George Condo ist unter die Klassiker gegangen. Als erster zeitgenössischer Künstler wurde er auserwählt, in der Ausstellung »Confrontation« seine Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen im Museum Berggruen, dem Berliner Tempel der Klassischen Moderne, inmitten der Werke von Picasso, Klee, Matisse, Cézanne und Giacometti zu präsentieren. Das ist kein Zufall, denn Condo hat zu den Granden der Kunstgeschichte eine ganz besondere Beziehung.
George Condo, 1957 in Concor, New Hampshire geboren, ist ein Künstler, der aus dem Fundus der Kunstgeschichte schöpft. Er ist ein »klassischer« Maler und Bildhauer insofern, dass er Porträts, Akte, Stillleben und Genrebilder mit Öl und manchmal auch mit Acryl auf Leinwand malt. Er fertigt Büsten aus Goldbronze und Bronze, die auf Sockeln stehen. Wie die Technik, so der Inhalt: Alles, was Condo gesehen und für gut befunden hat, findet sich in seinen Bildern wieder: die Größen der klassischen Moderne ebenso wie Goya und Velasquez. Dabei parodiert er die Olympier nicht, auch das Kopieren liegt ihm fern. Er bewundert die klassische europäische Kunst, eignet sie sich an und spielt auf unbekümmerte Weise mit dem Vorgefundenen, dem er neue Bedeutung verleiht. Er misst sich immer mit den Besten. Condos handwerkliches Können erlaubt es ihm, auf jeden Stil zuzugreifen, um die seelische Situation, die Befindlichkeit der Portraitierten einzufangen. Seine Figuren sind häufig grotesk und fratzenhaft, er malt sie nach altmeisterlicher, kubistischer, surrealistischer oder abstrakter Manier. Manche sehen aus, als hätten ihnen Cranach, Botticelli oder Modigliani Pate gestanden. Das dominierende Element seiner Gemälde sind Augen, die in sich blicken, lüstern glotzen, weit schweifen oder vor Schreck erstarren. Auch wenn sie hinter einem Symbol verborgen sind, scheinen sie heimlich dahinter hervorzulugen – und behalten den Betrachter stets im Auge. Condos imaginäre Porträts werden häufig als hässlich, vulgär oder provokant empfunden. Das sind sie mitnichten, denn sie ziehen den Narzissmus, die Dekadenz, die Trivialität und Vulgarität der heutigen Gesellschaft ins Lächerliche und halten ihr einen Spiegel vor.
Painter statt Pitcher
Weil George Condo in die Baseball-Mannschaft seiner Heimatstadt nicht aufgenommen wurde, schickten ihn die Eltern in die Jugendkunstschule, und so sieht und malt er seit seiner Jugend unzählige Bilder. Painter statt Pitcher könnte man sagen … Nach dem College, das er nur zweieinhalb Jahre besuchte und wo er Musiktheorie und Kunstgeschichte belegte, eignete er sich in Boston Siebdrucktechnik an und arbeitete dann acht Monate in der legendären Factory Andy Warhols, die er als wahren sweatshop erlebte. Von dort zog er nach Kalifornien und hatte sein erstes eigenes Atelier. Anfang der 1980er Jahre arbeitete er eine Weile in Köln, ausgerechnet zur Karnevalszeit: Sind die roten und grünen Pappnasen in seinen Porträts Erinnerungen an diese Zeit? Wieder in New York gehören Keith Haring, Jean-Michel Basquiat und William Burroughs zu seinem Freundeskreis. In dieser Zeit beginnt auch die lange Reihe seiner Einzelausstellungen in den USA und Europa. In Deutschland war George Condo lange ein Unbekannter. Seine erste große institutionelle Werkschau unter dem Titel »One Hundred Women« wurde 2005 in der Kunsthalle Bielefeld gezeigt; 2012 waren seine »Mental States« in der Frankfurter Schirn zu sehen. Einzelausstellungen von George Condos Arbeiten finden regelmäßig bei Sprüht Magers Berlin statt: So präsentierte die Galerie 2008 seine Zeichnungen, 2010 seine Familienporträts und 2013 seine Bilder und Skulpturen.
Mit einem blauen und mit einem braunen Auge
Niemand hat seit Picasso so viele Frauen gemalt wie George Condo. Sie sind das Hauptmotiv seiner Kunst: Madonnen, Heilige, Königinnen, Ladies, Kunstsammlerinnen, Opernsängerinnen, Lehrerinnen, Gärtnerinnen und Mädchen. Sie wirken nicht glamourös, auch nicht schön im herkömmlichen Sinne, vielmehr oft wie Fratzen mit Zähnen von Bugs Bunny und bunten Pappnasen, manchmal haben sie ausgelöschte Gesichter. Ihre Geschichten erzählen sie enigmatisch in kleinen Beigaben der Kleidung oder anderem Beiwerk. Die Doppelansichten der Gesichter verweisen – Picasso ähnlich – auf die Ambivalenz der Figuren. Augen sind sowohl blau als auch braun, als ob zwei verschiedene Personen aus den Konterfeis schauen. Die Hintergründe, vor denen die Figuren stehen, sind in leicht changierenden Farben gemalt, ohne eine Horizontlinie. So betonen sie die Universalität der Bildaussage wie der Goldgrund mittelalterlicher Heiligendarstellungen. Scherzhaft merkt der Künstler an, er male die Frauen so hässlich, damit sich die Betrachterinnen nicht zurückgesetzt fühlten. »Es gibt eine ständige Verunsicherung in mir, was Schönheit sei. Ist Schönheit eine stilisierte Version von Hässlichkeit?«, so Condo im Interview mit Thomas Kellein, Leiter der Kunsthalle Bielefeld, im Katalog der Retrospektive »One Hundred Women«, 2005.
Möhren in den Ohren
Unabhängig vom Geschlecht der Porträtierten, stellen die Gemälde des Künstlers eine Art »Menschliche Komödie«, Harlekinade und skurrile Allegorie unserer Zeit dar. Sie sind mit Archetypen der elitären Gesellschaftskreise bevölkert: mit den Damen und Herren der Hautevolee, mit Bankern und Börsenmaklern, mit all den Ruhm-, Geld- und Sexgierigen, die ihre Nabelschau betreiben, sich verkleiden oder entkleiden, und, immer auf der Suche nach neuen Reizen, nicht merken oder nicht merken wollen, dass sie einfach peinlich und lächerlich sind. Sie taugen nicht als Monster, sondern höchstens als Comicfiguren, denen der Künstler grinsende Mäuler, Pappnasen, Nagezähne, Möhren in den Ohren, Halskrausen, Pierrotkragen und Brothände (wie auf Picassos Porträt von Robert Doisneau, 1952) verpasst. George Condo, dessen Stil dem Künstlichen Realismus zugeordnet wird, wirft die Kunstgeschichte und die Popkultur in einem Topf, um die zeitlose Verlogenheit, Eitelkeit, Einsamkeit, Hässlichkeit und Pathos, die am »Zustand der Menschheit« schuldig sind, auf die Schippe zu nehmen. »Ich versuche hartnäckig, diesem pessimistischen Zustand zu entfliehen und ihn so zu verändern, dass er einen ironischen Sinn bekommt, positiv und beinahe komisch wird«, sagt er im zitierten Interview. Die Welt, wie sie häufig dargestellt wird, ist so schlecht, »dass dir nichts übrig bleibt, als darüber zu lachen. Die Wahrheit ist eben sehr interessant, wenn man den Mut hat, ihr ins Gesicht zu schauen.«
Mit feinem Strich und kraftvollem Hieb
Wie es sich für einen richtigen Maler gehört, ist George Condo ein leidenschaftlicher Zeichner. In den Zeichnungen dokumentiert sich der Denkprozess, der das einzelne Gemälde und das künstlerische Schaffen überhaupt begleitet. »Was soll man auch sonst den ganzen Tag machen, während man wartet, dass die Farbe trocknet?«, scherzt Condo. In seinen Zeichnungen kopiert er einerseits seine Vorbilder, damit die Hand den Duktus erlernt, der in den Bildern den Pinsel führen soll. Anderseits ist die Zeichnung das Laboratorium, in dem ganze Bildideen oder auch nur Details erprobt werden. Hier zeigt sich die Vielseitigkeit dieses Künstlers: man sieht sowohl den feinen Strich, der sich forschend dem Sujet nähert, als auch den kraftvollen Hieb über das Papier, der den Bildhauer verrät. Unabhängig vom Medium, das er benutzt, ist George Condo unglaublich produktiv, denn er hat »seine Aufgabe zu erfüllen, jedes in der Kunst behandelte Thema zu bearbeiten.«
Die Männerrunde der Moderne
Nun hat George Condo eine Ausstellung in Berlin, eine Premiere in doppelter Hinsicht: Es ist seine erste institutionelle Werkschau in der Bundeshauptstadt und die erste Ausstellung eines zeitgenössischen Künstlers im Museum Berggruen, dem hiesigen Tempel der Klassischen Moderne. Sie heißt »Confrontation«, zieht sich über alle 26 Museumssäle hindurch, wo Condos Arbeiten denen von Picasso, Klee, Matisse, Cézanne und Giacometti gegenübergestellt werden. Leider sind einige seiner Bilder so klein, dass sie ihre subversive und ironische Wirkung nicht voll entfalten können. Auch seinen in die Vitrinen eingezwängten Zeichnungen kann man auch Anhieb nicht so viel abgewinnen. In dieser illustren Männerrunde der Moderne erscheinen Condos Porträts, Akte, Stillleben und Landschaften seltsam fremd, was nicht wundert, denn sie stammen ja aus einer anderen Zeit. Seine Kunst ist zwar ein Spiel mit älterer und jüngeren Kunstgeschichte und verweist hier und da auf den einen oder anderen Meister, aber welche Beziehung gibt es zum Beispiel zwischen dem traurig wirkenden »Sitzenden Harlekin« (1905) von Picasso und dem »Sitzenden Paar« (2005) von George Condo? Der eine sitzt auf einem Brett, die beiden sitzen auf einem Sessel und kopulieren, wobei sie sich offensichtlich vom Publikum gestört fühlen, denn sie gucken ziemlich entsetzt in die Runde. Doch niemand empört sich über die zur Schau gestellte Kopulation, denn die Zeiten, in denen Kunst die Gemüter erhitzte, sind schon lange vorbei. Alles in allem macht das Museum Berggruen einen ziemlich antiquierten Eindruck. Dagegen kann auch ein Condo keine Abhilfe schaffen. Das liegt zum Teil an den kleinen und recht engen Ausstellungsräumen, die aus konservatorischen Gründen nur spärlich beleuchtet sind, zum anderen Teil daran, dass dort recht bekannte Kunst präsentiert wird, die ausschließlich aus Männerhand stammt. Wie im Museum Berggruen zu sehen, scheint es in der Moderne keine Künstlerinnen gegeben zu haben oder ist für sie im Stülerbau kein Platz vorhanden.
Die Ausstellung »Confrontation« adelt George Condo, denn nun ist es amtlich, dass der künstliche Realist ein klassischer Modernist ist. Das stimmt irgendwie, doch besser wäre es, seine Werke zuerst in einer institutionellen Einzelausstellung zu präsentieren, damit das Berliner Publikum sieht: auch wenn dieser Künstler sich seit über 30 Jahren der Kunstgeschichte bedient, ist ein Condo immer ein unverwechselbarer Condo. Halt ein Künstler der Gegenwart.
Text © Fotos Urszula Usakowska-Wolff
George Condo. Confrontation
19. November 2016 – 1. Mai 2017
Museum Berggruen Berlin
Der Katalog der »Confrontation« ist eine mehrteilige Publikation (Deutsch/Englisch) mit einem Gespräch zwischen Udo Kittelmann und George Condo, Textbeiträgen von Felicia Rappe und Olivier Berggruen, ein Bildband mit den ausgestellten Werken des Künstlers sowie eine Erzählung des Schriftstellers Daniel Kehlmann.