Sie ist eine Meisterin der erotischen Kunst. Die Zeichnungen, Gemälde, Objekte, Bild-Schrift-Klang- und Filminstallationen der Dorothy Iannone sind eine Hommage an Dieter Roth; ein Lobgesang auf die Erotik als Ausdruck göttlicher Vereinigung von Körper und Geist. Trotz aller Verehrung des Geliebten ist Dorothy Iannone die handelnde Person und die Hauptprotagonistin ihrer Kunst.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Eine schicksalhafte Begegnung: Als der 37-jährige Dieter Roth und die drei Jahre jüngere Dorothy Iannone sich 1967 kennen und auf den ersten Blick lieben lernten, genoss der in Hannover geborene und in Reykjavik lebende Sohn einer deutsch-schweizerischen Familie als Produzent von »Literaturwürsten« und einzigartigen Kunstbüchern eine gewisse Popularität, während die kleine zierliche und schwarzhaarige Amerikanerin und Literaturwissenschaftlerin, die bunte Umrissfiguren aus Holz bastelte und sie mit exponierten Geschlechtsteilen versah, künstlerisch noch ein unbeschriebenes Blatt war. Er hatte schon eine gescheiterte Ehe hinter sich, sie lebte wohlbehütet und eher unbefriedigt mit ihrem Mann, dem Maler und Mathematiker James Upham, in New York City. Während einer Psychoanalyse entdeckte sie ihre unerfüllte Sehnsucht nach Liebe. Der amerikanische Konzeptkünstler Emmett Williams, ein Freund und Bewunderer Dieter Roths, lud das Ehepaar Iannone-Upham ein, ihn auf einer Seefahrt mit einem Frachter in die isländische Hauptstadt zu begleiten. Eines Morgens liefen sie in den dortigen Hafen ein. »Dieter war da auf dem Pier und erwartete uns«, erinnert sich Dorothy Iannone. »Er trug einen in Zeitungspapier verpackten Fisch unter dem Arm und war ein überaus gut aussehender Mann, der auch nicht abgeneigt zu sein schien, meinem Zauber zu erliegen.« Dorothy verließ ihren Mann und ihr gesichertes Leben und stürzte sich in eine amour fou, die sie zwar recht mittellos, jedoch so glücklich machte, dass sie ihre Gefühle nicht in Worte fassen konnte. Nur in der Kunst sah sie die Möglichkeit, ihr Glück auszudrücken. Sie war, wie der Text auf einem ihrer Bilder verkündet, »die Sklavin, die beginnt, sich frei zu fühlen.«
Magnetisiert und inspiriert
In Dieter Roth hat Dorothy Iannone ihre Muse gefunden, die sie zur Kunst der Liebe führte. Der Geliebte wurde zum Kultobjekt und Fetisch, der Liebesakt stieg zum Symbol höchster körperlich-geistiger Vereinigung auf. Ihre Liebesbeziehung, die sieben Jahre hielt und deren Liebestempel Mietwohnungen und Hotelzimmer in Reykjavik, Basel, Düsseldorf, Stuttgart und London waren, prägte Dorothy und ihre Kunst für immer, denn auch nach dem Scheitern dieser Liaison blieb sie ihrem vergötterten Dieter bis zum Ende seines Lebens 1998 als treue Freundin erhalten: »Sein Banner war Wahrheit. Gequält, verzückt, trunken und nüchtern magnetisierte, inspirierte und stärkte er jeden, der sein Kraftfeld betrat. Der König ist tot, lang lebe sein Werk«, schrieb Dorothy 2000 auf ihrem Bild »Miss My Muse« zwei Jahre nach dem Tod ihres einstigen Geliebten und Freundes. So sind die Bilder und Objekte, die die amerikanische Autodidaktin während der gemeinsamen Zeit mit Dieter Roth kreierte, aber auch spätere Kunstwerke, darunter eigenartige Bild-Schrift-Klang und Videoinstallationen, eine Hommage an den Mann, der ihr so viele Sinnesfreuden bereitete, ein Lobgesang auf die Erotik als Ausdruck göttlicher Vereinigung zwischen Körper und Geist: Liebende kennen keine Tabus und keine Prüderie. Wenn man sich liebt, ist alles erlaubt. Die naive, farbenfrohe, überbordende, ornamentale und doch sehr filigrane und indischen Tempelfiguren nachempfundene Kunst der Dorothy Iannone ist eine Art Kamasutra für den häuslichen Gebrauch. Ihre erotischen Bilder mit überdimensionierten Geschlechtsteilen, die das Liebespaar in Positionen zeigen, von der Missionarsstellung meistens weit entfernt, lassen manchmal, trotz ihrer autodidaktisch anrührenden Unbeholfenheit und künstlichen Naivität, an die erotischen Radierungen eines Picassos denken, obwohl sie von dessen Meisterschaft und Sinnlichkeit weit entfernt sind.
Aufhebung und Überklebung
Dorothy Iannone, am 9. August 1933 in einer italienischstämmigen Familie in Boston geboren, war in ihrem Eintreten für die sexuelle Freiheit als Ausdruck individueller Freiheit ihrer Zeit weit voraus: Anfang der 1960er Jahre setzte sie sich erfolgreich für die Aufhebung des Verbots der als Pornografie eingestuften Büchern von Henri Miller in den USA ein. Fast ein Jahrzehnt vor der sexuellen Revolution begann sie, nach einer Phase der vom abstrakten Expressionismus beeinflussten Bilder, erste figürliche erotische Darstellungen von Männer und Frauen zu malen. Doch während in ihrem Bekanntenkreis in New York City ihre Arbeiten, darunter auch die Mitte der 1960er Jahre entstandene Serie der mit Genitalien reich geschmückten Holzfiguren unter dem Titel »People« niemanden schockierten, wurden sie in Deutschland und der Schweiz als Pornografie bewertet und bis in die 1990er Jahre mit Ausstellungsverbot belegt, überklebt oder aus Ausstellungen in Galerien und Museen entfernt. Sittenrevolutionen hin oder her: Die erotische Kunst galt lange Zeit als Männersache, ein unverhüllter weiblicher Blick auf die Erotik rief Wächter der öffentlichen Moral auf den Plan.
Doro und Dieter daheim
Während Dorothy Iannone in Dieter Roth ihre Muse gefunden hatte, die sie bis heute anregt und wodurch sie zu einer Meisterin erotischer Kunst wurde, ist der Einfluss, den sie auf den Universalkünstler, der in seinen Bildern, Grafiken, Objekten, Büchern, Gedichten, Foto- und Videoinstallationen vor allem die Vergänglichkeit, das Kaputte, Kranke, Verderbliche und Weggeworfene sowie Wut und Zerstörungswut thematisierte, schwer greifbar. In der Zeit, als sie ein Paar waren, entdeckte er verderbliche Materialien wie Wurst, Käse, Zucker, Schokolade, Obst, Gewürze als Material, das er in Plexiglas oder Kunstfolie presste, wo sie sich langsam auflösten oder verschimmelten. Der stilistische und handwerkliche Unterschied zwischen den beiden Liebenden, die die Kunst zu ihrem Lebensinhalt machten, könnte kaum größer sein: Seine Werke strotzen zwar vor Kraft und Energie, sind aber kompositorisch streng geordnet und ihre Farben, wirken sie noch so expressiv, erscheinen doch sehr gedämpft. Dorothys farbenfrohe oder schwarzweiße Bilder und Zeichnungen, die zur Art Brut zugerechnet werden können, sind ein Hohelied auf die Liebe und das Leben. 1969, als Doro und Dieter ein Apartment in Düsseldorf bewohnten, fertigte Iannone den Siebdruck »At Home«, der ihre Zweisamkeit und ihr erotisches Glück detailliert illustriert. Es ist die Inszenierung des häuslichen Eden, in dem die Liebe keine Sünde sein kann, denn die Liebenden sind unschuldig und rein; von schönen Gegenständen umgeben, kultivieren sie ihre theatralische Harmonie, die Harmonie einer idealisierten Beziehung, die nicht von dieser Welt sein kann.
Im Zeichen der Löwin
»At Home«, genauso wie alle anderen Arbeiten der amerikanischen Künstlerin, wirkt seltsam statisch und erstarrt: ein schmuckes erotisches Märchen ohne Sinnlichkeit. Dieter Roth reagierte ein Jahr später auf dieses Blatt mit dem Siebdruck »Daheim«, einem ungewohnt aggressiv farbigen und chaotischen Bild, das an ein Schlachtfeld erinnert, in dem noch die letzten Brände lodern und die Sinne sich gewaltsam entladen. Als sich dann 1972 in ihrer Beziehung eine Krise anbahnte, die tatsächlich dazu führte, dass Dorothy ihren Liebhaber 1974 verließ, nach Frankreich zog, und sich zwei Jahre später dauerhaft in Berlin niederließ, schuf er eine Grafik mit der Unterschrift: »Im Reiche der Eifersucht. The Lioness, Me and (My Lioness) Doro« mit Umrissen einer männlichen Büste, auf der ein löwenähnlicher verführerischer Frauenakt liegt. Auf Drucken und Postkarten malte Dieter Dorothy häufig als Löwin, denn sie wurde im Sternzeichen des Löwen geboren, und er nannte sie gern seine Löwin oder sogar »Her Lioness« (Ihre Löwenheit). Auf eines der Postkartenbilder schrieb er: »Tief im Herzen meiner Einsamkeit denke ich an die Kunst meiner Löwin.«
Späte Retrospektive
Doch die »Kunst seiner Löwin« wurde lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen und galt höchstens als Werk einer exzentrischen Autodidaktin, die ihre genitale Fixierung schamlos demonstriert. In Berlin, wo sie schon fast seit 50 Jahren lebt, war ihr vielseitiges, aus Bildern, Grafiken, Buch- und Klangobjekten bestehendes Oeuvre selten und eher am Rande des Kunstgeschehens zu sehen. Sie musste 80 Jahre alt werden, um in den Genuss ihrer ersten Einzelausstellung in einem Berliner Museum zu kommen. Besser später als nie: Das lange Warten hat sich gelohnt, denn Dorothy Iannones Retrospektive »This Sweetness Outside Of Time« in der Berlinischen Galerie führt vor, was für ein riesiges kreatives Potenzial in dieser kleinen, zierlichen und im wahren Leben recht zurückhaltenden Frau steckt. Die 150 in dieser Schau versammelten Arbeiten umfassen einen Zeittraum von 1959 bis heute und sind eine Orgie von Farben, Formen und Klängen. Es ist ein opulentes und anrührendes Gesamtkunstwerk, bestehend aus Bildern und Worten, die einzelne Bilder und Bilderserien kommentieren oder aus den Sound- und Videoboxen nach außen dringen und sich zu einem Hohelied auf die Liebe formen.
Das ist ihre Welt
Dorothy Iannone scheint eine Hohepriesterin der Liebe zu sein. Sie huldigt dem schönen Sex, jener Süße, die sie, außerhalb der Zeit, zum Malen, Schreiben, Werkeln, Singen und Filmen anregt, wobei sie immer, trotz aller Verehrung und Vergöttlichung des Geliebten, die handelnde Person, die Hauptprotagonistin ihrer Kunst bleibt. Und sie ist der Zeit stets voraus, wovon die vielen in der Berliner Galerie präsentierten Objekte zeugen. Dazu gehören die »Singing Boxes«, ferner Kunstbücher, Kunstmöbel und Kunstkarten, die sie seit Anfang der 1970er Jahre schuf. Nicht zu vergessen die Videos, die sie in ihre Arbeiten integrierte. Der eye catcher der Skulptur »I Was Thinking Of You« von 1975 ist ein Bildschirm, auf dem das Gesicht einer Frau in allen Stadien der sexuellen Erregung bis hin zum Orgasmus verewigt wurde. Diese Frau ist die Künstlerin persönlich, die sich selbst dabei filmte, wie sie den Höhepunkt erreicht. Es ist in der Berlinischen Galerie in aller Ausführlichkeit zu sehen, zu hören und zu lesen: Dorothy Iannone ist von Kopf bis Fuß auf Liebe eigestellt. Das ist ihre Welt. Und sonst gar nichts.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 5, März 2014
Dorothy Iannone
This Sweetness Outside Of Time
Gemälde, Objekte, Bücher 1959 – 2014
2.02.-2.06.2014
Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin
Mittwoch – Montag 10 bis 18 Uhr
Dienstag geschlossen
Eintritt 8/5 Euro
Freier Eintritt bis 18 Jahre