»Denk nicht darüber nach, Kunst zu machen. Mach sie einfach.« Dieses Zitat von Andy Warhol, mit großen schwarzen Buchstaben auf eine weiße Tafel geschrieben, die im Foyer der Akademie der Künste in Berlin-Tiergarten steht und fast bis zur Decke reicht, kann nicht übersehen werden. Es sind Worte, die sicher nicht zufällig gewählt wurden. Sie springen sofort ins Auge und muten wie ein Credo der Ausstellung »Kunst für alle. Multiples, Grafiken, Aktionen aus der Sammlung Staeck« an.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Diese Ausstellung, die in der ersten Etage der Akademie für zweieinhalb Monate Quartier bezogen hat, ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Sie ist eine wahre Rarität und eine Premiere: Noch nie hat Klaus Staeck so große Teile seiner Sammlung, die in Heidelberg gelagert wird, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. »Das ist in Wirklichkeit ein Riesenarchiv«, sagt er. »Ich müsste mindestens 100 Jahre alt werden, um es zu ordnen.« Doch das Ende seiner Präsidentschaft, die Mitte des Jahres nach drei Amtszeiten ausläuft, womit er der am längsten amtierende Präsident der Akademie in ihrer Nachkriegsgeschichte ist, motivierte ihn dazu, hunderte seiner bisher verborgenen Schätze in Berlin zu zeigen. Die Ausstellung »Kunst für alle« verzichtet weitgehend auf Wandtexte und ganz auf Bildunterschriften. So kann man sich, fast ohne Anleitung, ein Bild von Klaus Staeck machen, nämlich dieses: Er ist ein rebellischer Geist und ein engagierter Zeitgenosse, der bis heute daran glaubt, dass Kunst eine aufklärerische Mission hat, denn viele Künstler verfügen über eine Sensibilität, die ihnen signalisiert, mit welchen Problemen und Fragen sich die Gesellschaft alsbald beschäftigen wird. Er gibt den Politikern Denkanstöße und stößt sie manchmal vor den Kopf, indem er Kampagnen startet, die häufig seinen Genossen von der SPD auch nicht in den Kram passen. Als Politsatiriker nennt er Defizite und Bedrohungen der Demokratie beim Namen und er illustriert sie auf seinen Plakaten und Postkarten mit leicht verständlichen und deshalb so einprägsamen Bildern und Worten. Weil er als Künstler unabhängig bleiben, sich dem Zwang, Diktat und den Moden des Kunstmarkts nicht unterwerfen will, gründet er 1965 seinen eigenen Verlag: die Edition Tangente, welche seit 1972 Edition Staeck heißt. Da er das Risiko nicht scheut und sich auf Experimente einlässt, die, wie etwa das Festival »intermedia 69« in Heidelberg, ihn unter einem Schuldenberg zu begraben drohen, muss er viele Niederlagen erleben. Doch das hält Klaus Staeck nicht davon ab, weiter zu machen. Wie, wo und mit wem er das tut, ist in der Ausstellung »Kunst für alle« zu sehen.
Nicht erdrückend, sondern entzückend
Bei der Besichtigung dieser Schau fällt auf, dass die Sammlung Staeck einen ganz anderen Charakter hat als die Sammlungen, von denen es in Berlin und auch anderswo nicht wenige gibt. Es ist eine Sammlung, die nicht aus dem Bedürfnis heraus entstanden ist, das Ansehen des Sammlers aufzupolieren oder seinen Reichtum zu vermehren. Das Flüchtige, Vergängliche und Unscheinbare ist das, was den Sammler Staeck interessiert. Neben den Multiples und Grafiken finden wir in seiner Kollektion Flugblätter, Einladungskarten, Flyers, Programme, Manifeste, Veranstaltungsplakate, Zeitungsausschnitte, Fotos, von Amateuren gedrehte, wackelige Filme und vieles mehr. Auch wenn er, wie es sich zeigt, Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern gesammelt hat, die heute hoch im Kurs stehen, will und kann er sich von den Sammlungsstücken nicht trennen, denn das sind, wie er sagt »meine Kinder, obwohl das banal klingen mag.« Seine Sammlung ist ein Dokument der Zeit, einer Zeit, in der die Künstler noch glaubten, die Gesellschaft verändern zu können, Autoritäten und Institutionen infrage stellten, Politiker, die ihnen das Handwerk legen wollten, in die Schranken wiesen. Die Sammlung Staeck, wie man sie in der Ausstellung »Kunst für alle« erlebt, ist, trotz der vielen Exponate, nicht erdrückend, sondern an vielen Stellen entzückend. Sie regt zum Mitdenken, zum Nachdenken und zum Schmunzeln an. Der Sachse Klaus Staeck, seinen Worten nach »ein protestantischer Preuße«, ist, welch ein Glück, kein Teutone. Er hat eine Schwäche für Künstlerinnen und Künstler, deren Stärke es ist, wie seine übrigens auch, sich mit der absurden Vehemenz der Existenz zu befassen. Ernste Themen wie Politik, Macht des Kapitals, Armut, Krieg, Ausbeutung und die sonstige Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der Welt, in der wir leben, werden mit Humor und Ironie veranschaulicht. Die Präsentation der »Kunst für alle« hat es auch in sich und wirkt an manchen Stellen echt subversiv: vor allem da, wo auf Holzpaletten, direkt vor den Füßen des Publikums, ganz berühmte, an die Wand angelehnte Bilder stehen, die Ikonen der Pop Art darstellen und/oder von Ikonen der Pop Art stammen. Doch man muss vor ihnen weder in die Knie gehen noch vor Ehrfurcht erstarren: Die Sammlungsstücke sind ja nicht beschriftet, nur nummeriert. Wer unbedingt wissen will, von wem das eine oder andere (un)sterbliche Werk stammt, kann sich im Ausstellungs-Booklet kundig machen.
Die Trennung zwischen Kunst und Leben aufheben
Die Ausstellung »Kunst für alle« macht auch deutlich, dass Klaus Staeck ein Teamworker und Netzwerker war, lange bevor diese Begriffe geprägt wurden. Er konnte eine Vielzahl von Künstlern aus Deutschland, den anderen europäischen Ländern, aus den USA und Kanada, 150 sind in der Ausstellung vertreten, dafür begeistern, für ihn Auflageobjekte zu fertigen, und diese Künstler blieben seiner Heidelberger Edition treu, auch dann, als sie zu gefeierten und hochbezahlten Stars des internationalen Kunstmarkts aufgestiegen sind: weil sie ihn als einen Künstlerkollegen, und nicht als einen auf Profit ausgerichteten Galeristen oder Verleger betrachteten. »Ich war immer neugierig auf die Arbeit anderer Künstler, und ich wollte möglichst viele neugierig machen auf die der Kunst innewohnende Energie jenseits von l’art pout l’art«, schreibt Klaus Staeck in dem Begleitbuch zur Ausstellung. »Es geht um Lust auf Kunst, sie möglichst allen zugänglich zu machen, ohne Schwellenangst, ohne Eignungsprüfung von selbsternannten Tempelwächtern der Kultur. Getreu dem Credo der Fluxus-Bewegung sollte die künstliche Trennung zwischen Kunst und Leben aufgehoben werden, ohne auf Qualität zu verzichten.«
Text und Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 7/2015
KUNST FÜR ALLE
Multiples, Grafiken, Aktionen aus der
Sammlung Staeck
noch bis zum 07.06.2015
Akademie der Künste
Hanseatenweg 10
10557 Berlin
Öffnungszeiten
Mo–So 11–19 Uhr (und während der Veranstaltungen)
Eintritt: 6 / 4 Euro
bis 18 Jahre und dienstags von 15 bis 19 Uhr Eintritt frei
Die Ausstellung wird von zahlreichen Veranstaltungen und einem Vermittlungsprogramm für Kinder
und Jugendliche begleitet.
Katalog »Kunst für alle«
mit Beiträgen von Klaus Staeck, Thomas Wagner, Stephan von Wiese, Claudia Jansen,
Wolfgang Ullrich
und Oskar Negt.
AdK Berlin 2015, Preis 18 Euro