Die Nachbarschaftsgalerie im Kunger Kiez
Die Nachbarschaftsgalerie im Kunger Kiez

Die Nachbarschaftsgalerie im Kunger Kiez

Hinter drei großen Schaufenstern erstreckt sich ein hell beleuchteter Saal. An den Wänden hängen Bilder, auf dem weiß gekachelten Fußboden stehen zwei kleine Tische und fünf Stühle, ein Büchertauschregal, eine mit Flokati-Brücken bedeckte Holzkiste, daneben kräuselt sich ein Geldbaum auf einem Blumenständer.

Von Urszula Usakowska-Wolff

Auch der Hundenapf in einem als Büro dienenden Zimmer ist nicht zu übersehen. Das Ambiente ist freundlich und heimelig, es vermittelt den Eindruck einer geräumigen und geschmackvoll dekorierten Wohnung, die zum Verweilen einlädt. »Willkommen in der Nachbarschaftsgalerie im Kunger Kiez«, sagt Christina Gießmann und erzählt, wie sie als »Organisationsfreak eine Brache« auf die Beine gestellt hat. Vor einem Jahr zog die aus Halle an der Saale stammende Kulturwissenschaftlerin und Projektmanagerin, die seit 1997 zuerst in Berlin-Mitte, dann in Neukölln wohnte, in die Nähe des Treptower Parks. Als sie ihre neue Umgebung erkundete, fiel ihr auf, dass »der spektakuläre Raum in der Karl-Kunger-Straße 15 nicht bespielt wird. Da ich einfach chronisch neugierig bin, habe ich gefragt, warum dort nichts los ist. Ich habe erfahren, dass die Galerie seit drei Monaten leer stand, weil die sie bisher betreuende Person ausgeschieden war. Und mir wurde prompt angeboten, dass ich die Nachbarschaftsgalerie als ehrenamtliche Leiterin managen kann.«

Christina Gießmann, Nachbarschaftsgalerie, 11.03.2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Christina Gießmann, Nachbarschaftsgalerie, 11.03.2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Galerie im Trabi-Laden

Die Nachbarschaftsgalerie ist eine Gründung des eingetragenen Vereins KungerKiezInitiative, der 2006 entstand, um das Miteinander, die Kontakte sowie die gesellschaftliche und kulturelle Aktivität der Anwohner zu unterstützen und zu fördern. Es ist ein Ort der Begegnung, wo Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Workshops und Kurse stattfinden, wo man Bücher, Erfahrungen und Erinnerungen (aus)tauschen kann. Denen, die schon vor dem Mauerfall in der Karl-Kunger-Straße wohnten, ist das Lokal im Erdgeschoss des Hauses mit der Nummer 15 wohl bekannt: Dort befand sich ein begehrter und häufig besuchter Laden, in dem man, wenn man Glück und Beziehungen hatte, Ersatzteile für den Trabi erstehen oder ergattern konnte. »Die Leute kamen einfach rein, um zu gucken, ob es etwas zu holen gibt«, sagt Christina. »Heute muss ich ganz laut trommeln für die Galerie, denn es ist nicht so, dass die Leute automatisch herfinden. Wir sind zwar nur 200 Meter von Kreuzberg entfernt, aber da liegt das Wasser dazwischen, das merkt man schon. Dagegen kann ich mich über einen Künstlermangel nicht beklagen, denn ich muss, neben den aktuellen Bewerbungen, noch einen großen Stapel aus der Zeit meiner Vorgängerin bearbeiten.«

Bilder von Conrad Reustle, Nachbarschaftsgalerie, 2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Bilder von Conrad Reustle, Nachbarschaftsgalerie, 2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Gefragter Ausstellungsort

Der Galeriename weist darauf hin, dass dort vor allem Künstlerinnen und Künstler aus der unmittelbaren Umgebung ihre Werke zur Schau stellen können. »Doch die Auflagen sind nicht so streng. Wir sind im Einzugsgebiet von Köpenick, und das ist, neben Alt-Treptow und dem Kunger Kiez, unsere Nachbarschaft. Worauf ich vor allem achte, ist die Qualität. Es geht mir auch darum, dass sich die Ausstellungen thematisch voneinander unterscheiden. Es macht wenig Sinn und kommt beim Publikum nicht gut an, wenn zum Beispiel drei Landschaftsmaler nacheinander gezeigt werden.« Kein Wunder, dass sich die Nachbarschaftsgalerie unter der Leitung von Christina Gießmann zu einem gefragten Ausstellungsort entwickelt hat:

»Weil ich oft in der Kunstszene unterwegs bin, weiß ich, dass unsere Konditionen super günstig sind. Wir liegen zwar nicht in Berlin-Mitte, sind aber für jede(n) erschwinglich. Es gibt Leute, die seit über einem Jahr auf ihre Ausstellung bei uns warten. Deshalb habe ich bisher davor gescheut, einen Open Call zu starten, denn ich weiß, dass mir dann 500 zusätzliche Bewerbungen ins Haus flattern.«

Lohnende Investition

Die Ausstellungen in der Nachbarschaftsgalerie sind nicht umsonst, denn sie tragen zur Finanzierung der vielseitigen Arbeit der KungerKiezInitiative bei. »Insgesamt finanziert sich der Verein über Kurse, nur einen kleinen Teil bilden die Einnahmen aus der Galerie«, sagt Christina Gießmann. Wer in den Genuss einer Ausstellung, genauer – einer Verkaufsausstellung in den 200 Quadratmeter großen und lichtdurchfluteten Räumen kommen will, muss 45 Euro pro Woche bezahlen: ein Preis, der für viele Künstlerinnen und Künstler erschwinglich ist. Wenn sie Glück haben und den Geschmack des Publikums treffen, was gar nicht so selten vorkommt, kann sich diese Investition für sie umgehend lohnen. Beim Verkauft der Kunstwerke, die in der Regel zwischen 300 und 650 Euro liegen, behält die Galerie eine eher symbolische Provision von 20 Prozent. Dafür wird den Ausstellenden einiges geboten: Gestaltung und Verschickung der Vernissage-Einladungen an hunderte Adressen aus dem E-Mail-Verteiler der Galerie, Presse- und Werbetexte, die von den Mitarbeitern des Vereins geschrieben werden, Hinweise auf der Website des Vereins und in den sozialen Netzwerken, Berichte in den lokalen, häufig auch in den überregionalen Medien. »Wir können auch deshalb so günstige Ausstellungskonditionen bieten, da die Vermieterin der Galerieräume eine Genossenschaft ist, die uns duldet und die Miete noch nicht erhöht hat«, erklärt Christina.

Allan Aine, Ich bin ein Berliner, Vernissage in der Nachbarschaftsgalerie, November 2013. Foto © Nachbarschaftsgalerie
Allan Aine, Ich bin ein Berliner, Vernissage in der Nachbarschaftsgalerie, November 2013. Foto © Nachbarschaftsgalerie

Zwölfmal im Jahr

Die meisten Künstlerinnen und Künstler aus der näheren und entfernteren Umgebung entscheiden sich, wegen der tragbaren Kosten ihre Werke einen Monat lang in der Nachbarschaftsgalerie zu zeigen. Zwölf Ausstellungen im Jahr: Das muss doch ein großer Aufwand für die ehrenamtliche Leiterin sein? Doch Christina bestreitet es: »Ich finde, dass eine einmonatige Ausstellung fast schon zu lange ist. Die Tendenz sind heute Pop-Up Ausstellungen, also Riesenevents, die nur ein Wochenende dauern und wofür die Teilnehmenden viel Geld hinblättern müssen, auch wenn sie häufig nichts verkaufen können.« Das Problem ist nicht die Ausstellungsdauer, sondern das häufig wechselnde ehrenamtliche Galeriepersonal: »Es ist nun halt so, dass die Leute Kinder kriegen, wegziehen oder Sorgen um ihren Job haben. Deshalb haben sie keine Kraft oder keine Muße, ihre knappe Freizeit der Vereinsarbeit zu opfern. Es ist sehr schwer, langfristige ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden, die am Wochenende in der Galerie sitzen, die beim Aufbau der Ausstellungen helfen, die ein handwerkliches Talent haben und zum Beispiel mit einem Bohrer hantieren können.«

Allan Aine, Ich bin ein Berliner, Nachbarschaftsgalerie, 2013. Foto © Nachbarschaftsgalerie
Allan Aine, Ich bin ein Berliner, Nachbarschaftsgalerie, 2013. Foto © Nachbarschaftsgalerie

Brückenschlag nach New York

Die Sache mit dem besagten Werkzeug liegt Christina nicht, obwohl ihre Stärke offensichtlich darin besteht, dicke Bretter zu bohren. Wenn man die von ihr organisierten Ausstellungen besucht, sind dort keinerlei Probleme, sondern Kunstwerke zu sehen, die durch gestalterische und inhaltliche Qualität überzeugen, sodass immer mehr Kunstbegeisterte nicht nur aus dem Kiez zu den Vernissagen in die Nachbarschaftsgalerie kommen: »Mein bisheriges Highlight waren hundert, vor allem junge Leute, die an der Eröffnung der Ausstellung >Ich bin ein New Yorker< am 9. November 2013 teilgenommen haben. Der US-amerikanische Streetartist Alan Aine malte damals ein Porträt an die Wand. Auf diese Aktion werde ich noch heute von den Anwohnern angesprochen, obwohl seine Ausstellung bis Anfang Dezember dauerte.« Der New Yorker Künstler ist ein Beweis dafür, dass alle Wege nach Alt-Treptow, und zwar in die Nachbarschaftsgalerie führen: »Im Frühjahr 2013 war ich in New York und habe Alans Arbeiten gesehen, ohne ihn zu kennen. Als ich nach Berlin zurückkehrte, stellte sich heraus, dass der Streetartist einen Freund und Mentor im Kunger Kiez hat, den er gerade besuchte. Der sagte ihm, dass er in die Galerie gehen soll, um mir sein Portfolio zu zeigen. So kam es zu der Ausstellung, die unser Brückenschlag nach New York ist. Und auch dort scheint seiner Karriere nichts mehr im Weg zu stehen, denn er teilte mir neulich per SMS mit, dass sie explodiert und er bereits ein erfolgreicher Künstler ist.«

Conrad Reustle, Nachbarschaftsgalerie, 11.03.2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Conrad Reustle, Nachbarschaftsgalerie, 11.03.2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Kunst ist echt

Die gegenwärtige Ausstellung in der Nachbarschaftsgalerie heißt »Dynamics And Contrast« und schlägt sozusagen eine Brücke zwischen dem Bodensee und der Spree. Sie zeigt knapp 20 großformatige Gemälde und kleinere Papierarbeiten von Conrad Reustle aus Konstanz, der nun auch seit über vier Jahren im Berliner Südosten, nämlich in Schöneweide lebt. Dynamisch und kontrastreich sind die Bilder des 25-Jährigen: eine Hommage an die Action Painting. Es sind gleichermaßen expressive wie harmonische Gemälde, die von einem beachtlichen Talent des jungen Künstlers zeugen. Er kombiniert darin Techniken und Materialien, spachtelt und schichtet Acryl- und Ölfarben, Tempera, Teer, Lack und Harz auf Leinwand. Er hat ein sicheres Gefühl für Farben und Formen, sodass seine bunten Bilder getönt und ruhig wirken, während die Schwarz-Weiß-Kompositionen wie ein Regenbogen leuchten. Er ist ein Künstler, der bereits jetzt sein Handwerk meisterhaft beherrscht. »Ich habe Philosophie studiert und parallel dazu als Ausgleich gemalt«, sagt Conrad Reustle, der auch Gedichte und Erzählungen schreibt. »Ich habe keine Existenzängste, denn ich brauche nicht viel, um zu leben. Hätte ich Druck, würde ich ganz schnell den Sinn für Kunst verlieren. Kunst bedeutet für mich Echtheit, ich muss sie also von der Existenz trennen. Diesen ganzen Existenzialismus in der Kunst finde ich lächerlich, denn Kunst ist eine rationale, distanzierte, sophistische Disziplin. Sie ist nichts Existenzielles, Kämpfendes, Blutrotes, nichts, was von Leidenschaft trieft.« Dass seine Worte echt sind, kann sich in der Nachbarschaftsgalerie wirklich sehen lassen. Chapeau, Conrad! Hut ab!

Text & Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 6, März 2014


Conrad Reustle
Dynamics And Contrast
noch bis zum 2. April 2014
Nachbarschaftsgalerie der KungerKiezInitiative e.V.
Karl-Kunger-Straße 15, 12435 Berlin
Öffnungszeiten: Donnerstag bis Sonntag von 15 bis 19 Uhr
www.kungerkiez.de