Mit 18 Künstlerinnen und Künstlern startet die neue Direktorin Stephanie Rosenthal den nun tageslichtdurchfluteten Gropius Bau (ohne »Martin«!) neu. Alle gezeigten Arbeiten sind in Berlin entstanden, die Künstlerinnen und Künstler stammen jedoch aus den verschiedensten Weltgegenden. Sie haben in Berlin eine neue künstlerische Heimat gefunden.
And Berlin will always need you sang 1977 Dorothy Iannone, als sie ein Jahr in West-Berlin verbracht hatte, für eine Freundin. Diese Liedzeile ist nun auch der Titel der aktuellen Ausstellung im Gropius Bau. Berlin mit seiner weltoffenen und liberalen Kunstszene, seinen bislang jedenfalls optimalen Arbeitsbedingungen zieht sie an und erhält durch sie immer neue Anregungen, Kreativität und Offenheit. Die Stadt braucht die Künstler. Sie kommen entweder aus eigenem Antrieb oder werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst eingeladen, und was dabei zuerst ein einjähriger Studienaufenthalt war, endet oft in einem dauerhaften Bleiben.
Im Lichthof, den man nun immer kostenfrei betreten kann, hat Chiharu Shiota (*1972 in Osaka) 780 Kilometer weißer Wolle zu einem Netz versponnen, das vom Tageslicht beleuchtet den gesamten Lichthof überspannt. Eine Wolke? Ein Spinnennetz? Ein Leitfaden für das Auge des Betrachters? Im Netz gefangen sind kopierte Dokumente aus der Geschichte des Gropius Baus als Kunstgewerbemuseum, Bücher zur Erinnerung an die hier ausgelagerte Bibliothek der Gewerbeschule. Das entspricht dem Bestreben von Stephanie Rosenthal, die Geschichte des Hauses mit der zeitgenössischen Kunst zu verknüpfen.
Kunsthandwerkliche Elemente zeichnen auch andere Exponate dieser Ausstellung aus. Olaf Holzapfel (* 1967 in Dresden) fertigt aus Stroh flächige Bilder, deren Farbigkeit je nach dem Blickwinkel changiert und dem toten Material Lebendigkeit verleiht. In Argentinien ließ er sich von der Textilkunst aus den Kaktusfasern Chaguar, wie sie indigene Frauen schaffen, einfangen. Sie webten nach seinen Entwürfen Stoffe aus diesem Material. Auch Antje Majewski (* 1968 in Marl) schafft textile Arbeiten, bei denen sie an die Tradition der Schamschürzen, wie sie in Nordkamerun getragen wurden, anknüpft.
Ganz anders gehen Alice Creischer(*1960 in Gerolstein) und Andreas Siekmann (*1961 in Hamm) das Arbeiten mit Textilien an. Sie haben die Konfektionsprodukte der argentinischen Brukman-Arbeiter und Arbeiterinnen mit politischen Parolen versehen und sie somit zum Instrument des Arbeitskampfes gemacht, vom Warencharakter des Bekleidungsgeschäfts befreit, auch wenn sie an langen Stangen wie in einem Laden hängen.
Nevin Aladağ (* 1972 in Van, Türkei) hat in ihrem Social Fabric Teppichteile unterschiedlicher Herkunft und Machart zusammengefügt. Seide und synthetische Fasern, Fabrikware und folkloristische Webkunst bilden einen verbergenden Vorhang, der den Blick auf die globale Uniformierung richtet.
Das Video von Simon Waschsmuth (* 1964 in Hamburg) zeigt eine Tänzerin in luftigen seidenen Gewändern aus der chinesischen Qing-Zeit, die sich anmutig zwischen blauem Porzellan derselben Epoche bewegt. Er materialisiert auf diese Weise seine Familiengeschichte. Seine Tante, eine Tänzerin, verbrachte die Nazizeit in Shanghai.
Ebenfalls mit Videos arbeitet Theo Eshetu (* 1958 in London). Er filmt Objekte aus ethnographischen Sammlungen. Die Bilder wechseln sehr schnell, versetzen den Betrachter in eine Art ekstatischer Erregung und vermitteln zu den gezeigten Objekten nicht nur die künstlerische und handwerkliche Fertigkeit der Hersteller, sondern auch die religiöse Bedeutung des dem mitteleuropäischen Betrachter fremden Zusammenhangs.
Bei Dorothy Iannone (* 1933) auf ihre Herkunft aus Boston zu verweisen kann in die Irre führen, denn da sie seit 1976 in Berlin lebt und arbeitet, darf man sie ruhig als eine Berlinerin ansprechen. Ich habe sie zum ersten Mal im Mai 2005 anlässlich der Ausstellung Dieter Roth & Dorothy Iannone im Sprengel-Museum Hannover getroffen. Da hatte sie schon das Leitmotiv ihrer Kunst gefunden und zur Meisterschaft vollendet: die schamlose weibliche Begierde, das Leben als endlose erotische Spur, die auf dem Hintergrund ornamentaler Motive verläuft. Sie hat sich dabei nicht der feministischen Correctness unterworfen. Das würde nicht zu ihr passen, denn ihre Kunst ist ihr Leben.
Stephanie Rosenthal hat die Ausstellung And Berlin Will Always Need You in der Absicht gestaltet, die historische Verbindung von Kunst und Handwerk, die der Ursprung des Martin-Gropius-Gebäudes war, in einen gegenwärtigen Bezug zu setzen. Das ist ihr zweifellos gelungen. Erst durch den handwerklichen Eingriff wird die Materie zum sinnstiftenden Kunstwerk. So ist auch der Martin-Gropius-Bau außen mit seinen reichen bildhauerischen Arbeiten und innen mit den keramischen Ornamenten ein beredtes Zeugnis der hohen handwerklichen Kunst in seiner Entstehungszeit und heute ein angemessener Ort, handwerklich solide Kunst unserer Tage zu beherbergen.
Text © Manfred Wolff
Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
And Berlin Will Always Need You. Kunst, Handwerk und Konzept Made in Berlin >>>
Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
Mi-Mo 10:00-19:00, Di geschlossen
Gruppenausstellung mit Werken von Nevin Aladağ, Leonor Antunes, Julieta Aranda, Alice Creischer, Andreas Siekmann und die Arbeiter*innen von Brukman, Mariechen Danz, Haris Epaminonda, Theo Eshetu, Olaf Holzapfel, Dorothy Iannone, Antje Majewski und Olivier Guesselé-Garai, Willem de Rooij, Katarina Šević, Chiharu Shiota, Simon Wachsmuth und Haegue Yang.