Wie die traditionellen und digitalen Medien dazu beitragen, dass die Worte zu Floskeln, Gags und Slogans mutieren und wie wir diese gedankenlos konsumieren, führt die polnische Bildhauerin Hanna Maria Ograbisz-Krawiec im Projektraum art.endart in Berlin-Wedding vor. In der empfehlenswerten Ausstellung unter dem Titel »Die Essenz der Worte« sind Objekte zu sehen, die für die heutige mediale Infantilität stehen, in der reißerische oder banale Inhalte für Schlagzeilen sorgen.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Hanna Maria Ograbisz-Krawiec ist eine Künstlerin, deren Wandlungsfähigkeit und Experimentierfreudigkeit immer wieder überraschen. Das Berliner Publikum lernte sie vor acht Jahren als Schöpferin von überlebensgroßen Keramik-Skulpturen und reliefartigen Gemälden kennen, welche die Bildhauerin in der leider nicht mehr existenten Galerie Beletage in Berlin-Tiergarten zur Schau stellte. Die Plastiken waren eine Hommage für die Mutter Erde, ein metaphorisches weibliches Wesen, das in allen Zeiten, Kulturen und Religionen dieser Welt den Ursprungs des Lebens und seine Vitalität symbolisiert. Die lichtdurchfluteten, harmonischen oder dramatischen Bilder zeigten spanische, polnische oder auch imaginäre Landschaften, in denen die Malerin die grenzenlose Schönheit der Natur in Form eines expressiven Farbenspiels zum Ausdruck brachte.
Sportler, Schaukelpferd und Steine
Mit Farbenspiel hat die gegenwärtige Soloschau von Hanna Maria Ograbisz-Krawiec im Projektraum art.endart in Berlin-Wedding nichts zu tun. Unter dem Titel »Die Essenz der Worte« stellt die Künstlerin und Kunstprofessorin aus Posen eine dreiteilige Installation aus: Es sind schwarz-weiße mit Zeitungen beklebte Objekte aus Pappmaché, die auf zwei Schachbrett-Mosaiken stehen oder auf unsichtbaren Fäden von der Decke herunterhängen. Eine menschliche Figur, einem Sportler nicht unähnlich, die sich in einem Netz verfangen hat, ein Schaukelpferd und mehrere Steine, die wie eine Wolke anmuten, sind zu sehen. Sie symbolisieren die heutige Welt, in der es, trotz unzähliger bunter Bilder und Phrasen, keinen Platz mehr für Zwischentöne gibt. Zum anderen haben die Worte, mit denen die Menschen in den traditionellen und sozialen Medien bombardiert werden, ihre Substanz, ihren Reichtum und ihre Glaubwürdigkeit verloren. In der Kakophonie der Worte und Floskeln, der wir täglich ausgesetzt sind, gibt es nur noch Headlines, Slogans oder Gags.
Banalitäten aus den Gazetten
Hanna Maria Ograbisz-Krawiec hat ihre Papierhelden mit vielen, aus den polnischen Zeitungen ausgeschnittenen Texten, Titelzeilen, Schlagzeilen und Anzeigen »tätowiert«. Sie schuf ein dreidimensionales lesbares Kunstwerk, das auf seiner Haut eindimensionale banale Botschaften trägt. Sie unterscheiden sich nicht von denen, die in der deutschen oder in der Presse eines beliebigen Landes zu finden sind: »Wir machen alles, was in unserer Macht liegt«, »Kids ins Netz«, »Mama, ich will Botox«, »Politik der Absurditäten«, »Eine schöne Katastrophe«, »Fashion Deni Cler Milano«, »Heftige Auseinandersetzungen«, »Giganten« und so weiter und so fort. In diesem globalen und verdummenden verbalen Mischmasch kann man nicht mehr unterscheiden, was wirklich von Bedeutung ist. Im unsichtbaren Käfig gefangen, kann der Mensch dem gedruckten und digitalen Wort-Schwarm nicht entkommen. Er wagt zwar einen Sprung aus der auf allen vier Seiten offenen Zelle, bleibt aber in dem ihn umspannenden Netz hängen. Der Stoff, aus dem Hanna Maria Ograbisz-Krawiec diesen gläsernen Menschen gebaut hat, sind leere, mit Zeitungspapier beklebte Plastikflaschen, ein Sinnbild der leeren Worthülsen. Er hat eine schwarze Binde statt Augen, auf der man lesen kann: »Das ist es, was uns begeistert.«
Wir stecken alle in dieser Falle
Daneben steht ein Schaukelpferd, ein Symbol der Kindheit, der in dieser Ausstellung wohl die mediale Infantilität verkörpert. Es kann aber auch als ein Hinweis darauf gedeutet werden, dass wir alle verschaukelt werden, weil wir uns verschaukeln lassen. Wir spielen alle mit, verbringen viel Zeit in den sozialen Medien, die wir mit eigenen Blogs, Webseiten, Kommentaren, Ratschlägen, Hashtags oder mit anderen Beiträgen und Einträgen füllen. Parallel dazu versuchen wir, die Fülle der Informationen zu bewältigen, die sich über uns ergießt und die es unmöglich macht, das Wichtige vom Unwichtigen, das Spaßige vom Seriösen, die Wahrheit vom Gerücht, die News von Fake News zu unterscheiden. Was zählt, sind unterhaltsame, sensationelle oder krasse Inhalte, denn nur solche können für eine Weile für Aufmerksamkeit sorgen. So sitzen wir alle in dieser Falle, doch wir wollen das Spiel fortsetzen, auch wenn es vermutlich irgendwann mit einem Schachmatt enden wird. Das zeigt Hanna Maria Ograbisz-Krawiec in ihrer empfehlenswerten Ausstellung im Projektraum art.endart, für die sie den Titel »Die Essenz der Worte« gewählt hat. Das ist offensichtlich ironisch gemeint, denn die Worte, in die sie ihre Figuren kleidet, haben keinen Inhalt und noch weniger Sinn. Es sind leere Papierwesen einer mit verbalen Reizen überfluteten medialen und realen Welt, die uns immer fester in Schach hält.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Hanna Maria Ograbisz-Krawiec
„Die Essenz der Worte“
27. 10.-11.11.2018
Drontheimer Str. 22/23
13359 Berlin
Eine Ausstellung in Kooperation mit
POLin Polnische Frauen in Wirtschaft und Kultur e.V.