»L´amour du risque« heißt die Ausstellung im me Collectors Room, in der zum ersten Mal in Berlin das facettenreiche Werk von Eva & Adele umfassend präsentiert wird. Ihre Arbeiten, darunter Malerei, Zeichnungen, Skulpturen und Videoinstallationen, sind autothematisch und biografisch und zeigen, mit welcher Konsequenz, der ein stringentes Konzept zugrunde liegt, die Beiden ihren Weg gehen und alles verwerten, um den Kreislauf der Kunst mit Zeugnissen aus ihrem Leben zu nähren. »Die Liebe zum Risiko« ist eine abwechslungsreiche und kurzweilige Schau mit Charme, Humor und Selbstironie.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Sie sind einzigartig und unnachahmlich, diese Art Twins, die seit Anfang der 1990er Jahre durch die internationale Kunstwelt lustwandeln. Die beiden Paradiesvögel nennen sich Eva & Adele, tragen Glatzen und selbst entworfene feminine Kostüme, handgefertigte Schuhe, Taschen und bezaubernde Broschen, sie treten immer im Unisex Look auf, sind wie aus dem Ei gepellt, perfekt gestylt, frisch, freundlich, lächelnd. Sie haben gute Manieren und verbreiten immer gute Laune, auch wenn sie für unzählige Fotos gerade stehen. Viele Menschen, die ihnen weltweit in den Vernissagen, Kunstmessen, Konzerten, Opernpremieren oder anderen Kulturevents begegnen, verspüren den verständlichen Drang, sich mit ihnen ablichten zu lassen. Die Gegenwart von Eva & Adele an einem Ort ist eine doppelte Adelung: Sie bedeutet, dass dort etwas Wichtiges geschieht; ein Bild mit ihnen bringt Glanz in den häufig ach so grauen Alltag der Normalos, und im Nu wird es in den sozialen Medien verbreitet.
Nicht nur eine Kunstfigur
Wer aber meint, dass die beiden Living Sculptures, die, laut ihrer Devise »Wherever We Are Is Museum«, sich darin erschöpfen, jeden durch ihre Präsenz geadelten Ort in einen Musentempel zu verwandeln, wird eines Besseren belehrt. Ihr alle Blicke auf sich ziehendes Outfit ist kein Selbstzweck: Es dient vor allem der Kommunikation. Ihre Kleider, die sie zu Recht Kostüme nennen, sind mitnichten einschüchternde Uniformen. Sie schaffen keine Distanz, sondern fordern die Leute geradezu auf, Eva & Adele anzusprechen, ein Paar freundliche Worte mit dem Paar auszutauschen, um ein Autogramm zu bitten. Es sind geduldige und kultige Performerinnen, die durch die Kunstwelt, aber auch durch den öffentlichen Raum flanieren, für und mit anderen entspannt posieren und Kataloge oder Einladungskarten signieren. Ihr Äußeres zeugt vom Respekt, den sie für andere haben, deshalb zollt man ihnen auch Respekt. Und – obwohl sie als Kunstfigur(en) das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, versuchen diese zwei offensichtlich reifen Damen in Pastell oder in kräftigen Farben nicht, sich mithilfe der Schönheitschirurgie zu verjüngen: Sie lassen so manchen Teenager alt aussehen und verblassen. Und weil keine Haarpracht ihre Köpfe schmückt, lassen sich auch solche, die ihnen zuerst mit Skepsis begegnen, von ihren strahlenden Augen bezaubern.
Inkarnation der Perfektion
Eva & Adele zu sein bedeutet, viele Grenzen zu überwinden. In erster Linie die Grenze zwischen Kunst und Leben. Das mag abgedroschen und trivial klingen, aber die Beiden leben seit fast drei Dezennien als Kunstwerk: Stunde für Stunde, Tag für Tag und Jahr für Jahr. Es gibt wohl niemanden, der sie in Räuberzivil erlebt hätte. Spontane Besuche in ihrer Charlottenburger Wohnung sind ausgeschlossen. Auch wenn sie einkaufen oder zum Arzt gehen, sehen sie comme il faut aus. Auf einen öffentlichen Auftritt, auch wenn er am frühen Vormittag stattfinden soll, bereiten sie sich akribisch vor. Ihre Antlitze sind Leinwände, auf die sie, nach Art der Renaissance-Malerei, mehrere Schichten Schminke wie Farbe auftragen. Vorher werden, wofür Eva zuständig ist, Kostümpläne, die Partituren ähneln, erstellt, nur dass dort statt Noten alle Kleidungsstücke inklusiv Dessous und anderen Accessoires, die sie als Kunstwerk tragen, aufgelistet sind. Das Ergebnis dieses langen und aufwändigen Prozesses ist immer ein barockes Doppelgebilde, das einer fast schon übermenschlichen Disziplin entspringt. Das ist logisch, denn Eva & Adele haben ihren Werdegang als Gesamtkunstwerk in allen Einzelheiten geplant. Sie setzten das berühmte Motto »Ich ist ein anderer« des französischen Dichters Arthur Rimbaud in die Tat um, löschten ihre wahre Identität aus, legten sich eine wohlklingende Legende zu – und landeten an Bord einer Zeitmaschine aus der Zukunft in der Gegenwart von Berlin der unmittelbaren Nachwendejahre gleich am richtigen Ort. Als androgynes Paar lieferten sie eine überraschende Hochzeitsperformance ganz in Weiß mit zwei schwarzgekleideten Doppelgängern als Zeugen vor den Augen und Kameras der Medien, die sich zur Vernissage der legendären Ausstellung »Metropolis« am 11. April 1991 im Martin-Gropius-Bau versammelt haben – und die unverhoffte, aber frohe Botschaft von der Geburt eines doppelten Kunststars in die Welt trugen. Diese Hochzeit war zugleich visionär: eine Vorwegname der Ehe für alle. Kein Wunder bei einem aus der Zukunft kommenden Paar, das für seine Kunst den Begriff »Futuring« erfunden hatte.
Retrospektive der Superlative
Dass Eva & Adele mehr zu bieten haben als nur ihr futuristisches Outfit, das in Wirklichkeit durch die Liebe zum Detail und die perfekte Ausführung wohltuend altmodisch wirkt, wurde in Berlin lange nicht zur Kenntnis genommen oder schlicht übersehen. Zwar wurden ihre Werke 1999 im Neuen Berliner Kunstverein und 2013 in der einstigen Bötzow-Brauerei, wo seitdem die Lichtschrift »Futuring« den Schornstein ziert, gezeigt, doch sie wurden vor allem als Zierde der Kunstevents wahrgenommen. Nun ist Eva & Adele endlich dort angekommen, wo ihre Kunst hingehört: in Berlin-Mitte, im me Collectors Room der Stiftung Olbricht. In diesem angesehenen Privatmuseum wird jetzt die lange überfällige Retrospektive von Eva & Adele unter dem Titel »L´amour du risque« präsentiert, die offenbart, dass sie sich auch als Malerinnen, Bildhauerinnen und Filmerinnen sehen lassen können. Es ist eine autothematische, konzeptuelle und kommunikative Ausstellung, die zeigt, mit welcher unaufdringlichen Konsequenz die Beiden ihren Weg gehen und alles verwerten, um den Kreislauf der Kunst mit Zeugnissen aus ihrem Leben zu nähren: mit ihren Fotos auf den Covers der Magazine, die ihren Acrylbildern zugrunde liegen; mit ihren alten Bildern, die sie bis zur Unkenntlichkeit übermalen, aber nicht verbergen wollen, das aus den Schichten ein Totenkopf hervorlugt; mit den »Biografischen Skulpturen«, also Dingen, die in ihrem Leben eine Rolle spielten, mit den fast 200 Kostümplänen, die, gerahmt und an einer Wand platziert, wie Arbeiten von Hanna Darboven anmuten; mit geflügelten Kostümen, die eine Metapher der Überwindung aller Grenzen sind. Und mit Filmen und Videoinstallationen, die von Humor und Selbstironie zeugen. Dass sie ein »echtes« Kunstwerk sind, merkt man an den Maßangaben, die sie öffentlich mitteilen: Körpergröße, Oberweite, Taille und Hüfte. Informationen über das Gewicht fehlen, denn dieses ist, wie in Wirklichkeit so üblich, variabel.
Brisant und riskant
Leben ist Kunst und Kunst ist Leben: Nachdem sich die Beiden Ende der 1980er Jahre in Italien gefunden und dann in Griechenland als ein Kunstwerk erfunden haben, haben sie beschlossen, glücklich zu sein und andere glücklich zu machen. Es war nicht immer einfach und oft auch recht riskant, sich als brisante Kunstfiguren zu behaupten, und sie wurden am Angang oft bedroht, doch sie entwaffneten die ihnen nicht Wohlgesinnten mit einem festen und ruhigen Blick in die Augen und mit einem strahlenden Lächeln. Trotz aller Widrigkeiten, die die angeborene oder selbstgewählte Andersartigkeit mit sich bringt, lag es ihnen fern, die Erlösung durch Leiden anzustreben. Ihre Haltung und ihre Kunst sind ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes und selbstgestaltetes Leben, das heißt, zugleich Frau und Mann, aber immer ein aufrichtiger Mensch und sich selbst der Schöpfer zu sein. »Die Liebe zum Risiko« ist eine Schau, in der die Art Twins mal ernst, mal augenzwinkernd ihr Können unter Beweis stellen und zeigen, dass ihnen ihre gemeinsame Arbeit viel Freude und Spaß bereitet. Dem Publikum offensichtlich auch. Das ist ja so oh, là, là! Chapeau bas, Eva & Adele!
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
EVA & ADELE
L’AMOUR DU RISQUE
27.04. – 27.08.2018
me Collectors Room Berlin
Stiftung Olbricht
Auguststraße 68, 10117 Berlin
Mi– Mo 12-18 Uhr
Tipp:
29.07.2018, me Collectors Room
12-18 Uhr:
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