Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dietmar Rübel von der Hochschule für Bildende Künste in Dresden über seinen Beitrag zur Ausstellung »Sigmar Polke. Eine Hommage. Bilanz einer Künstlerfreundschaft Polke/Staeck«.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Herr Rübel, die zehn großformatigen Bilder unter dem Titel »Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen« von Sigmar Polke standen im Mittelpunkt der gleichnamigen, von Ihnen mitkuratierten Schau in der Hamburger Kunsthalle, die vom internationalen Kunstkritikerverband AICA zur Ausstellung des Jahres 2009 gekürt wurde. Jetzt sind sie zum ersten Mal in Berlin, in der Akademie der Künste am Pariser Platz, zu sehen. Wie kam es zu dieser Premiere?
An dem Gruppenprojekt für die Hamburger Kunsthalle, woran sich neben mir Dorothee Böhm, Petra Lange-Berndt und Michael Liebelt beteiligten, haben wir fast drei Jahre gearbeitet, weil Sigmar Polke sich sehr schwer damit getan hat, dass wir die 1970er Jahre, dieses vermeintlich verruchte Jahrzehnt in seinem Leben und Werk, wieder entdeckten. Ihm gefiel es nicht, dass wir ihn als politischen Künstler zeigen wollten. »Die Leute werden das nicht verstehen. Ich bin doch der Clown und der Spaßmacher«, sagte er. Das war eine der typischen Polke-Posen, wie etwa Faulpelz, Einsiedler oder Alchemist, die ihm dazu dienten, sich zu verstecken. Ich glaube, dass er durchaus politische Kunst gemacht hat – und das ist sehr zentral für seine Arbeit.
Wann hat Sigmar Polke Ihrer Ausstellungskonzeption zugestimmt?
Als es klar war, dass wir ein wissenschaftliches Anliegen hatten, stand für uns die Tür offen, denn wir wussten, dass es eine Zusammenarbeit mit ihm geben wird. Ich hatte übrigens kaum Probleme, Sigmar Polke zu erreichen. Eine sms hat meist gereicht. Das war seine bevorzugte Technik der Kommunikation. Polke hat dann angerufen.
Das klingt interessant, denn Klaus Staeck zeigt in der »Hommage an Sigmar Polke«, dass der Künstler sehr schwer erreichbar war…
Wen ich nicht erreicht hatte, war Klaus Staeck! Er hatte eine andere Strategie als Verleger und sagte nicht: »Ich bin nicht erreichbar«, sondern »Ich kann das jetzt leider nicht finden.« Wie in dem bekannten Satz von Thomas Bernhard: »Der Verleger verlegt alles.« Polkes Arbeiten aus Klaus Staecks Archiv, die wir in Hamburg zeigen wollten, hat er leider nicht gefunden. Und jetzt ist es dazu gekommen, dass wir sie in Berlin zusammen mit den »Kleinbürgern« präsentieren können.
Was war der Ausgangspunkt für die gegenwärtige Polke-Ausstellung?
Vor allem das Interesse am offenen, politischen Sigmar Polke. Es war eine gemeinsame Entscheidung auf seiner Beerdigung in Köln im Juni 2010, als Klaus Staeck mich und Michael Liebelt angesprochen hatte, ob wir uns gemeinsam an einer Gedenkausstellung für Polke beteiligen sollten – und wir sagten spontan zu.
Was ist das Besondere an Sigmar Polkes Kunst in den 1970er Jahren?
Es ist ein vergessenes Jahrzehnt in Polkes Werk gewesen. Bis zur Hamburger Ausstellung war er der Künstler, den alle als gebildeten Humanisten und für den Kapitalistischen Realismus liebten, aber dieser unbequeme, ätzende, provokative und auch widerborstige Polke war vielen nicht geläufig.
Warum?
In den Siebzigern hatte Polke seine künstlerische Strategie, auch sein privates Leben, vollkommen umgekrempelt. Er hatte mit dem Kapitalistischen Realismus der 1960er Jahre, der für mich eher ein Kleinbürgerlicher Realismus ist, gebrochen, seine Familie verlassen, und er ist auf einen Bauernhof am Niederrhein gezogen, den er mit einer Freundin gemietet hatte. Dort sind viele Künstler, darunter auch Musiker, gekommen. In dieser Zeit radikalisierte Polke seine Strategie, er war damals am politischsten. Er betrieb systematische Grenzüberschreitung, gab sich als androgyner Künstler, trat geschminkt, in Schlangenlederhosen und wilden Pelzen auf. Er wirkte wie eine Mischung aus Lude und Rockstar. In seiner Kunst wandte er sich ganz neuen Themen zu: nicht mehr dem »Berliner« aus der »Bäckerblume« oder sonstigen Spießerbildern wie »Flamingos«, sondern er entdeckte für sich den Underground, linke Sponti-Zeitschriften aus aller Welt, woraus er ein großes Universum sampelte. Von 1972 bis 1976 arbeitete er an seinem Zyklus, den er, typisch Polke, »Wir Kleinbürger!« nannte.
Tatsächlich ein etwas seltsamer Titel, wenn man bedenkt, dass sein damaliges Auftreten alles andere als kleinbürgerlich war…
Ja, es war eine merkwürdige Wendung, dass er sich als Künstler immer noch zu den Kleinbürgern rechnete. Für seinen zentralen Zyklus der 1970er Jahre übernahm er kurz vor dessen Beendigung im September 1976 den Titel eines Essays von Hans-Magnus Enzensberger aus dem »Kursbuch«, worin er sich dem Kleinbürgertum widmete. Enzensberger bekannte sich damals als Erster zum Kleinbürgertum, das er als eine innovative, unsichtbare und auch von Marx übersehene Klasse, den eigentlichen Motor Deutschlands, beschrieb. Und Polke schlug sofort zu, indem er Testbilder für Kleinbürger, eine harte Mischung aus Sex, Drogen, Terrorismus und Feminismus malte. Es sind Testtafeln für das Kleinbürgertum, die zeigen, wie weit es gehen kann.
Der Künstler beabsichtigte damit eine Apotheose des Kleinbürgertums?
Nein, er suchte nach Alternativen zum kleinbürgerlichen Leben, was vielleicht trotzdem typisch kleinbürgerlich ist und eine enorme Aktualität auch in unseren Debatten der letzten Jahre hat: Wo ist die neue Mitte? Wo ist das neue Bürgertum? Steht uns ein neuer Aufstand bevor? Was passiert danach mit dem schönen, gemütlichen Bürgertum? Die »Wutbürger« sind natürlich auch ein Thema. Sigmar Polke lieferte ein interessantes Panorama, das in die damalige Zeit sehr gut passt. Er war so ein scharfer Beobachter wie kaum jemand. »Wir Kleinbürger!« sind eine große, wilde Mischung aus Underground, Comics und indizierter Literatur, aus anarchistischen Bombenlegern und Sprayern. Polke interessierte sich schon damals für die Street Art, er arbeitete mit Schablonen, schuf eine Malerei als Antimalerei. Er verwendete nur Vorlagen von Anderen, er sampelte. Jedes der zehn Bilder aus dem Zyklus »Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen« ist in einer anderen Technik gemalt, manches ist grafisch, manches im Spray-Verfahren entstanden. Zwei Bilder hat Sigmar Polke mit phosphoreszierenden Farben gemalt: Ihre Figuren schweben leuchtend in der Dunkelheit.
Gibt es noch viel zu erforschen in Sigmar Polkes Werk?
Ja, die Forschungslücke ist noch nicht geschlossen. Ich bin gespannt, wie die posthume Rezeption seiner Kunst weiter geht.
Text & Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 4, Februar 2011
Sigmar Polke – Eine Hommage
Bilanz einer Künstlerfreundschaft Polke/Staeck
14.01.- 13.03.2011
Akademie der Künste
Pariser Platz 4
10117 Berlin
Di-So 11-20 Uhr
Eintritt 6 / 4 Euro
Bis 18 Jahre und am 1. Sonntag im Monat Eintritt frei
Begleitprogramm
Mittwoch, 23.02.2011, ab 19 Uhr:
Lange Polke-Nacht
Filme, Berichte, Gespräche von und mit Weggefährten, Sammlern und Kollegen
Akademie der Künste
Pariser Platz 4
10117 Berlin
Eintritt 8 / 5 Euro