Jerzy Nowosielski (1923–2011): Polnischer Maler, Architekt, Philosoph und Theologe
Jerzy Nowosielski (1923–2011): Polnischer Maler, Architekt, Philosoph und Theologe

Jerzy Nowosielski (1923–2011): Polnischer Maler, Architekt, Philosoph und Theologe

Frauenakte, Porträts, Stillleben und Landschaften gehörten zu den bevorzugten Motiven des vielseitigen Künstlers Jerzy Nowosielski, der sie vorwiegend mit kräftigen Rot-, Grün-, Blau-, Gelb-, und temperierten Erdtönen malte. Die Themen seiner Bilder und Zeichnungen, in denen die Grenzen zwischen Figuration und Abstraktion fließend sind, schöpfte er aus dem Alltag und aus der christlichen Ikonografie. Auf seinen Stillleben sieht man einfache Haushaltsgeräte: Töpfe, Suppenkellen und Gießkannen. Diese banalen Gegenstände, so offensichtlich mit unserem Leben verwachsen, dass man sie oft nicht wahrnimmt, sind eindeutig und beständig, im Gegensatz zu den Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die unbeständig, unbefriedigend und bedrohlich sein können. Die Bilder »Das Geheimnis der Verlobten« (1962) und »Das Hochzeitsporträt« (1963) lassen erahnen, dass die Faszination der Liebe im Alltag schnell vergehen kann, während die Töpfe sich und uns immer treu bleiben.

Jerzy Nowosielski, Akt in Stadtlandschaft, 1972 (links) und Halbakt mit Schüssel. Muzeum Narodowe w Szczecinie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Jerzy Nowosielski, Akt in Stadtlandschaft, 1972 (links) und Halbakt mit Schüssel. Muzeum Narodowe w Szczecinie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Und ewig lockt das Weib

Unter den Arbeiten Jerzy Nowosielskis nehmen Frauenakte und Frauenporträts einen besonderen Platz ein. Das Weibliche, das er dort zeigt, ist verlockend und abweisend, sinnlich und unnahbar, gefährlich und begehrenswert: eine Projektion der männlichen Allmachtsfantasien, darunter auch von Gewalt, Brutalität, Sadismus und Masochismus. Frauen, die er darstellte, sind Göttinnen, Turnerinnen, Schwimmerinnen, geheimnisvolle nackte oder spärlich bekleidete Unbekannte mit spitzen Brüsten, spitzen Lippen und prallen Hintern, Emanzen, Hexen, häufig passive Geschöpfe, Gefesselte und Sklavinnen, die von Männern gefoltert, misshandelt, drangsaliert und demütigt werden. Die Frau ist ein Objekt der männlichen Begierde und wie das einem Objekt eigen ist, wirkt sie meistens unbeteiligt und leblos. Leblosigkeit und eine eigentümliche Starre sind eine Grundeigenschaft der Werke dieses polnischen Künstlers – wohl ein Symbol der Entfremdung des Individuums und der verfestigten Klischeevorstellungen der Geschlechterrollen in der heutigen Welt. Seine Kunst, darunter die Frauenbilder, ist ambivalent und oszilliert zwischen Bewunderung und Angst, Begrenzung und Entgrenzung, Askese und Exzess. Im wahren Leben war Nowosielski seit 1949 mit Zofia Gutkowska (1922–2003) verheiratet, einer außerordentlich begabten Malerin und Bühnenbildnerin, die für ihn auf die eigene künstlerische Karriere verzichtete, obwohl sie seine Art zu malen für naiv hielt und unter seiner Alkoholkrankheit und Untreue litt.

Magie des Alltags

Die Malerei interessiert mich nicht. Was nicht bedeutet, dass mich ein Akt, eine Landschaft, ein Stillleben nicht interessiert. Mich interessiert die Magie, die wir mit Hilfe der Malerei gegenüber der Wirklichkeit anwenden.

Jerzy Nowosielski
Jerzy Nowosielski, Nationalmuseum Wroclaw. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Jerzy Nowosielski, Nationalmuseum Wroclaw. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Diese Magie versuchte er seit 1945 in seinen Bildern auszudrücken, wobei man merkt, dass ihn die Malerei durchaus interessierte. In den Gemälden und Zeichnungen Jerzy Nowosielskis, der von der polnischen Kritik als »Metaphysischer Realist« bezeichnet wird, sind die Einflüsse von Mondrian, Modigliani, Malewitsch, Léger und Rothko unverkennbar. Auch die Faszination für die byzantinische Kunst darf nicht unerwähnt bleiben, denn der Künstler, welcher zuerst der griechisch-katholischen, später der orthodoxen Kirche angehörte und Mönch werden wollte, wurde seiner Ikonenmalerei wegen als »zeitgenössischer Rubljow« apostrophiert. Abgesehen davon ist seine Kunst einzigartig und eigenständig; seine flächige Malweise und langgestreckte Figuren sind auf den ersten Blick als ein »typischer Nowosielski« erkennbar. Die mit kräftigen oder gedämpften Farben gemalten, sparsamen und perfekt komponierten Bilder, in denen es keine Grenzen zwischen Sacrum und Profanum zu geben scheint und die von innen leuchten, strahlen eine Ruhe und Harmonie aus, die zum Nachdenken anregt: Über die kleinen Wunder des Alltags, einfache und deshalb unsichtbare Dinge, welche uns lebenslang begleiten und die wir nicht richtig würdigen. Über den Alltag, der uns gefangen hält und uns den Blick für die Schönheit der Natur und die Grausamkeit der Menschen verstellt. Über unsere Stärken und vor allem über unsere Schwächen, mit denen wir häufig einen aussichtslosen Kampf führen. Über unsere Unvollkommenheit und Einsamkeit in der Todeszelle des Lebens, in der wir auf sein unvermeidliches Ende warten. Und darüber, dass die Kunst wichtig ist, denn sie kann manchmal dabei helfen, etwas Trost zu spenden und unsere zeitlich begrenze Existenz erträglicher zu machen und zu erhellen.

Text und Foto © Urszula Usakowska-Wolff


Jerzy Nowosielski

wurde am 7. Januar 1923 in einer polonisierten österreichisch-lemkischen Familie in Krakau geboren. Er starb am 21. Januar 2011 in seiner Heimatstadt. Von der polnischen Kunstkritik werden seine Arbeiten – circa 2000 Gemälde und unzählige Zeichnungen – als »Werk eines Genies« und »Metaphysischen Realisten« bezeichnet. Er war einer der Mitbegründer der legendären »Krakauer Gruppe« (1957). Von 1940–1943 war er Schüler der Kunstgewerbeschule in Krakau, von 1945–1961 studierte er Malerei an der Krakauer Akademie der Schönen Künste, von 1976–1993 war er ihr Professor. Er betätigte sich auch als Architekt und Autor polychromer Malereien in orthodoxen und katholischen Kirchen in Süd- und Nordpolen sowie in Warschau, wo er drei Gotteshäuser mit seinen Wandgemälden und Altären schmückte. Er schuf Bühnenbilder für Theater in Krakau, Warschau, Wrocław und Łódź;er entwarf Kostüme für das Puppentheater. Der Künstler schrieb auch zahlreiche Artikel und Bücher über byzantinische Ikonen, Malerei und die orthodoxe Theologie, darunter »Inność prawosławia« (Die Andersartigkeit der Orthodoxie). 1996 gründete er zusammen mit seiner Frau Zofia Gutkowska die Nowosielski-Stiftung, die ihren Sitz in der Krakauer Starmach Gallery hat. 1998 wurde er mit dem Großen Kreuz des Ordens der Wiedergeburt Polens ausgezeichnet. 1999 hörte er auf zu malen.

Jerzy Nowosielski, Am Strand, 1959 (links) und Helle Landschaft, 1969. Muzeum Narodowe w Szczecinie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Jerzy Nowosielski, Am Strand, 1959 (links) und Helle Landschaft, 1969. Muzeum Narodowe w Szczecinie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Er nahm an über 100 Einzel- und über 250 Gruppenausstellungen teil, u.a. 1956 – XXVIII. Biennale in Venedig; 1959 – V. Biennale in Sao Paulo; 1961 – 15 Polish Painters, Museum of Modern Art, New York; 1965 – Profile IV, Polnische Kunst Heute, Städtische Kunstgalerie, Bochum; 1972 – Atelier 72, The Richard Dermarco Gallery, Edinburgh; 1974 – Polish Painting Today, The Mall Galleries, London; 1977 – L´ésprit romantique dans l´art polonaise, Grand Palais, Paris; 1987 – Polnische Malerei 1945–1987, Museum Wiesbaden; 1988 – Art at the Edge, Museum of Modern Art, Oxford; 1992 – EXPO 92´, Sevilla; 1993 – große Retrospektive im Nationalmuseum in Poznań (Posen), die 1994 im Nationalmuseum in Wrocław (Breslau), in der Staatlichen Kunstgalerie Zachęta in Warschau und in der Staatlichen Kunstgalerie in Krakau gezeigt wurde; 2003 – große Retrospektive in der Staatlichen Kunstgalerie Zachęta in Warschau; Seine Arbeiten befinden sich in allen wichtigen Museumssammlungen in Polen sowie in Privatsammlungen in Japan, Kanada, Deutschland, Schweden, in der Schweiz und den USA. Seit fünf Jahren ist er einer der gefragtesten polnischen Künstlern, seine Bilder und Zeichnungen werden für hohe Summen verkauft – mit steigender Tendenz.

Jerzy Nowosielski, Mädchen auf dem Schiff, 1979 (links) und Die Werft, 1948. Muzeum Narodowe w Szczecinie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Jerzy Nowosielski, Mädchen auf dem Schiff, 1979 (links) und Die Werft, 1948. Muzeum Narodowe w Szczecinie. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Das Jahr 2023 wurde vom polnischen Parlament, dem Sejm, zum Jerzy-Nowosielski-Jahr erklärt.

Text © Urszula Usakowska-Wolff


Jerzy Nowosielski: Links

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