natascha und Samantha zu zweit, Peggy, Cindy und Mandy als flotter Dreier gekauft oder gemietet werden. Trotz aller Anstrengungen, attraktiv und sexy zu wirken, sind ihre Köper die von normalen Teenagern, mit allen Macken und Unzulänglichkeiten, welche ein Body, unabhängig vom Alter, nun mal hat. Perfekt sind höchstens die Models in Hochglanzmagazinen und in der Werbung, aber meistens dank sehr viel make up und Photoshop. Nadjas »Sweeties« sind also Opfer in mehrfacher Sicht: Sie versuchen, dem verbreiteten Frauenbild und dem propagierten Schönheitsideal zu entsprechen und nehmen dafür alle Verrenkungen und Demütigungen in Kauf. Sie geben sich vor allem der Selbsttäuschung hin, wirken anders als sie sind, zwar jung, aber doch schon sehr künstlich, herausfordernd, aber in Wirklichkeit ziemlich linkisch, unbeholfen, und voll einer peinlichen und zugleich rührender Diabolik. Die »Sweeties« strotzen offensichtlich vor Energie und Dynamik, scheinen sich aber in allen Lagen unwohl zu fühlen, denn sie sehen ziemlich starr und entmutigt aus. Nadjas Figuren sind, wie bei ihr so üblich, ambivalent: Opfer und Täterinnen zugleich, schon aus dem Grund, dass sie sich das alles antun, um begehrenswert und attraktiv, das heißt eine gefragte und vielleicht gut bezahlte Ware aus dem Katalog zu sein.
Leichte Sachen machen
Marcus Lichtmannegger ist ein Maler, der an der Akademie der Bildenden Künste München in der Klasse vom Professor Sean Scully studierte. Seine Malerei ist, ähnlich der seines Meisters, abstrakt, pulsierend und von Licht durchdrungen Es ist eine urbane Malerei, die im Sound und Rhythmus der Großstadt vibriert, ja, sogar zu tanzen scheint. Marcus ist ein fast schon obsessiver Zeichner, er bedeckt das Papier mit Tusche, benutzt oft auch Pinsel, und besprüht es dann mit Wasser, sodass die Farben verlaufen und Schlieren ziehen. Auch auf den Acrylbildern suchen sich die Farben ihren Weg. Der künstlerische Prozess ist für Marcus ein Abenteuer mit überraschendem Ausgang, ein Spiel und ein Experiment. Seine Arbeiten sehen aus, als ließe der Künstler sie von einer unsichtbaren Hand malen lassen. Er hat oft den Eindruck, neben sich zu stehen und sich beim Malen zu beobachten. Er ist ein malender Beobachter und ein beobachtender und Maler. Indem er die Malerei von seiner Autorenschaft, also von seinem Ego befreit, lässt er den Farben und Formen freien Lauf, er hat Freude am Malen, an einer reinen Malerei, die er nach Art der Écriture automatique als eine, wohlgemerkt, abstrakte Peinture automatique betreibt. Dieser Vorgang, in dem es viele Zufälle geben darf, birgt so manche Überraschung in sich. So wird der Künstler auch ein Zuschauer und darf sich wundern, was er sich so alles ausgemalt hat. Am Anfang malte Marcus großformatige Ölbilder, aber er merkte, dass »leichte Sachen sein Ding sind.« Für ihn ist Ornament, im Gegensatz zu Adolf Loos, kein Verbrechen, denn die immer wiederholten und wiederholbaren Muster haben einerseits etwas Beruhigendes und Entspannendes: Multiplikation dient der Meditation, sie sind zum anderen ein Fluss, von dem Marcus sich gern mitreißen lässt. Ohne Wiederholungen gibt es diesen Fluss nicht. Kunst ist für ihn etwas, was sich unentwegt bewegen, fließen und den Maler mitnehmen muss, damit er sich nicht langweilt, denn dann trocknet seine schöpferische Kraft aus. Marcus Lichtmanneggers Malerei, zu sehen auch auf dem hier gezeigten Acrylgemälde, das er bei sich »Big Boy« nennt, ist, rhythmisch und ornamental. Panta rhei – alles fließt, aber nur dann, wenn man den Augenblick genießt. Also: Carpe diem, »gedeih«!
Text © Urszula Usakowska-Wolff