Die Ausstellung »Else Lasker-Schüler. Die Bilder« im Hamburger Bahnhof zeigt die Lyrikerin als Zeichnerin
Else Lasker-Schüler wollte eigentlich Malerin werden. Ihr bildnerisches Werk, lange Zeit nicht angemessen gewürdigt, wurde im vorigen Jahr im Jüdischen Museum Frankfurt ausgestellt. Jetzt kann die umfassende Retrospektive mit 150 Zeichnungen, Briefzeichnungen, Collagen, bemalten Postkarten sowie Buch- und Zeitschriftenillustrationen der avantgardistischen Bild- und Wortkünstlerin im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart besichtigt werden.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Sie war klein und zierlich, und doch nicht zu übersehen, denn sie sorgte als Meisterin der Selbstinszenierung, als Spoken-Word-Performerin und Aktionskünstlerin lange bevor diese Begriffe erfunden wurden für großes Aufsehen. Die am 11. Februar 1869 in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal) als jüngstes von sechs Kindern in der großbürgerlichen Familie des jüdischen Privatbankiers Aaron Schüler geborene Elisabeth heiratete mit 25 Jahren den Arzt Berthold Lasker und zog mit ihm nach Berlin, wo sie fast vier Jahrzehnte verbrachte und zu den schillerndsten Persönlichkeiten der Berliner Boheme gehörte. Sie war eine emanzipierte Frau, die sich um keine Konventionen scherte. 1903 ließ sie sich von ihrem ersten Mann scheiden und heiratete den neun Jahre jüngeren Schriftsteller und Komponisten Georg Levin, dem sie den Namen Herwarth Walden verpasste und der von 1910 bis 1932 die Avantgarde-Zeitschrift Der Sturm herausgab. Auch ihre zweite Ehe war nicht von langer Dauer und wurde nach neun Jahren geschieden. Männer spielten in Else Lasker-Schülers Leben eine große Rolle, vor allem als Musen. Sie inspirierten und motivierten sie zu künstlerischen Leistungen und enttäuschten sie im Alltag, sodass sie sich ein eigenes lyrisches und bildnerisches Reich schuf, um der tristen Wirklichkeit zu entkommen. Ihr wahres Leben war von persönlichen Tragödien und Entbehrungen geprägt. Ihr Sohn Paul starb mit 28 Jahren an Tuberkulose. Nach der Scheidung von Herwarth Walden hatte sie keine Wohnung, hauste in billigen Pensionen, schrieb in Berliner Cafés, zeichnete auf karierten Heftblättern oder auf der Rückseite von Telegrammen:
»Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande und seitdem vegetiere ich.«
»Sie schlief oft auf Bänken«
Bis 1910 nannte sie sich »Prinzessin Tino von Bagdad«, danach erfand sie ihr neues Alter Ego, dem sie bis zum Ende ihres Lebens die Treue hielt. Das war »Prinz Jussuf von Theben«, ein biblisch-koranisches, androgynes Wesen, dessen Reich ihre fiktionalisierten Freunde bevölkerten. In »Jussuf« schlug sich ihre ganze Sehnsucht nach dem idealisierten Orient nieder, »nach den fernen Ländern, die ich schon von meinen Büchern her kannte: dem Hebräerland.« Else Lasker-Schüler war eine autothematische Künstlerin und stilisierte sich zu einem Gesamtkunstwerk.
»Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante weite Röcke oder Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit auffallendem, unechtem Schmuck, Ketten, Ohrringen, Talmiringe an den Fingern, immer in aller Blickpunkt. Sie schlief oft auf Bänken und sie war arm in allen Lebenslagen und zu allen Zeiten. Das war der Prinz von Theben, Jussuf, Tino von Bagdad, der schwarze Schwan. Und dies war die größte Lyrikerin, die Deutschland hatte«,
schrieb Gottfried Benn, den sie 1912 im legendären Café des Westens am Kurfürstendamm kennen und lieben lernte. Deutschland dankte Else Lasker-Schüler dafür 1932 mit dem Kleist-Preis, doch bereits im April 1933 musste sie Berlin verlassen und emigrierte nach Zürich, wo sie Arbeitsverbot erhielt. 1938 erkannte ihr das Dritte Reich die deutsche Staatsangehörigkeit ab. Ihre Zeichnungen wurden von den nationalsozialistischen Behörden als »Entartete Kunst« stigmatisiert und beschlagnahmt. Vereinsamt und vergessen starb sie am 22. Januar 1945 in Jerusalem.
»Flut, bunte Flut«
Als die avantgardistische Künstlerin in Berlin lebte, sehnte sie sich nach dem archaischen »Hebräerland«. In Palästina sehnte sie sich nach Berlin. Jetzt kann, nach langer Abwesenheit, das zeichnerische und von Sehnsucht geprägte Werk der Else Lasker-Schüler im Hamburger Bahnhof erkundet werden. Ihre Ausstellung »Die Bilder« zeigt das unter dem Einfluss der altägyptischen Kunst und von Franz Marc, mit dem sie bis zu seinem frühen Tod 1916 bei Verdun befreundet war, entstandene und auf Papier gebannte, bunte und mit glänzendem Bonbonpapier beklebte Reich des Prinzen Jussuf von Theben: Fakire, abessinische Juden, Dolchtänzer, Feuerschlucker, Indianerinnen, Kamele, Elefanten, Bisons, orientalische Städte, also die damalige Vorstellung von einer idealisierten, fremden Kultur, die zu einem beliebten Motiv der populären europäischen Kultur wurde. Die kleinformatigen Arbeiten fügen sich zum intimen Tagebuch einer Frau zusammen, die zugleich Bild- und Wortkünstlerin war. Ihre Bilder sind mit lyrischen Textfragmenten beschriftet, in Postkarten und Briefen ersetzt sie Worte durch Zeichen: Sterne, Monde, Münder, Augen. Die im dunkelgestrichenen und deshalb vielleicht absichtlich wie eine Pharaonengruft anmutenden Saal ausgestellten Werke von Else Lasker-Schüler sollte man sich nicht entgehen lassen, obwohl sie stellenweise rührend unbeholfen und für die heutige Zeit etwas pathetisch und naiv wirken. Else Lasker-Schüler war eine begabte Autodidaktin, die sich selbst häufig als »Dilettantin« bezeichnete.
»Nicht, dass ich entzückt von meinen Strichen und Farben bin, aber es ist doch mal gehobenes Blut, Flut, bunte Flut«,
schrieb sie am 8. September 1927 an ihren Bekannten Paul Goldscheider nach Elberfeld.
Text © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 8 / April 2011
Else Lasker-Schüler. Die Bilder
21.Januar – 1. Mai 2011.
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart
Invalidenstraße 50-51
10557 Berlin
Di, Mi, Do, Fr, So 10-18 Uhr, Sa 10-20 Uhr
Eintritt 8/4 Euro.
Katalog:
Else Lasker-Schüler
Die Bilder
Jüdischer Verlag
im Suhrkamp Verlag
2010
Preis: 29 Euro