Klaus Staeck braucht Kunst, um zu leben
Klaus Staeck braucht Kunst, um zu leben

Klaus Staeck braucht Kunst, um zu leben

Prof. Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste Berlin, spricht mit dem strassen|feger über seine Ausstellung »Kunst für alle«, über sein gesellschaftspolitisches Engagement – und darüber, was er nach dem Ende seiner Präsidentschaft vermissen wird.

Interview & Fotos: Urszula Usakowska-Wolff

Urszula Usakowska-Wolff: Was bedeutet »Kunst für alle«? Geht es in der Ausstellung um eine verständliche, leicht zugängliche Kunst?

Klaus Staeck: »Kunst für alle« bedeutet zuerst einmal, dass alle Menschen Zugang zur Kunst haben sollen, und nicht etwa, dass jetzt alle Kunst machen müssen (lacht). Der alte schöne Spruch von Joseph Beuys »Jeder Mensch ist ein Künstler« bedeutet, dass jeder Mensch von Natur aus kreativ ist, doch wird diese Kreativität oft durch Normen verschüttet, von denen er seit seiner Kindheit umstellt ist. Es geht darum, den Menschen immer wieder Mut zu machen, von ihrer eigenen Kreativität, die sich nicht nur aufs Malen, Bildhauern, Musizieren oder Schreiben bezieht, Gebrauch zu machen. Die Demokratie lebt geradezu davon, dass die Menschen kreativ sind und die Demokratie immer wieder erneuern. Das ist mein großes Bindeglied für alles, was ich mache: Ich möchte Kunst und Leben verbinden und keine L’art pour l’art betreiben.

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Was genau wird in der Ausstellung »Kunst für alle« gezeigt?

Klaus Staeck:  Einer ihrer Schwerpunkte sind die Selbstorganisationen der Künstler, die sich seit Mitte der 1960er Jahre von den Institutionen, von den Galerien, von den Museen, generell vom Kunstmarkt unabhängig gemacht und dessen Distributionsmonopol in Frage gestellt haben, wie zum Beispiel das französische Grafikerkollektiv Grapus, das kanadische Künstlerkollektiv General Idea, die Kunstproduktions- und Vertriebsgesellschaft GmbH zehn neun in München oder die Künstlergruppe Clara Mosch in Karl-Marx-Stadt. Das war ja damals eine sehr aktive internationale Bewegung, einen Teil dieser Selbstorganisationen gibt es heute nicht mehr, denn die Künstler müssen ihre Miete vom Verkauf, von den Urheberrechten ihrer Kunst bezahlen. Die Ausstellung dokumentiert auch verschiedene künstlerische und politische Aktionen, darunter das Festival »intermedia 69« in Heidelberg und die 3. Bitterfelder Konferenz 1992. Ein weiterer Schwerpunkt sind die in diesem, wie ich sage, Multiple-Zeitalter entstandenen und von mir gesammelten Arbeiten anderer Künstler sowie meine eigenen Editionen.

Was war der Auslöser dafür, dass Sie als einer der Ersten bereits Mitte der 1960er Jahre begonnen haben, Multiples, also Auflagenobjekte, am Anfang vor allem Postkarten, zu veröffentlichen und en masse zu vertreiben?

Klaus Staeck: Ich war nicht der Einzige, der das machte, aber ich habe es wohl am konsequentesten bis heute durchgehalten. Das klingt für manche etwas lächerlich, aber ich habe viele Künstler über die Postkarte erreicht. Die Postkarte ist ja eine Grafik im besten Sinne, und ich wollte, dass die Künstler einen Originalentwurf dafür machen und nicht ein vorhandenes Werk als Abbildung benutzen. Es gibt einen schönen Satz von Joseph Beuys, der sehr viele Postkarten für mich entworfen hat, darunter die Holzpostkarte, die Filzpostkarte, die Schwefelpostkarte und die magnetische Postkarte: »Ich bin interessiert an der Verbreitung von physischen Vehikeln in Form von Editionen, weil ich an der Verbreitung von Ideen interessiert bin.« Das könnte auch als Motto für all das gelten, was ich gemacht habe. Da mir die Begabung fehlte, durch Galerien zu ziehen und zu bitten, dass meine Arbeiten ausgestellt werden, habe ich andere Künstler ins Boot geholt. So haben wir einen Angebotskatalog erstellt, doch es war am Anfang sehr mühsam, die Leute davon zu überzeugen, dass ein Multiple, also ein Auflagenobjekt in größerer Stückzahl, auch ein Kunstwerk ist.

Die meisten der Künstler, die sie »ins Boot« Ihrer Edition Tangente, der späteren Edition Staeck in Heidelberg geholt haben, gehören heute, was damals ja nicht abzusehen war, zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die die Kunst der letzten 50 Jahre geprägt haben: Joseph Beuys, Dieter Roth, Blinky Palermo, Daniel Spoerri, Marcel Broodthaers, Christo, Hanne Darboven, Rosemarie Trockel, Nam June Paik, Sigmar Polke, A. R. Penck, Robert Filliou und viele andere. Wieso sind Sie auf diese Künstler aufmerksam geworden? Wo haben Sie sie kennen gelernt? Etwa in Heidelberg?

Klaus Staeck: Erstmal war es, glaube ich, mein guter Blick. Und auch die Tatsache, dass ich für sie nicht nur ein Galerist oder ein Verleger, sondern ein Künstler, ein Kollege war. Ich brauchte immer eine Verbindung zu den Künstlern. Künstler, zu denen ich keine persönliche Beziehung hatte, mit denen konnte ich nicht arbeiten. Ich musste natürlich immer mobil sein, ich bin zu ihnen gefahren und habe sie darauf angesprochen, für mich eine Postkarte zu entwerfen. Das war der Einstieg. Ich habe festgestellt, dass auch die bekanntesten Künstler gern Postkarten machen, weil das die populärste Form der vervielfältigten Kunst ist. Das Erste, was ich mit Beuys gemacht habe, war eine Postkarte von Kassel. Keith Hearing habe ich auch über eine Postkarte kennen gelernt. Das war ein sehr bewegter, ein wunderbarer Teil meines Lebens.

Eigentlich sollte ein Künstler der Politik fernbleiben, ist die weit verbreitete Meinung, doch Sie haben sich immer sehr aktiv in die Politik eingemischt. Warum?

Klaus Staeck: Es gibt den schönen Satz von Gerard Mortier »Alle Kunst ist politisch.« Natürlich werden viele Künstler sagen: »Für mich gilt das nicht« – und trotzdem ist es so. Es hat mich immer interessiert, wie zwei autonome Gebiete, Kunst und Politik, sich produktiv aneinander reiben. Alles, was ich im Leben gemacht habe, war ein Kampf für die Aufklärung und gegen die Gedankenlosigkeit. Es sind sozusagen deine Interessen, du musst die Demokratie verteidigen, das machen nicht anonyme Mächte, das kannst du nicht delegieren. Die Demokratie darf nicht an Langeweile sterben.

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Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es heute kein besonderes Interesse an Demokratie gibt?

Klaus Staeck: Ich glaube, dass man den Verlust der Freiheit erlebt haben muss, um ihren Wert zu schätzen. Wer in politisch behüteten Verhältnissen groß geworden ist, sieht das vielleicht nicht ein. Das ändert sich jetzt zum Teil, weil die Zeiten härter werden und es so eine komische Gegenläufigkeit gibt. Mir kommt manchmal die Situation heute wie ein neues politisches Biedermeier vor, wo alle denken, Frau Merkel wird das schon richtig machen. Das wird uns noch zum Verhängnis werden, dieser Abbau des Interesses für das Politische und das Öffentliche. Ich kämpfte noch immer für den öffentlichen Raum als demokratischen Raum. Ich kämpfe dagegen, dass alles privatisiert wird.

Aber es läuft alles in diese Richtung, denn die Privatisierung des öffentlichen Raums schreitet unaufhaltsam voran.

Klaus Staeck: Ja, aber wenn man der Überzeugung ist, dass es in diese, also in die falsche Richtung läuft, muss man sich dem widersetzen. Und ich widersetze mich bis heute. Wenn ich zum Beispiel gegen Amazon kämpfe, dann aus dem Grund, weil es die Buchpreisbindung ganz konkret gefährdet. Das sind aber die Kunden, die Amazon ernähren, das ist der Einzelne, der sich dieser Politik widersetzen sollte. Doch die meisten lassen sich aus Bequemlichkeit oder Gedankenlosigkeit alles gefallen oder sie verstecken sich, verdrücken sich, wollen damit nichts zu tun haben. Ich bin auch gegen das Freihandelsabkommen TTIP und weise immer wieder darauf hin, welche Folgen seine Ratifizierung für unsere Kultur haben könnte. Wenn sich die amerikanischen Vorstellungen durchsetzen, könnte das tatsächlich unser Modell der Kulturförderung und die daraus resultierende große Kulturvielfalt ernsthaft gefährden.

Sie sind soeben 77 Jahre alt geworden, doch ihre künstlerische und gesellschaftspolitische Aktivität scheint ungebremst zu sein. Woher nehmen Sie die Kraft und Energie, um das alles zu bewältigen?

Klaus Staeck: Ich kann jederzeit unterschreiben, was Karl Valentin gesagt hat: »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.« In meinem Fall macht Kunst noch viel mehr Arbeit, nicht bezahlte Arbeit, die mir aber Freude bereitet. Zu helfen, wenn Ungerechtigkeit passiert, und dafür zu sorgen, dass es wieder gerecht zugeht, verschafft mir Befriedigung. Ich habe immer daran geglaubt, dass David im Kampf gegen Goliath doch eine Chance hat, sonst müssten mindestens 90 Prozent der Menschen verzweifeln. Ich glaube, dass nicht alles erfolglos ist. Dass wir eine noch relativ stabile Demokratie haben, das kommt doch nicht von allein, sondern das erfordert auch viel Arbeit. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die nur jammern, denn das ist unproduktiv. Ich sage immer: »Wenn dich etwas stört, versuch es zu ändern.« Da kann man zwar scheitern, aber es nicht versucht zu haben, ist für mich strafbar. Ich bin auch durch viele Niederlagen gegangen. Wenn ich mich heute umschaue, merke ich, dass die Leute vieles aufgeben, wofür wir einmal gekämpft haben. Warum geben sie zum Beispiel ihre Daten preis? Da bin ich manchmal schon zornig. Ja, der Alterszorn gibt mir neue Kraft. Es ist nicht die Wut, denn sie ist meist irrational. Kraft schöpfe ich auch aus meiner Sammlung, das sind meine Lebensmittel, und ich muss alles unternehmen, damit sie nicht verderben (lacht). Ich brauche Kunst, ich brauche Satire, um zu leben und zu arbeiten. Ich kann die Welt sowieso nur ironisch ertragen, das ist mein Lebensmodell. Ich versuche, das Wesen der Satire den anderen klar zu machen: Die Aufgabe der Satire ist es, die unverschuldet Schwachen gegen den Übermut der Starken zu verteidigen. Und weil die Zahl der übermütigen Starken, nicht nur in Form von Konzernen, welche die Weltmacht anstreben, kontinuierlich steigt, werde ich nie arbeitslos.

Ende Mai geht Ihre dritte und letzte Amtszeit als Präsident zu Ende. Neun Jahre haben Sie die Akademie geleitet, womit Sie der am längsten amtierende Präsident in der Nachkriegsgeschichte dieser ehrwürdigen Institution sind.

Klaus Staeck: Es gab schon einmal einen wunderbaren Mann, Max Liebermann, der mich immer mit seinen kritischen Augen anschaut, wenn ich am Schreibtisch sitze. Er war zwölf Jahre Präsident der Akademie, was heute laut Satzung nicht möglich ist.

Was bleibt in der Akademie der Künste nach der neunjährigen Staeck-Ära?

Klaus Staeck: Als ich zum Präsidenten gewählt wurde, habe ich hier eine Baustelle angetroffen. Wir sind der öffentliche Raum am Pariser Platz, einer der prominentesten Plätze der Republik, deshalb habe ich gekämpft, dass dieses Haus akzeptiert wird. Ich habe das ja nicht allein gemacht, ich bin dabei von vielen Menschen unterstützt worden. Ich habe versucht, immer bewusst zu machen, dass eine 300 Jahre alte Institution wie die Akademie keine Überlebensgarantie für 500 Jahre hat. Ich glaube, es bleibt eine lebendige Akademie, die sich geöffnet hat, die eine kulturpolitische Verantwortung hat, die versucht, immer wieder auszuschwärmen, wie wir das mit dem Projekt »Kunstwelten« machen, mit dem wir bei den Schülern Lust auf Kunst wecken wollen. Ich glaube, dass wir ferner mit den Akademie-Gesprächen auch einen Standard gesetzt haben. Wir lassen uns von der Gesellschaft fragen, wofür sie uns Geld gibt. Ich bin der Meinung, dass die Leute, die noch Steuern zahlen, Anspruch darauf haben, dass wir ihnen etwas zurückgeben und uns nicht in unserem Elfenbeinturm einrichten, bloß den Anstrich, die Tapeten wechseln. Wir machen die Türen auf, aber man muss dann durch die Türen gehen wollen. Das Einzige, was wir noch machen können, um die berühmte sprichwörtliche Schwellenangst abzubauen, ist es zu sagen: »Kommt und kritisiert uns, und wenn ihr etwas anderes haben wollt, dann können wir darüber nachdenken, aber beteiligt euch!«

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Kehren Sie nach dem Ende ihrer langen Amtszeit als Präsident nach Heidelberg zurück?

Klaus Staeck: Ich war ein Leben lang unterwegs gewesen. Ich werde demnächst viel Zeit in Berlin, aber auch in Heidelberg verbringen. Ich brauche die Provinz nicht als Rückzugsort, sondern als kreativen Ort, und die Mehrheit der Republik besteht halt aus der Provinz. Heidelberg ist nach Bitterfeld meine zweite, Berlin meine dritte Heimat geworden. Was ich wirklich vermissen werde, ist dieses wunderbare Büro am Pariser Platz. Der Blick aus dem Fenster auf die Machtzentren der Republik, auf das Brandenburger Tor, auf die Kuppel des Reichstags, auf die französische Botschaft, auf die Liebermann-Villa und auf die Charité wird mit wirklich fehlen. Was sich hier alles in dieser Zeit vor meinen Augen abgespielt hat, ist schon eine Erwähnung wert. Hier habe ich erlebt, was für eine freiheitliche Gesellschaft wir sind. Ich bin ja ein alter Sozialdemokrat, und eines der großen Prinzipien der Sozialdemokratie ist die Solidarität, was immer die Solidarität mit den Schwachen bedeutet. Deshalb möchte ich am Ende unseres Gesprächs sagen: Es war für mich wichtig, dass der strassen|feger Medienpartner und Teil der Ausstellung »Kunst für alle« wird. Ich denke, dass keine andere Ausstellung besser zu Ihrer Zeitung passt als gerade diese.

Interview & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

Erschienen im strassen|feger 5/2015 


"Kunst für alle" - Multiples, Grafiken, Aktionen aus der Sammlung Staeck. Ausstellungseröffnung am 17. März 2015 um 18 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin

KUNST FÜR ALLE. Multiples, Grafiken, Aktionen aus der Sammlung Staeck

18.03. – 07.06.2015

Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
10557 Berlin

Öffnungszeiten
Di–So 11–19 Uhr

Eintritt: 6 / 4 Euro
Bis 18 Jahre und dienstags von 15 bis 19 Uhr Eintritt frei

Buch zur Ausstellung,  Preis 18 Euro

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