Seit dem 7. August 2014 zeigt Klaus Staeck seine von der Nationalgalerie ausgerichtete Ausstellung »Die Kunst findet nicht im Saale statt«. Auf 300 Litfaßsäulen, die über die ganze Stadt verteilt sind, kann man gegenwärtig die aus zehn Motiven bestehende Auswahl seiner ironischen politischen Plakate aus über vier Jahrzehnten sehen, die, zu Ikonen und Klassikern der anspruchsvollen Popkultur geworden, keineswegs antiquiert sind und aktueller denn je wirken.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Am 21. Mai 1471 erblickte Albrecht Dürer in Nürnberg das Licht der Welt. Zum 500. Geburtstag ihres größten Sohnes richtete ihm seine Heimatstadt ein »Festjahr« aus, das sie sich 6,6 Millionen DM kosten ließ. Es war »das wohl aufwendigste deutsche Kulturfestival aller Zeiten«, schrieb Der Spiegel (Nr. 11/1971). Doch für Aufsehen sorgte eine Aktion, die mit den offiziellen Feierlichkeiten nichts zu tun hatte und privat finanziert wurde. »300 Plakate nehmen das Festjahr aufs Korn. Wirbel um Dürers Mutter«, lautete die Schlagzeile in der Abendzeitung am 15. Mai 1971. Und weiter im Text: »1514 von Albrecht Dürer mit Kohle gezeichnet, blickt die alte Dame seit einigen Tagen von 300 Wänden kritisch auf die Nürnberger Passanten. Denn es wird gefragt: >Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?< Autor der umfunktionierten Zeichnung ist der Heidelberger Künstler Klaus Staeck.«
Packendes Plakat
Dürers »umfunktionierte« Mutter war eines der ersten Plakate, das Klaus Stack entwarf und das er im öffentlichen Raum zeigte, denn für ihn stand von Anfang an fest: »Kunst findet nicht im Saale statt.« Sein Anliegen bei der zehn Tage dauernden Nürnberger Plakataktion, Kostenpunkt eintausend DM, war zum einen »die Bürger zu schocken, sonst wäre der Effekt weggewesen«, zum anderen herauszufinden, ob ein Plakat, das für keine Produkte oder Veranstaltungen wirbt, sondern Inhalte und Botschaften vermitteln oder Fragen aufwerfen will, auf Interesse stoßen kann. Das war in Nürnberg durchaus der Fall: »Die Telefone bei der Stadtverwaltung glühten. Alle wollten wissen, was das eigentümliche Plakat zu bedeuten hat. Nicht anders erging es dem mit Briefen und Anrufen überschütteten Presseamt der Stadt, dem Kulturdezernat und den Männern der Planungsgruppe Dürer-Jahr«, berichtete die Abendzeitung. Und weil in dieser Zeit in Nürnberg der Haus- und Grundbesitzerverein tagte, was Klaus Staeck bei der Vorbereitung der Plakataktion nicht wusste, schien die in »Dürers Mutter« gestellte Frage sehr aktuell und brisant zu sein. »Mit solchen Arbeiten sehe ich die einzige Chance, die Leute zu packen. Die Frau würde kein Zimmer finden. Das ist die Heuchelei«, sagte damals Klaus Staeck.
Politische Popkultur
Seit dem 7. August erobern Klaus Staecks Plakate wieder den städtischen Raum, diesmal in Berlin. Auf 300 Litfaßsäulen, die über die ganze Stadt verteilt sind, kann man gegenwärtig die aus zehn Motiven bestehende Auswahl seiner ironischen politischen Plakate aus über vier Jahrzehnten sehen, die, zu Ikonen und Klassikern der anspruchsvollen Popkultur geworden, keineswegs antiquiert sind und aktueller denn je wirken. Denn der am 28. Februar 1938 in Pulsnitz in Sachsen geborene und seit 1957 in Westdeutschland lebende Jurist, Verleger, Grafikdesigner, Karikaturist, Kolumnist, bekennende Sozialdemokrat und Präsident der Akademie der Künste in dritter Amtszeit hat viele negative Entwicklungen vorausgesehen: soziale Ausgrenzung, Umweltverschmutzung, Vernichtung der Ressourcen und Lebensgrundlagen durch den Turbo- und Casinokapitalismus, die Folgen der Globalisierung, die Versklavung und Entmündigung der Beschäftigten durch global agierende Großkonzerne, die heuchlerische Politik, die Misere im Bildungssystem. Was er auf seinen Plakaten einst schrieb und zeigte, schien vielen übertrieben und schwarzmalerisch zu sein, doch seine mahnenden Bilder und Worte sind Wirklichkeit geworden. »Mein zentrales Thema war immer die Umwelt«, sagt Klaus Staeck, »doch es ist nicht zu erkennen, dass wir den Klimawandel in den Griff bekommen haben. Ich finde jeden Tag zehn Gründe zu resignieren und habe Mühe, zwei, drei Gründe zu nennen, um nicht aufzugeben. Doch man muss es versuchen, scheitern kann man immer.«
Mühseliger Weg zur Erkenntnis
Klaus Staecks Credo, das ihn seit über vierzig Jahren zum Handeln motiviert, lautet: »Nichts ist erledigt.« Als überzeugter Aufklärer möchte er die Leute dazu bewegen, darüber nachzudenken, was sie tun sollten, damit die Welt etwas besser und gerechter wird. »Wenn es mir gelingt, komplizierte Dinge einfach wiederzugeben, ist das meine Kunst«, meint er. Das schafft er, indem er Ironie und Satire einsetzt: »Satire erfordert eine gewisse Anstrengung, was recht mühsam ist, aber jeder Weg zur Erkenntnis führt über die Mühsal.« Klaus Staeck ist ein unglaublich produktiver, effizienter und konsequenter Künstler. Seit 1962 hat er 380 Plakate und Postkarten entworfen und in einer Auflage von etwa 30 Millionen Exemplaren produziert. Seine Papierarbeiten, Fotos und Multiples wurden bisher in rund 3.000 Einzelausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Somit ist Klaus Staeck sicherlich der auflagenstärkste Grafiker sowie ein Künstler mit den meisten Ausstellungen in Deutschland, womöglich sogar weltweit, einer, der von Anfang an die Kunst als Massenware vertreibt und präsentiert, um seine singulären Botschaften unters Volk zu bringen. So wie er als Mensch viele widersprüchliche Fähigkeiten und Begabungen in sich vereint, hat er stets ein sicheres Gehör und einen unverstellten Blick für die Wirklichkeit, deren Absurditäten, Brüche und Widersprüche er auf seine einzigartige Weise sichtbar und verständlich macht.
Zurück zu den Anfängen
Jetzt auch in dieser geballten Form in Berlin: Klaus Staecks Ausstellung »Kunst findet nicht im Saale statt« ist ein Projekt der Nationalgalerie. »Solange ich Plakate mache, werden sie für tot erklärt«, sagt der Künstler. »Doch ich bin ein Papiermensch und glaube daran, dass auch im digitalen Zeitalter ein statisches Bild, ein Plakat an der Litfaßsäule auf die Menschen wirken kann, solange sie sich als analoge Wesen verstehen.« Für die Besucherinnen und Besucher der riesigen Plakatinstallation in den zentralen Bezirken der Hauptstadt liegt in den Häusern der Nationalgalerie ein Stadtplan parat, auf dem die Standorte der Litfaßsäulen verzeichnet sind. Vor der Neuen Nationalgalerie und dem Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart steht während der Ausstellungsdauer jeweils eine Litfaßsäule mit allen zehn in Berlin gezeigten Plakatmotiven. »Ich habe über 3.000 Ausstellungen gemacht«, so Klaus Staeck, »ob da eine mehr oder weniger zustande gekommen wäre, wäre das für mich kein Problem. Doch meine Plakate über den Umweg der Nationalgalerie zu zeigen, ist für mich der Weg zurück zu den Anfängen.« Was in Nürnberg 1971 begann, lässt sich auf den Berliner Straßen 2014 gut sehen, gut begehen und gut verstehen. So schließt sich vorläufig der Kreis.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 17, August/September 2014
Klaus Staeck
Die Kunst findet nicht im Saale statt
7.-31.08.2014
Eine Ausstellung der Nationalgalerie
im öffentlichen Raum der Stadt Berlin