Gegen den Strich – 15 Jahre Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg
Gegen den Strich – 15 Jahre Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg

Gegen den Strich – 15 Jahre Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg

Als am 27. Mai 1994 das für umgerechnet 35 Millionen Euro vom Hamburger Architektenbüro Peter Schweger gebaute Kunstmuseum mit Fassaden aus Stahl und Glas und einem filigran wirkenden Dach eröffnet wurde, machte sich eine gewisse Skepsis breit, ob sich Wolfsburg, eine eher graue und langweilige Stadt im Schatten des VW-Werks, als Ort der zeitgenössischen Kunst etablieren kann. Seitdem sind fünfzehn Jahre vergangen. Und siehe da: Das Kunstmuseum Wolfsburg gehört zu den führenden Museen nicht nur in Norddeutschland: Mit rund 110 Ausstellungen seit der Eröffnung und durchschnittlich 67 000 Besuchern im Jahr kann es sich mit anderen Kunsthäusern, etwa in Berlin oder Frankfurt, durchaus messen. Fünfzehn Jahre sind zwar kein Alter für ein Museum, aber ein guter Anlass, seine Sammlung in der Schau Gegen den Strich zu präsentieren. Der Niederländer Gijs van Tuyl, 1992 Gründungsdirektor und erster Direktor des Kunstmuseums, betonte stets:

Zuerst war das Geld, dann kam die Sammlung.

Seriell und individuell

Der Titel ‘Gegen den Strich’ gibt die Identität des Museums wieder. Es ist keine chronologische Präsentation, sondern eine Art Gespräche und Begegnungen zwischen den Künstlergenerationen, zwischen Alt und Jung,

sagt Markus Brüderlin.

Der Sammlungsschwerpunkt des Kunstmuseums Wolfsburg liegt bekanntlich auf der Arte Povera, der Concept Art und der Minimal Art, und so ist die Erkundung der Ausstellung ein Gang durch die Kunst(richtungen) der letzten vierzig Jahre. Man begegnet alten Meistern und Meisterinnen der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, unter anderem Mario Merz, Gerhard Merz, Carl Andre, Nam June Paik, Gilbert & George, Bruce Nauman, Verner Panton, Lawrence Weiner, Stanley Brouwn, Cindy Sherman, und trifft jüngere, die sich auf dem Kunstmarkt bereits etabliert haben, darunter Damien Hirst mit den berühmt berüchtigten Installation A Thousand Years, 1990), Neo Rauch, Elisabeth Peyton, Thomas Schütte, Jeff Wall, Andreas Gursky, Christian Jankowski, Sarah Morris, Olafur Eliasson, Jorge Pardo, Tobias Rehberger. Weil sich seit 2006 das Kunstmuseum vorwiegend mit dem Thema Die Zukunft der Moderne beschäftigt, werden vor allem Werke der spätmodernen Künstler gezeigt, denen die ihrer jüngeren Kolleginnen und Kollegen gegenüberstehen. Und so trifft zum Beispiel die geometrisch-abstrakte Malerei der US-Amerikanerin Sarah Morris auf Carl Andres Feld aus stereometrischen Holzblöcken, deren serielle Strukturen einerseits mit der gigantisch-filigranen Tischinstallation Over 10 000 Individual Works von Allan McCollum korrespondieren, andererseits von ihnen konterkariert werden, denn jedes dieser 10 000 Teile ist zwar industriell hergestellt, aber keines gleicht dem anderen, auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sieht.

Installationen und Visionen

Was man auf den ersten Blick gut sieht, obwohl es ziemlich blendet, ist der lichtdurchflutete Tempel zu Ehren von Étienne-Louis Boullée (1728-1799), Hauptvertreter der französischer Revolutionsarchitektur, den Gerhard Merz in Form einer grellen Raum- und Lichtinstallation gebaut hatte und den man im ersten Stock des Kunstmuseums Wolfsburg sehen kann. Ihm werden vier monumentale Tafeln Bent & Broken Shafts of Light des Wortkünstlers Lawrence Weiner gegenübergestellt, in denen Licht und Farbe allein durch Texte im Raum ausgedrückt werden. Am Ende der Ausstellung Gegen den Strich steht das Lalibela Kabinett von Philip Taaffe, dem das Museum im vorigen Jahr einen große Retrospektive ausgerichtet hatte: Ein imposanter Bilderturm aus genau 384 Ornamentblättern. Ein großes Interesse des Kunstmuseums Wolfsburg gilt den Grenzbereichen zwischen Kunst und Architektur sowie zwischen Kunst und Design. Diesen Themen war die bis Mitte April 2009 gezeigte Ausstellung Interieur/Exterieur. Wohnen in der Kunst gewidmet. Mit Hilfe des Freundeskreises des Museums war es möglich, die utopische Wohnlandschaft Visiona 2 des dänischen Designers Verner Panton für die Wolfsburger Sammlung anzukaufen, mit der Tobias Rehbergers Lampeninstallation Decke Büroräume 1. Stock einen Dialog aufnimmt. In dem vor zwei Jahren errichteten Japangarten wird wiederum der enge Bezug der Sammlung zum Gebäude sichtbar.

Christian Boltanski, Die Stimmen der verirrten Seelen, 2013. © Christian Boltanski. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Christian Boltanski, Die Stimmen der verirrten Seelen, 2013, © Christian Boltanski. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Realität gewordener Wunsch

Die Zeiten, in denen sich das Kunstmuseum Wolfsburg aus eigenen Mitteln alle Ankaufswünsche erfüllen konnte, sind vorbei, denn die galoppierenden Kunstpreise machen es unmöglich, die Sammlung weiter aufzubauen. Aus diesem Grund verbindet Prof. Dr. Brüderlin die gegenwärtige Krise mit der Hoffnung auf fallende Preise. So lange will er doch nicht warten und deshalb hat das Museum zu seinem 15. Geburtstag einen Wunschzettel mit 15 Werken vorbereitet: Sozusagen ein Wunschwerk pro Museumsjahr. Dazu gehören zum Beispiel Arbeiten von James Turell, Donald Judd, Sarah Jones und In Sook Kim. Ihre in der Sammlungsausstellung vorgestellte mehrteilige Fotoarbeit Saturday Night (2007) zeigt Menschen beiderlei Geschlecht, die in verschiedenen Zimmern eines Hotels diverse Varianten der sexuellen Hörigkeit proben: für manche mit tödlichen Ende. Dieses auf den ersten Blick harmlose, auf den zweiten bitterböse, eigentlich sehr wirklichkeitsnahe Werk steht noch auf dem Wunschzettel des musealen Geburtstagskindes. Ein Wunsch ging glücklicherweise unmittelbar vor der Eröffnung der Gegen-den-Strich-Ausstellung in Erfüllung: Ganz andere Menschenbilder, und zwar die der Einwohnerinnen und Einwohner der belgischen Hauptstadt, von dem dort wohnenden Schweizer Künstler Beat Streuli auf den Straßen fotografiert, konnten für die Sammlung des Kunstmuseums angekauft werden. Sie hängen an der Glasfassade des Museums seit 2,5 Jahren, seit der Ausstellung Swiss Made.

Beat Streuli, Bruxelles 05/06, 2007, Installationsdetail Kunstmuseum Wolfsburg. © Beat Streuli. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Beat Streuli, Bruxelles 05/06, 2007, Installationsdetail, Kunstmuseum Wolfsburg. © Beat Streuli. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Beat Streuli freut sich:

Meine Installation hat hier ein Heim gefunden, und das ist gut so, denn ich sehe mich von der Konzeptkunst und der Minimal Art kommen. Ich habe die Schweiz verlassen und bewege mich seitdem nomadisch in der Welt. Meine Kunst ist also eine kosmopolitische urbane Angelegenheit. Meine Menschen aus Brüssel haben Station in Wolfsburg gemacht und nun hier eine Bleibe gefunden. Ich bin ein Realität gewordener Wunsch.

Es deutet also alles darauf hin, dass in Zeiten knapper Kassen das Wünschen helfen, ja, an machen Stellen sogar Wunder bewirken kann: Wolfsburg macht‘s möglich.

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

Gegen den Strich. 15 Jahre Sammlung Kunstmuseum Wolfsburg >>>
16.05. – 13.09.2009
www.kunstmuseum-wolfsburg.de