»Kunst aus dem Holocaust« ist der Titel der Ausstellung, die im Deutschen Historischen Museum gezeigt wird. Erstmals in Deutschland sind dort 100 Werke aus der Sammlung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu sehen, die zwischen 1939 – 1945 von jüdischen Häftlingen in Konzentrations-, Arbeits- und Vernichtungslagern und in den Ghettos gemalt wurden.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Diese Bilder durfte es nicht geben: Sie zeigen unvorstellbares Leid, Demütigungen, Folter, Angst, den individuellen und massenhaften Tod, die den Menschen jüdischer Herkunft infolge des nationalsozialistischen Rassenwahns zuteil wurden. Sie zeigen die Verschleppten, die zu Fuß Getriebenen, die in den Viehwaggons Transportierten auf dem Weg in die Ghettos, in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Ein gebückter Mann schiebt einen Rollstuhl, in dem ein kleines Mädchen sitzt, neben ihm geht ein bärtiger Mann mit einem etwas größeren Mädchen auf dem Arm: Die Gesichter der siebenköpfigen Gruppe (einer Familie?) sind nur angedeutet, sie scheinen sich aufzulösen. Auf den anderen Bildern ist der grausame Alltag in den von Nazideutschland besetzten Ländern zu sehen: öffentliche Hinrichtungen auf Straßen und Plätzen, Leichenwagen in Ghettos, eine unglaubliche Enge in den Baracken, die mit ausgemergelten, gequälten und hungernden Gestalten bevölkert sind. Neben den Bildern, die das Leben und das Sterben an den Orten des Grauens dokumentieren, gibt es auch solche, die ihm trotzen oder entfliehen wollen: Konterfeis mit Augen, die direkt, selbstbewusst und stolz blicken, Naturdarstellungen, Traumwelten und religiöse Szenen.
Ein Akt des Widerstands
»Kunst aus dem Holocaust« heißt die Ausstellung im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums, wo zum ersten Mal in Deutschland 100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem präsentiert werden. Es ist eine Schau wie keine andere: bewegend, berührend, erschütternd, und weil sie wegen der Fragilität der Papierarbeiten wahrscheinlich nur in Berlin gezeigt wird, in der Tat einmalig. Die vorwiegend zwischen 1939 – 1945 entstandenen kleinformatigen Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen sowie einige wenige Gemälde prägen sich tief ins Gedächtnis ein. Sie stellen das Unfassbare, das von den professionellen und autodidaktischen Künstlern in den Vernichtungsstätten Erlittene unmittelbar, sachlich und unpathetisch dar. Diese Bilder sind einerseits Zeitdokumente: Sie gewähren schonungslose und authentische Einblicke in eine Welt, aus der nichts nach außen dringen durfte, denn die Opfer und alle Beweise ihrer physischen und geistigen Existenz sollten von den Tätern für immer vernichtet, ausgelöscht, aus dem Gedächtnis der kommenden Generationen getilgt werden. Zum anderen waren die Bilder ein Akt des Widerstandes, denn es war verboten, den Alltag in den Ghettos und in den Lagern aufs Papier oder auf die Leinwand zu bannen. Materialien wie Farben und Papier tauschten die Künstler oft gegen Essen. »Die Ausstellung ermöglicht eine seltene Begegnung, gerade hier in Berlin, zwischen dem heutigen Publikum und denen, die die Shoah durchlebt haben. Jedes dieser Werke ist sowohl ein lebendiges Zeugnis aus dem Holocaust als auch eine Bekräftigung des unbeugsamen menschlichen Geistes«, sagte Avner Shalev, Vorsitzender von Yad Vashem, der zusammen mit Eliad Moreh-Rosenberg, Direktorin der dortigen Kunstabteilung, zur Ausstellungseröffnung in die Bundeshauptstadt gekommen war.
Das Gesicht eines Menschen, ganz einfach!
Diese Schau ist auch deshalb so außergewöhnlich, weil aus den 10 000 Werken, die sich in der Kunstsammlung von Yad Vashem befinden, solche Blätter und Gemälde ausgewählt wurden, die das Geschehen aus der Perspektive der Opfer zeigen. Die Opfer waren zugleich handelnde Personen, die sich auf ihre Art dagegen wehrten, das ihnen von den Tätern bestimmte Schicksal passiv zu erdulden. Sie nahmen sich die Freiheit, das ihnen und den anderen Mithäftlingen zugefügte Leid und die unmenschlichen Lebensbedingungen schonungslos und unverfälscht darzustellen, obwohl das verboten war. Sollten ihre im Geheimen gefertigten Bilder entdeckt werden, riskierten sie noch zusätzlich ihr sowieso gefährdetes Leben. Sie nahmen das in Kauf, um das Unvorstellbare festzuhalten und es vor dem Vergessen zu bewahren. Die Kunst war stärker als die Angst vor dem Tod, denn der subversive, kreative und freie menschliche Geist kann nicht bezwungen werden. »Ich liege hier auf einem Bett / auf einem Schragen statt einem Bett, / Mein Körper wurde zum Skelett, / Doch meine Seele ist frei!«, schrieb die Wiener Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Margarete Schmal-Wolf am 29. August 1942, zwei Tage vor ihrem Tod im Ghetto Theresienstadt. Die freie Seele spiegelt sich am deutlichsten in den Selbstporträts und Porträts, zu denen ein Viertel der ausgestellten Werke gehören. Dadurch bekommt das Leid der Millionen anonymer Opfer ein individuelles Gesicht, »ein Gesicht gezeichnet von Wut / von Mitleid und vor Freude, / das Gesicht eines Menschen, ganz einfach!«, schrieb der aus Rumänien stammende Lyriker und Dramatiker Benjamin Fondane, der seit 1941 in Paris lebte. Er wurde denunziert und zusammen mit seiner Schwester im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden.
Sie malten für die Nachwelt
In der Ausstellung »Kunst aus dem Holocaust« sind Werke von 50 Künstlern versammelt, darunter von Felix Nussbaum, Leo Hass, Charlotte Salomon, Ludwig Meidner und Marcel Janco. Neben Selbstporträts und Porträts sind »Wirklichkeit«, das heißt Flucht, Verfolgung, Vertreibung, Verschleppung, der Alltag in den Ghettos und Lagern sowie »Transparenz«, also der Glaube, der imaginäre Ausbruch ins Freie, in die unberührte Natur und die Welt der Träume die thematischen Schwerpunkte dieser Schau. Sie wird durch Gedichte und erklärende Wandtexte ergänzt. Es gibt auch ein Heft mit Biografien aller daran beteiligten Künstler: eine schmerhafte, herzzerreißende Lektüre, denn die Hälfte von ihnen haben das Ende des Krieges nicht erlebt. Sie wurden von Nazi-Schergen ermordet, starben an Typhus, Hunger oder Entkräftung. Es ist ein Trost, dass ihre Bilder gerettet wurden. »Die Künstler waren sich dessen bewusst, dass sie wahrscheinlich nicht überleben, dass sie physisch vernichtet werden. Sie malten für die Nachwelt und hofften, dass wenigstens etwas von ihnen bleiben wird. Sie hofften, dass sie eine Spur ihrer Existenz und ihres geistigen Kampfs hinterlassen«, so die Ausstellungskuratorin Eliad Moreh-Rosenberg.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
VG Wort, WG Bild-Kunst Bonn 2016
Erschienen im strassen|feger 4/2016
Kunst aus dem Holocaust
100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem
Noch bis zum 3. April
Deutsches Historisches Museum
Unter den Linden 2
10117 Berlin
Öffnungszeiten:
Täglich 10 – 18 Uhr
Eintritt:
8 / 4 Euro
bis 18 Jahre frei
Katalog:
Wienand Verlag, Köln
Deutsch/Englisch/Hebräisch
Preis: Museum 39,90 Euro / Buchhandel 45 Euro