»This Way« ist die bisher größte Einzelausstellung des in Berlin lebenden Künstlers Jeppe Hein. Die im Kunstmuseum Wolfsburg gezeigten interaktiven Werke des gebürtigen Kopenhageners lassen der Fantasie freien Lauf, regen alle Sinne an und begeistern das Publikum.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Was für ein Spektakel! Spiegel rotieren in luftigen Höhen, Fontänen schießen aus dem Boden, schwarze Metallkugeln kreisen und schwingen auf serpentinenartigen Bahnen und bringen bronzene Klangschalen zum Singen, eine große Stahlkugel heftet sich an die Fersen, ein leerer Tunnel duftet nach Stille, eine Flamme sprießt aus der Wand wie von einer unsichtbaren Hand in Bewegung gesetzt. Eine Maschine misst den Puls und bringt einen Lichtkegel zum Zucken. Entzückend ist auch ein Wasserstrahl, der sich wie ein Bogen zwischen zwei Wänden spannt. Selbst eine unscheinbare Bank macht Dampf: Wenn man darauf nichts ahnend Platz genommen hat, brodelt es leise und im Nu löst sich der Mensch in Schwaden auf. Auch ein Fahrrad ist da und wartet darauf, dass seine Pedale betätigt werden – und dann rücken die Lichterketten im dahinter liegenden Kabinett enger zusammen. Es summt, es rauscht, es gongt, es schwingt: Schöne Töne ziehen durch die Räume, in denen Kinderträume wahr werden.
Eine Bühne für Flaneure und andere Akteure
Der Herr dieser wunderbaren Dinge ist Jeppe Hein. 1974 in Kopenhagen geboren, studierte der gelernte Schreiner an der Königlichen Dänischen Kunstakademie und war Ende der 1990er Jahre Austauschstudent an der Städel-Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main. Obwohl der international bekannte und gefragte Künstler seit geraumer Zeit in Berlin wohnt, ist der Ort, an dem er eine große Masse und Klasse seiner Werke unter Beweis stellen darf, nicht etwa die Kulturmetropole an der Spree, sondern das nur in einer knappen Stunde mit der Bahn zu erreichende beschauliche Wolfsburg am Mittellandkanal in Niedersachsen. Im dortigen Kunstmuseum, das dafür bekannt ist, auch den offensichtlich verrücktesten künstlerischen Positionen eine Plattform zu bieten, ist jetzt Jeppes Wunderland, ein Tummelplatz für Kinder in jedem Alter. »Komm hier und entdecke das Kind in dir« könnte das Motto der größten bisherigen Einzelschau von Jeppe Hein lauten, in der, unter dem Titel »This Way«, über 70 raumgreifende Installationen und Objekte, tausende kleinformatige Aquarelle und zwei großformatige Wandmalereien alle Sinne erfreuen. »This Way« ist eine Mischung aus Spiegelkabinett und Labyrinth, ein Kaleidoskop aus Formen, Farben und Geräuschen, ein Wirklichkeit gewordenes Land der Fantasie, das das Publikum verblüfft, ohne es einzuschüchtern. Große und kleine Flaneure fühlen sich hier wohl, denn sie können in aller Ruhe die Installationen umkreisen und begehen, wobei sie langsam aber sicher merken, dass diese auf ihre Präsenz reagieren. Ein Schritt lässt die Kugel(n) rollen, ein anderer macht die Lampen an. Es bewegt sich alles wie von selbst, wenn die Museumsbesucher ahnungslos mit ihren Füssen auf die richtige Stelle treten. Dass sich dahinter eine komplizierte Maschinerie befindet, muss man nicht wissen, denn die Bewegungsmelder und Motoren sind unsichtbar im Boden und in den Wänden untergebracht. Das Kunstmuseum Wolfsburg verwandelt sich in eine Bühne, auf der das Publikum mehrere Rollen spielt: Die Zuschauer sind zugleich Akteure und Kulissenschieber. Auch wenn sie nach einiger Zeit durchschauen, dass Jeppes Kunstwerke auch Wunder der Technik sind, machen sie mit auf Schritt und Tritt. Die Atmosphäre ist entspannt, denn man hat das Gefühl, die Dinge persönlich zu bewegen, also ein Spiritus Movens zu sein. »This Way« trägt zur guten Laune bei.
Das Heute ängstigt die Leute
Viele Wege führen zur Kunst. In der Ausstellung »This Way« sind es drei, sodass alle, die sie besuchen, bestaunen und erleben möchten, sich entscheiden müssen, ob sie rechts, links oder geradeaus gehen. »Hier entlang« bedeutet also auch eine Qual der Wahl. Es empfiehlt sich, alle Möglichkeiten nacheinander zu nutzen, sodass keine Eile geboten ist, wenn man die Schau aus allen Richtungen und Blickpunkten erkunden will. Durch welchen Eingang man auch die Ausstellungshalle betritt, ist es eine Reise ins Innere, das vom Äußeren nicht getrennt werden kann. Dafür sorgen die Spiegel, denn jemand, der vor einem Spiegel steht, ist zugleich im Spiegel. Was man mitbringen sollte, um diese Kunst auf sich selbst und sich selbst auf diese Kunst wirken zu lassen, ist viel Zeit. Und das will heißen: »Hier entlang« ist die Hektik fehl am Platz. »Was wir brauchen, ist Entschleunigung. So sind meine Kunstwerke – unbewusst oder bewusst – ein Gegenpol zur heutigen Welt, in der alles sehr schnell gehen muss, in der alles auf der Geschwindigkeit und Leistung beruht. Doch, so glaube ich, kann weder die Gesellschaft noch unser Hirn funktionieren. So kann es nicht weitergehen, denn es macht den Menschen Angst. Und diese Ängste nehmen im Alltag sehr stark zu«, sagt Jeppe Hein. Der Angst begegnet der Künstler mit Humor. Er baut für sie eine dunkle Höhle mit vielen Fratzen, die mit offenen Mündern und bleckenden Zähnen auf die Besucher glotzen. »Ich freue mich, dass viele Leute über meine Arbeiten lachen, denn mit Lachen kann man fast jedes Problem lösen. Ich habe eine sehr positive Einstellung zum Leben, obwohl ich weiß, dass man da häufig auf einem Seil balanciert, von dem man schnell herunterfallen kann. Aber dann muss man sich bemühen, wieder darauf zu klettern, auch wenn das manchmal ziemlich lange dauert.«
Energie und Harmonie
Jeppe Hein ist ein Mann, der ehrlich, freundlich und gut gelaunt wirkt. Er ist stets in Bewegung und trotzdem die Ruhe in Person. Er geht auf die Menschen direkt und offen zu, vermittelt den Eindruck, dass ihre Meinungen ihm wichtig sind. Er spricht viel und schnell, gestikuliert, lacht, aber er hört genau und konzentriert zu, was die anderen ihm zu sagen haben. Er ist ein gefragter und international gefeierter Künstler, dem man es nicht ansieht, dass er an seinem Erfolg fast zugrunde gegangen ist. Die Folge der vielen Reisen, Ausstellungen und Aufträge, die er ohne Wenn und Aber angenommen hatte, weil er nicht nein sagen konnte, war das Burnout, an dem er 2009 erkrankte. So ist die Ausstellung »This Way« auch die Geschichte seiner Genesung. Durch die Hinwendung zum Buddhismus, zur Chakrenlehre und Yoga fand er wieder zu sich selbst. Dabei half ihm auch die intensive Beschäftigung mit der Malerei. Seine Ängste, Sorgen und Hoffnungen bannte er auf Papier. Das Ergebnis sind genau 3253 Aquarelle auf DIN A4 Papier, die bisher noch nirgendwo gezeigt wurden und jetzt in großen Blöcken an der Wänden des Kunstmuseums Wolfsburg hängen. Ein kreativer Mensch findet in der Kunst immer einen Weg, es sei denn, die Kunstwelt verweigert ihm die Gefolgschaft. Darüber muss sich aber Jeppe Hein keine Sorgen machen. Seine interaktiven Werke, die genauso wie ihr Schöpfer, eine positive Energie und Harmonie ausstrahlen, begeistern gleichermaßen Kenner, Händler, Sammler, Macher, Kritiker und Laien. »Meine Kunst öffnet dein Herz, weckt das Kind und den Spieltrieb in dir. Sie zeigt, dass es viel leichter ist, anderen Menschen zu begegnen, wenn du dich selbst akzeptierst, egal, ob du Pickel oder einen Schokoladenbauch hast. Also schau so oft wie möglich in den Spiegel«, sagt Jeppe Hein. Am besten in den, der in der Ausstellung »This Way« hängt. Dort steht nämlich geschrieben: »You are amazing just the way you are.« Wie einfach das alles doch ist: »Du bist wunderbar so wie du bist«.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 24/2015
Jeppe Hein
This Way
Noch bis zum 13. März 2016 im
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
38440 Wolfsburg
Di – So 11 – 18 Uhr
Eintritt 8 / 5 Euro