Beethovens Fidelio hat eine gute Tradition als gefeierter Anfang in der Geschichte der Deutschen Oper. 1912 wurde damit das neue Haus eingeweiht, 1945 war es die erste Nachkriegsoper in Berlin im Theater an der Kantstraße und nun 2022 als erste Premiere aus dem erneuerten Orchestergraben, dem Arbeitsplatz von Sir Donald Runnicles seit 13 Jahren, so lange wie vor ihm keiner. Auch diesmal dankte das Publikum mit starkem Applaus, was wohl vor allem der Erlösung nach der langen Pause der Enthaltsamkeit entsprang und zuerst der musikalischen Leistung galt.
Diese Leistung war von unterschiedlicher Qualität. Wie immer von hervorragender Präzision war der Chor der Deutschen Oper unter der Leitung von Jeremy Bines. Auch Albert Pesendorfer als Rocco konnte in allen Phasen stimmlich überzeugen. Sein besonderer Applaus galt aber wohl auch der Spannung zwischen Gehorsam und Moral, in der sich nicht wenige Zuschauer gespiegelt sahen. Die Sopranrollen von Leonore und Marzelline wurden von Ingela Brimberg und Sua Jo gut dargeboten. Der Florestan von Robert Walsen zeigte in den höheren Tönen kleine Schwächen, und Pizarro, gesungen von Jordan Shanahan, litt anscheinend unter Indisposition.
Sir Donald Runnicles führte das Orchester mal mit kraftvollen Partien, dann wieder glatt und geschmeidig, wie zur Darbietung einer Sinfonie, was nicht zur Begleitung der Handlung passte. Stellenweise, gerade in den Duetten übertönte die Musik den Gesang, so dass kaum zu verstehen war, was vorgetragen wurde. Da war es hilfreich, wenigstens die Texte mitlesen zu können.
Aber auch sonst fehlte es an klärenden Worten. David Hermann hat für seine Inszenierung große Teile der Parlandi gestrichen, obwohl die für das Verständnis der Handlung wichtig sind. Er vertraut wohl auf die Bildung des Publikums, das die Handlung sowieso kennt. So verwandelt sich Fidelio in eine Nummernoper – von einer Arie und einem Chor zur nächsten Nummer. Das erspart zeitgenössische und ideologische Überladung der Oper mit politischer Symbolik. Dass Marzelline ihre Hausarbeit beim Leichenwaschen verrichtet, bleibt rätselhaft, und die orangefarbene Hose Roccos: ist sie eine Anspielung auf Guantanamo (wo das allerdings die Kleidung der Gefangenen ist) oder eine Hommage an die BSR? Die nicht sehr einfallsreiche Inszenierung David Hermanns brachte ihm jedenfalls die verdienten Buhrufe im Schlussapplaus ein.
Alles in allem ein Abend in der Deutschen Oper, der ihrer Rolle als eines der führenden Häuser in Deutschland nicht gerecht wurde. Ein Meilenstein ihrer Geschichte war das nicht.
Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Fidelio: Ludwig van Beethoven
Nächste Vorstellungen: 03., 18.12.2022; 07., 14.01.2023; 22., 26.02.2023
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