Liebesglühen und Liebesmühen in der Bilderserie »Verhängnis« von Nadja Schüller-Ost
Liebesglühen und Liebesmühen in der Bilderserie »Verhängnis« von Nadja Schüller-Ost

Liebesglühen und Liebesmühen in der Bilderserie »Verhängnis« von Nadja Schüller-Ost

Die Bilderserie  „Verhängnis” von Nadja Schüller-Ost besteht aus sechs Blättern, deren spritus movens Amor ist, jene treibende Kraft, die stets das Gute will und oft das Böse schafft. Mit seinen Pfeilen richtet der Knabe manchmal Unheil an: Liebe muss nicht immer glücken, sie hat ja oft so viele Tücken. Das zeigt Nadja Schüller-Ost mit Esprit, Humor und Augenzwinkern auf ihre direkte und expressive Art in der Neuköllner Galerie DAS LABOR. 

Von Urszula Usakowska-Wolff

Nadja Schüller, die sich als Künstlerin Nadja Schüller-Ost nennt, weil sie im sächsischen Zwickau geboren wurde, lebt und arbeitet seit 1992 in Berlin. Sie ist eine begnadete Zeichnerin und Geschichtenerzählerin, Illustratorin und Autorin von Grafiknovellen, deren Szenenbücher sie selbst schreibt und bebildert. Doch ihre figurativen Artefakte sind mitnichten spontan, obwohl sie so wirken; sie sind bis ins kleinste Detail durchdacht und konzipiert. Sie gewähren manchmal zarte und poetische, manchmal schonungslose und drastische Einblicke in die Welt der Menschen, Pflanzen und Tiere. Nadja schafft pulsierende Bilder, die vor Energie strotzen und sich zu bewegen scheinen. Für Nadja ist Kunst eine Bühne, auf der sie ihr unverkennbares Theatrum mundi inszeniert: als Dramatikerin, Regisseurin und Bühnenbildnerin. Zu den Themen, die in ihrem Welttheater aufgeführt werden, gehören solche, die offensichtlich seit immer und für immer für die Ambivalenz der menschlichen Natur stehen: Großzügigkeit und Niedertracht, Gunst und Neid, Anteilnahme und Gleichgültigkeit, Empathie und Schadenfreude, Zuneigung und Missbrauch, Liebe und Hass, Freude und Traurigkeit, Elan und Erschöpfung, Egoismus und Altruismus. Das sind nur einige Eigenschaften, die sich eigentlich ausschließen, aber immanente Bestandteile des menschlichen Tuns sind, denn schon der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe wusste:

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.

Nadja Schüller-Ost, Amor, meine Geisel, 2010, Acryl und Ölpaste auf Kartonage, 100 x 200 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost
Nadja Schüller-Ost, Amor, meine Geisel, 2010, Acryl und Ölpaste auf Kartonage, 100 x 200 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost

Amor, Ikarus, Medea, Sysyphos und Prometheus

Diese faustischen »zwei Seelen« kommen in der heute hier gezeigten Serie »Verhängnis« von Nadja Schüller-Ost fantastisch und realistisch zum Ausdruck. Es geht darin um Liebeslust und Liebesfrust, um Leid durch Liebe und Gefallen am Leid. »Das Verhängnis« bedeutet, laut Duden, »von einer höheren Macht über jemanden verhängtes Unglück, Unheil, dem man nicht entgehen kann.« Nadjas »Verhängnis« ist also eine Art antike Tragödie, in der es kein Entrinnen vom Schicksal gibt. Um das Liebesglühen und das Liebesmühen, um die Leidenschaft, die den Liebenden nicht nur Freude, sondern auch viele Leiden schafft, zu illustrieren, bedient sie sich eines mythologischen Personals, das sie symbolisch, also allgemeinverständlich darstellt: Amor ist der Liebesbote mit dem Bogen, aus dem er Pfeile abschießt, die bewirken, dass Menschen sich verlieben, auch wenn ihnen das nicht immer gut tut. Ikarus ist der Jüngling mit den Flügeln, der im Meer ertrinkt, weil er zu hoch hinaus wollte. Medusas hässliches Antlitz lässt sogar Götter zu Steinen erstarren. Sysiphos ist der Mann, der für seine Frevel von Hermes in die Unterwelt verbannt wird, wo er zur Strafe einen Felsblock auf ewig einen Berg hinaufwälzen muss, der, fast am Gipfel angelangt, jedes Mal wieder ins Tal rollt. Prometheus aus dem Geschlecht der Titanen stiehlt den Göttern das Feuer und bringt es den Menschen, wofür er auf Geheiß von Gottvater Zeus gefesselt und im Kaukasusgebirge festgeschmiedet wird. Damit nicht genug: Dort sucht ihn regelmäßig ein Adler heim und frisst von seiner Leber, die sich danach stets erneuert.

Nadja Schüller-Ost, Prometheus, 2010, Fineliner auf Bütten, 40 x 50 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost
Nadja Schüller-Ost, Prometheus, 2010, Fineliner auf Bütten, 40 x 50 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost

Autothematisch und ambivalent

Nadja Schüllers »Verhängnis« besteht aus sechs Blättern, deren spritus movens Amor ist, jene treibende Kraft, die stets das Gute will und oft das Böse schafft. Mit seinen Pfeilen setzt der Knabe die unheilvolle Liebe und somit die Handlung der Serie in Gang. »Amor, meine Geisel« heißt das besagte Bild, was etwas verwirrend klingt, denn meistens sind die Liebenden Amors Geiseln und es ist bekannt, dass er alles besiegt wie zum Beispiel auf Caravaggios Gemälde »Amor vincit omnia« (1602) im Berliner Kulturforum zu sehen. Das ist nicht das Einzige, was an Nadjas amourösen Geschehen beim genaueren Hinsehen auffällt: Zum einen wirken die Bilder sehr bunt, obwohl ihre Koloristik recht sparsam ist: Schwarz und Weiß mit mehr oder weniger Rot (»Medusa«, »Prometheus« und »Ikarus«) und Komplementärfarben. Zum anderen ist das »Verhängnis« autothematisch, denn alle mythologischen Figuren werden tatsächlich von der Künstlerin verkörpert. Sie tritt einzeln (als Amor, Medusa und Sysiphos), doppelt (als Ikarus und Prometheus) sowie mehrfach (in »Von Pein und Verderben«) auf. Das Individuum ist zwar ein Einzelwesen, doch das, was es erlebt, gehört auch zu den Erfahrungen der Anderen, heute wie in entferntester Vergangenheit. Wir sind alle duale und manchmal auch multiple Persönlichkeiten, was sich häufig in der Liebe offenbart, denn »L’amour« als »enfant de bohème« wird oft verherrlicht und idealisiert, ist aber im wahren Leben ein ambivalentes Geflecht aus Glück, Euphorie, Demütigung, Freude, Leid, Höhenflug und Fall, Integrität und Versagen, Zerstörung und Selbstzerstörung. Das ist auf den hier gezeigten Bildern deutlich zu sehen. Jede und jeder kann, je nach Gang der Dinge und Lage, sowohl Täter als auch Opfer sein. Doch die Künstlerin ist mitnichten eine Moralistin: Sie billigt ihre und somit die Schwächen der anderen Menschen nicht, hat aber viel Verständnis und Empathie für die Zerrissenheit, die Ambivalenz und die Dualität ihres Handelns.

Nadja Schüller-Ost, Ikarus, 2010, Fineliner auf Bütten, 40 x50 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost
Nadja Schüller-Ost, Ikarus, 2010, Fineliner auf Bütten, 40 x50 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost

Direkt, dynamisch, deutlich

Die Bilder von Nadja Schüller-Ost, darunter auch die aus der Serie »Verhängnis« sind direkt, dynamisch und deutlich. Die Künstlerin hat keine Scheu, ihre eigenen und die Unzulänglichkeiten der Anderen zu zeigen. Sie hat Verständnis für Situationen, in denen die Grenzen zwischen Opfern und Tätern nicht so einfach gezogen werden können. Das stellt sie mit Charme, Ironie und Humor dar. Eine mögliche Bezeichnung ihres Stils könnte »Fatalistischer Realismus« sein. Liebe und andere Katastrophen sind ein Fatum für die Menschen. Und trotzdem will niemand (oder fast niemand) darauf verzichten, obwohl schon in der Bibel (Tessalonicher, 1, 9) steht: »Welche werden Pein leiden, das ewige Verderben von dem Angesichte des Herrn und von seiner herrlichen Macht.«

Text und Beitragsfoto © Urszula Usakowska-Wolff
Fotos © Nadja Schüller-Ost

Nadja Schüller-Ost, Von Pein und Verderben, 2010, Acryl und Ölpaste auf Kartonage, 200 x 283 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost
Nadja Schüller-Ost, Von Pein und Verderben, 2010, Acryl und Ölpaste auf Kartonage, 200 x 283 cm. Foto © Nadja Schüller-Ost

Nadja Schüller-Ost
Verhängnis

13.04.-11.05.2018

Galerie DasLABOR Berlin
Fuldastr. 56
12043 Berlin
Tel.: 0176 64349806

Öffnungszeiten: Sa, So 14 – 19 Uhr und nach Vereinbarung