Schon beim Betreten der Ausstellung »Who By Fire« im Haus am Lützowplatz dringen ungewöhnliche Geräusche ins Ohr. Nein, es sind nicht die Klänge des titelgebenden, 1974 von Leonard Cohen aufgenommenen Songs, zu dem ihn das am Rosch ha-Schana und Jom Kippur von aschkenasischen Juden in der Synagoge gelesene Gebet »Unetane Tokef« inspirierte. Sie hören sich wie dumpfe Schläge auf etwas Hartes und Widerstandsfähiges an, hallen lange nach, klingen von Zeit zu Zeit wie zerbrechendes Glas. Erst nach einer Weile wird klar, dass sich ihre Quelle hinter einem schwarzen Vorhang befindet, wo ein Kino eingerichtet wurde. Auf einer Großbildleinwand läuft dort eine neunminütige Videoprojektion mit einem Mann, der auf einer Terrasse vor einer hügeligen Landschaft unter einem strahlendblauen Himmel steht. Dann dreht er sich um, geht einige Schritte zurück, bückt sich und nimmt die am Boden liegende Betonbrocken in die Hände, um sie mit Wucht auf eine mehrteilige durchsichtige Glasfront aus Sicherheitsglas zu schleudern. Die meisten prallen ab, hinterlassen Risse oder Löcher in den Scheiben. Doch manchmal gelingt ihm unverhofft ein Volltreffer und das Glas zerspringt: in große und dann in kleine Scherben, die vielleicht für eine kleine Weile Glück bringen und ihn zu weiteren erfolgreichen Steinwürfen motivieren.
Mächtige Waffe der Machtlosen
Die Videoperformance »Riot Glas« aus dem Jahr 2019 ist ein beeindruckendes und vielschichtiges Werk von Avner Pinchover (* 1980 in Jerusalem). Der in Tel Aviv lebende Künstler wählte als Ort seiner Schleuderaktion eine Landschaft im Norden Israels. Die schöne, obwohl recht karge Umgebung, der sonnige Tag und ein Firmament, das keine Wolke trübt, stehen im krassen Widerspruch zur Gewalt, die sich gegen die am Anfang unsichtbare Glasmauer richtet. Erst die Risse, Löcher und Brüche, die dadurch entstehen, weisen auf ihr Vorhandensein hin. Sie ist ein Hindernis, eine Abgrenzung, ein Wall, eine Sperre, die schwer zu überwinden sind. Um das zu erreichen, wird sie mit Steinen beworfen: Sie sind eine archaische Waffe, die noch heute weltweit bei Demonstrationen und Straßenkämpfen gegen die lokalen und globalen Missstände und die dafür verantwortlichen Machthaber eingesetzt wird. Eine mächtige Waffe der Machtlosen, wirklich und metaphorisch zugleich. Denn, wie in Pinchovers Performance zu sehen ist: Durch stetes Schleudern birst sogar das beste Sicherheitsglas.
Kaktus auf dem Dach
Avner Pinchover ist einer der 12 Künstler und Künstlerinnen, deren Werke in der Ausstellung »Who by Fire: On Israel« versammelt sind. Mit einfachen Mitteln schaffen sie es, komplizierte Inhalte zu vermitteln und einen differenzierten Blick auf ihr Land und dessen große und kleine Probleme zu werfen. Die von Liav Mizrahi (* 1977 in Haifa, lebt in Tel Aviv) kuratierte Gruppenschau im Haus am Lützowplatz zeigt viele Facetten des Alltags in Israel und seine heterogene Gesellschaft, in der säkulare und ultraorthodoxe Juden, Muslime, Christen, Drusen und andere ethnische und religiöse Minderheiten leben. Die an der Schau Beteiligten wurden in den 1950er, 1960er, 1970er, 1980er und 1990er Jahren, also nach der Gründung des Staates Israel geboren und zeigen ihn aus ihrer Sicht. Dazu benutzen sie häufig pflanzliche Symbole. Auf dem Ölgemälde »Cactus on the roof« (2021) von Durar Bacri (* 1982 in Akkon) ist es ein Feigenkaktus, der auf der Dachterrasse seiner Tel-Aviver-Wohnung steht und die sich im Vordergrund erhebenden Wolkenkratzer überragt. »Die Feige, das bin ich, das ist mein Selbstporträt«, schreibt der Künstler im Begleitheft zur Ausstellung, denn überall, wo Araber, vor allem die Palästinenser leben, gibt es auch Feigen. Zugleich möchte Bacri keine politische Kunst machen. Seine Bilder sind beabsichtigt ambivalent, denn die Feige, auf Hebräisch »Tzabar«, auf Deutsch »Sabra« oder »Sabre« bezeichnet auch Juden, die in Israel zur Welt gekommen sind. Sie ist ein Zeichen ihrer dortigen Verwurzelung allen Widrigkeiten zum Trotz.
Baumstupf auf dem Boden
Unter dem »Kaktus auf dem Dach« steht eine kleine Plastik von Ella Littwitz (* 1982 in Haifa, lebt in Tel Aviv). Sie heißt »Promise« und ist ein Bronzeabguss des Stumpfs eines Baumes, der 1898 vom Vordenker des jüdischen Staates und Vater des politischen Zionismus, Theodor Herzl, in Motza gepflanzt wurde. Motza in den Judäischen Bergen am westlichen Rand von Jerusalem ist ein symbolträchtiger Ort. Dort wurde 1854 die erste Moshav in der Neuzeit, die außerhalb der Jerusalemer Altstadt lag, gegründet. Der Baum, angeblich eine Zeder, also ein Symbol von Beständigkeit, Macht und Würde, war Ausdruck von Hertzls Anerkennung für jüdische Siedler, denen neue folgen und Palästina (das damals zum Osmanische Reich gehörte) besiedeln sollten. Es war aber in Wirklichkeit eine Zypresse, die Tod und Trauer versinnbildlicht, und der leider kein langes Leben beschert war. 1915 von türkischen Soldaten niedergebrannt, wurde ihr abgeschnittener und konservierter Stumpf, in einem Käfig aus Eisen und Panzerglas aufbewahrt, auf dem Präsidentenboulevard in Motza aufgestellt. Noch interessanter als das Schicksal der glücklosen Zeder-Zypresse ist die Entstehungsgeschichte des Kunstwerks. Es dauerte zwölf Jahre, bis die Bildhauerin die Genehmigung bekam, ihr »Versprechen« in Bronze zu gießen. 2019 durfte sie das endlich tun und diese weitgehenden vergessenen symbolträchtigen Überreste des Zionismus in Erinnerung bringen: »Ein amputierter Baumstumpf, der auf einem Bein steht und sich auf den Rest einer Terrazzo-Fliese stützt, als sei sie eine Krücke, die es ihm ermöglicht, aufrecht und stolz zu stehen und seine Rolle als verlassenes Denkmal der Träume zu erfüllen«, schreibt Ella Littwitz im Begleitheft zur Ausstellung.
Zebrakraut auf der Fensterbank
Auch Ariel Reichman (* 1979 in Johannesburg, wohnt in Berlin) blickt auf die Geschichte und Gegenwart Israels durch das Prisma der Botanik und wie sie im Alltag rezipiert wird. In den Arbeiten aus der Serie »Sumsum« (Sesam, 2022) zeigt er das lange Leben der gewöhnlichen Dinge und die Rolle, die sie nicht nur hinsichtlich ihres Nutzwerts spielen. Seine wohnliche Installation in einer Fensternische des Hauses am Lützowplatz besteht aus drei kleinen Buntstiftzeichnungen, vor denen drei Hocker stehen. Sie sind alle mit dem Sesam-Ornament bedeckt, das sich bereits im Britischen Mandatsgebiet großer Popuarität erfreute. Es war das Design der Terrazzo-Platten, die als Sesam-Fliesen von 1920 bis 1980 produziert wurden und eine breite Anwendung im israelischen Bauwesen fanden. Da sie fast alle Häuser in Israel schmückten, waren sie Ausdruck einer einst egalitären Gesellschaft. Heute ist die Sumsum-Fliese ein Relikt aus alten Zeiten, gilt als popelig und überholt. Doch sie kehrt wieder in die Wohnungen der wohlhabenden Israelis zurück in Form vom ironischen Retrodesign. Um das Pflanzenreich von Ariel Reichman zu bewundern, wird man dazu ermuntert, auf den Sumsum-Hockern Platz zu nehmen. Und schon nimmt man Gläser mit wurzelnden Stecklingen auf der Fensterbank wahr. Was da gedeiht, ist Zebrakraut, eine auch hierzulande nicht unbekannte Pflanze. In Israel ist sie sehr beliebt und verbreitet und als »The Wandering Jew« bekannt. Unabhängig davon, ob diese Bezeichnung mit der bilblischen Wüstenwanderung des Volkes Israel oder mit der antisemitischen Figur des »Ewigen Juden« aus deutschen und europäischen Volkssagen zusammenhängt, ist die Tradescantia zebrina, wie sie für alle allgemeinverständlich auf Lateinisch heißt, eine wahre Überlebenkünstlerin: anpassungsfähig, wachstumsorientiert und pflegeleicht. Um sich davon persönlich zu überzeugen, kann eines dieser lebenden Kunstwerke als Ausstellungsandenken mitgenommen werden. So kann sie auch in die Berliner Wohnungen wandern und für ein israelisches Ambiente sorgen. Ariel Reichman sei Dank!
Vom Umzug zur Ausgangssperre
Auf eine Wanderschaft ist Michael Halak (* 1975 im Dorf Fassuta am Mont Meron im Nordbezirk Israels südlich der libanesischen Grenze; lebt in Haifa) bestens vorbereitet. Seine Habseligkeiten bewahrt er in einer Sperrholzkiste unter dem Titel »Personal Stuff« (2018), auf die er rasch zurückgreifen kann, wenn er, wie in den letzten Jahren, erneut umziehen muss. In der Ausstellung »Who by Fire« zeigt er darüber hinaus ein Diptychon, bestehend aus zwei mit Öl auf Holz gemalten Pässen: »Curfew I« und »Curfew II« (2020), also seinen israelischen und seinen palästinensischen Pass, die auf Halaks binationale Identität hinweisen. Befestigt sind sie mit Klebebändern, die auf jedem der Pässe ein Kreuz bilden. Der Maler und Objektkünstler, Angehöriger der Melkitischen Griechisch-Katholischen Kirche, bringt auf diese Weise zum Ausdruck, dass er nicht nur eine ambivalente nationale, sondern auch eine konstante religiöse, in seinem Fall christliche Identität hat, die für ihn, unabhängig davon, mit welchen Reisedokument er sich ausweist oder wo er gerade wohnt, ein fester Bezugspunkt seines Lebens und Handelns bleibt. Zugleich spielt »Curfew« (Ausgangssperre) auf den Lockdown während der Covid-Pandemie an, als kein Pass der Welt dazu verhelfen konnte, seine Wohnung für längere Zeit zu verlassen, geschweige denn zu reisen.
Teppich, Körper, Geist
Fatma Shanan (* 1986 in Julis, einem Drusendorf im Norden Israels; lebt und arbeitet in Tel Aviv) schafft großformatige Ölgemälde, denen sorgfältig inszenierte Fotografien oder Videos zugrunde liegen. Ihre Sujets sind die Frauen ihrer Familie aus ihrem drusischen Heimatort, die sie häufig auf Teppichen posieren lässt. Der Teppich, ein Sinnbild der Häuslichkeit, wird von ihr aus dem Interieur nach außen, in die Natur oder auf die Dächer verlagert und bildet eine Einheit mit der darauf liegenden Person und der Umgebung. Die Künstlerin verwischt die Grenzen zwischen Innen und Draußen, zwischen dem Vordergrund und dem Hintergrund, zwischen der Konstruktion und der Rezeption. Ihre auf den ersten Blick abstrakten und wie erstarrt wirkenden ornamentalen Gemälde scheinen sich beim genauen Hinschauen zu bewegen, sind voller geballter Energie. Sie veranschaulichen das Vordringen der Frauen in den öffentlichen Raum und stellen das traditionelle Frauenbild, nicht nur in der drusischen Gemeinschaft, infrage. Sie zeigen Figuren, die sich in der Natur und Architektur frei entfalten können, wenn sie sich der Verbindung zwischen Körper und Geist bewusst werden. Obwohl sich ihre Arbeiten mehr oder weniger direkt auf ihr Drusendorf in Israel beziehen, sieht sie sich weder als Drusin noch als Israelin. Die nationale Identität betrachtet sie als eine Beschränkung: Fatma Shanan ist, wie sie in einem Interview sagte, eine Künstlerin.
Kunst heilt Wunden
Eine Kunst der Heilung betreibt Ariane Littman (* 1962 in Bern, lebt in Jerusalem). Die Performerin und Objektkünstlerin dokumentiert ihre Interventionen im öffentlichen Raum auf Videos. Ihr bevorzugtes Material sind Mullbinden, mit denen sie einen entwurzelten, abgestorbenen und abgschnittenen Olivenbaum (»The Olive Tree«, 2012) und das zu Ehren von Alexander Zaïd 1938 auf einem Hügel unweit des Kibbuz Givat Zaid in Nordisrael errichtete Denkmal (»After The Wachman«) bandagiert. Der aus Sibirien stammende Zaïd (1886–1938) wurde nach einem Aufenthalt in Wilna 1904 von der Zionistischen Arbeiterbewegung nach Palästina (damals im Osmanischen Reich) geschickt, wo er 1909 die Organisation Hashomer (Der Wachmann) zur Bewachung der dortigen jüdischen Bevölkerung, ihrer Siedlungen und Agrarbetriebe gründete. 1908 wurde er von Arabern ermordet. Indem Ariane Littman das in Bronze gegossene Monument eines herausragenden Zionisten verbindet, möchte sie historische Wunden heilen, damit keine neuen Wunden und bleibende Verletzungen entstehen können. Neben den beiden Videoarbeiten bereitete die Künstlerin eine ortspezifische Installation vor. Sie heißt »The Haus am Lützowplatz« und setzt sich aus einer Fotografie des Hauses von 1908, einem mit Mullbinden beklebten Stadtplan von Berlin, einem alten Koffer voller Verbandsmateriall und einer Emaillenschale mit roter Tinte, die wie Blut aussieht. Gehören sie der Vergangenheit an? Oder warten sie darauf, neue Wunden zu verbinden?
Zackige Lineale und Detroit als Deckname
Für die Landschaftsarchitektin, Ingenieurin und Bühnenbildnerin Relli de Vries (* 1952 in Netanya, lebt in Tel Aviv) ist Kunst ein Forschungsprozess. Ihre Arbeiten sind Langzeitprojekte über Orte, ihre geologische Beschaffenheit, Geodynamik, Natur, Kultur und Tradition – und wie einige von ihnen in den Fokus der Geopolitik geraten. In der Ausstellung »Who By Fire. On Israel« veranschaulicht sie das am Beispiel der arabischen Stadt Umm al-Fahm im Bezirk Haifa (unweit der Grenze zum Westjordanland), deren Konturen sie mithilfe von zwei zweckentfremdeten, seltsam gebogenen, gezackten und mit Spiegelfolie überzogenen Linealen darstellt. Die Ergänzung dieses der Installation »Anticline« (2017-2018) entnommenen Reliefs unter dem Titel »A-Z« ist ein Video, in dem eine Bewohnerin erkärt, wie sich die Grenzen ihrer Stadt als Folge der Geopolitik immer mehr verschieben und immer enger werden. Im Gegensatz zu Umm al-Fahm, einem real existierenden geografischen und von über 55.000 Menschen bewohnten Ort, handelt die 2009 entstandene Videoarbeit von Amir Yatziv (* 1972 in Karmiel, lebt in Tel Aviv) von einer Stadt, die es nie gegeben hat. Sie heißt zwar »Detroit«, hat mit der einstigen US-amerikanischen Metropole nichts zu tun und ist der Deckname einer arabische Siedlung, die im Maßstab 1:1 nachgebildet wurde, um darin Kampfhandlungen der israelischen Armee zu simulieren. Der Künstler legt die Landkarte mit dem Aufriss der Geistersiedlung mehreren Stadtplanern vor mit der Bitte, Vorschläge zu ihrer Verbesserung zu unterbreiten. Sie sind verblüfft, denn sie sehen zwar Häuser, aber keine Bewohner und keine Infrastruktur, und rätselten darüber, wie und wo so etwas existieren kann. Sie tappen im Dunklen, denn Yatziv klärt sie über die Bestimmung von »Detroit« nicht auf, sodass ihre Überlegungen wie Dialoge aus einem absurden Theater wirken.
Leons Neffe, Shlomos Bruder
Zwei parallel laufenden Videos gewähren dagegen Einblicke in das wahre Leben der jungen Israelis heute: Leon Kahane (* 1985 in Ost-Berlin, lebt in Berlin), dessen Großvatere Max ein antifaschistischer Widerstandskämpfer und nach der Rückkehr aus dem Exil ein bedeutender DDR-Journalist war, besuchte seinen 18-jährigen Neffen Liam unmittelbar vor Antritt seiner dreijährigen Wehrpflicht in dessen Tel Aviver Wohnung. Der Waffendienst ist eine Erfahrung, die allen Männern und Frauen in Israel, außer den Ultraorthodoxen, zuteil wird. Das steht nun auch Liam bevor, der darüber nachdenkt, was der Miltärdienst für ihn bedeutet und was für ein Mensch er in Zukunft sein wird. Er vermutet, dass ihn die Zeit als Soldat verändern wird. Aber es gibt keinen anderen Weg, denn, wie Liam sagt: »Man lebt in diesem Land nicht einfach so.« Ganz anders ist die Situation eines Bruders von Shlomo Pozner (* 1996 in Jerusalem, lebt in Berlin), der einer charedischen Großfamilie entstammt und eines ihrer zwölf Kinder ist. Als 20-Jähriger löste er sich vom ultraorthodoxen Judentum, ohne Kontakte zu seinen Eltern und Geschwistern in Israel abzubrechen. In seinem dokumentarischen Video befragt er einen seiner Brüder in Jerusalem, der sich freudig erregt auf ein Schidduch (Hebräisch für Vorstellen, Einführen, Verhandeln) mit einer Frau vorbereitet, die womöglich seine zukünftige Gattin werden wird. Er kennt sie nicht, denn die bevorstehende Begegnung ist die Folge eines Arrangements, bei dem ein Jude und eine Jüdin aneinander vorgestellt werden. Von ihnen wird erwartet, dass sie ein zueinander passendes Paar bilden und nach dem Grundsatz der Tora »Seid fruchtbar und mehret euch« (1. Buch Mose. 9,7) heiraten, um glücklich miteinander zu sein. Die Interviews mit den beiden so unterschiedlichen jungen Israelis sind die zweite gemeinsame Arbeit von Leon Kahane und Shlomo Pozner. Der hebräische Titel »TKUMA« (Wiedergeburt) veranschaulicht, dass sowohl der künftige Soldat als auch der künftige Ehemann und Vater einer möglichst großen Familie ihr in seiner Existenz stets bedrohtes Land auf eingene Art verteidigen: der eine mit Waffen, der andere mit Religion, traditioneller Ehe und Kinderreichtum. Und der ist beachtlich: mit 15 Prozent Bevölkerungsanteil sind die Charedim die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in Israel.
Ein Panzer aus Schaumstoff
Die Ausstellung »Who by Fire. On Israel« endet mit einem Objekt, welches das letzte kleine Kabinett zu sprengen scheint. Es ist ein in Wirklichkeit explosives Kampfgefährt: ein Panzer, der 1978 in Israel unter dem aus der Thora stammenden Namen »Merkava« (Streitwagen) entwickelt wurde und heute zu den schwersten (65 Tonnen Fahrzeugmasse) und für die Besatzung sichersten Militärfahrzeugen der Welt gehört. Dina Shenhav (* 1968 in Jerusalem, lebt in Tel Aviv) fertigte es originalgetreu im Maßstab 1:1 nach. Ihr Werk ist jedoch subversiv, denn sie schuf es aus weichem, biegsamem und keine Angst einflößendem Schaumstoff. Das gelbe Riesending wirkt wie ein Spielzeug für große und kleine Kinder, die ihre Freude daran haben können, es anzufassen, ihre Finger darin zu vergraben, es einfach als ein ruhig verharrendes Monster zu genießen, ohne dabei etwas Schlimmes befürchten zu müssen. »Merkava« ist ohne Zweifel das Aufsehen erregendste und größte Werk der israelischen Gruppenschau, eine Kooperation zwischen Liav Mizrahi und Marc Wellmann, Direktor des Hauses am Lützowplatz. Zusammen mit den beiden kostenlosen Begleitpublikationen ist die kleine, intime und übersichtlich angeordnete Schau ein wahres Kompendium des Wissens zum Thema Israel. So lange Israel solche Künstlerinnen und Künstler hat, die ihr Land kritisch betrachten und es trotz aktuellen politischen Kapriolen, Verwerfungen und Brüchen nicht im Stich lassen, kann es allen Widrigkeiten zum Trotz fortbestehen. Und die Köpfe derer, die mit allen Mitteln an der Macht bleiben wollen, werden früher oder später rollen.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Who by Fire. On Israel >>>
Haus am Lützowplatz
Fördererkreis Kulturzentrum Berlin e.V.
Lützowplatz 9, 10785 Berlin
9. Juni–27. August 2023
Di– So, 11–18 Uhr
Eintritt frei