Maria Pinińska-Bereś: Kissen, Korsette, Käfige
Maria Pinińska-Bereś: Kissen, Korsette, Käfige

Maria Pinińska-Bereś: Kissen, Korsette, Käfige

Zu ihren Lebzeiten wurde Maria Pinińska-Bereś marginalisiert, belächelt oder ignoriert. Ihre fragilen und ephemeren, aus häuslichen Textilien und Utensilien gefertigten Skulpturen, die um die Rolle, das Bild und die Sexualität der Frau in einer von Männern dominierten repressiven Gesellschaft kreisen, wurden in der Volksrepublik Polen selten gezeigt, lösten häufig aggressives Verhalten aus, oft wurden sie in Galerien und Museen von Unbekannten mit Hundekot beschmiert. Erst nach dem Ende des Kommunismus als bahnbrechende Bildhauerin und Performerin gefeiert, starb sie 1999 im Alter von 68 Jahren unmittelbar vor der Eröffnung ihrer ersten umfangreichen Retrospektive, die in der Krakauer Galerie für zeitgenössische Kunst „Bunkier Sztuki“ und dann in Bielsko-Biała und Poznań gezeigt wurde.

Maria Pinińska-Bereś, Retrospektive, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 07.07. – 13.10.2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Maria Pinińska-Bereś, Retrospektive, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 07.07. – 13.10.2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Der Ruhm kommt posthum

25 Jahre nach ihrem Tod würdigt das Museum für zeitgenössische Kunst im Vier-Kuppeln-Pavillon (ehemalige Jahrhunderthalle in Breslau) Maria Pinińska-Bereś mit einer retrospektiven Schau, die es verdient, zur Ausstellung des Jahres 2024 in Polen gekürt zu werden. Es ist ein visueller und intellektueller Genuss, durch die weißen, gekonnt arrangierten und beleuchteten Räume zu schlendern, um in das außergewöhnliche, aus gewöhnlichen Materialien geformte Œuvre der zu früh verstorbenen und erst posthum anerkannten Kunsterneuerin und Pionierin der feministischen und performativen Kunst einzutauchen. Die Retrospektive unter dem Titel »Maria Pinińska-Bereś« präsentiert eine Fülle ihrer Arbeiten aus allen Schaffensperioden, ohne überladen oder erdrückend zu wirken. Sie zeigt die Entwicklung einer einzigartigen Künstlerin, die bewusst akademische Regeln brach, um die Skulptur vom Sockel auf den Boden der Wirklichkeit zu holen und somit ihren eigenen Weg zu beschreiten. Ihre Objekte, Assemblagen, Installationen und Aktionen sind größtenteils autothematisch, denn, wie sie erklärte:

»Ich handelte intuitiv, doch ich war überzeugt, dass ich die ganzen Perfektionismen, erworbene Fertigkeiten und Normen der akademischen Kunstwerkstatt verwerfen musste. Dass ich aus mir schöpfen sollte, denn alles um mich herum war entweder schon vorhanden oder bereits im Entstehen. Ich suchte keine westlichen Kunstkataloge oder Magazine, wie es damals viele taten. Denn aus mir zu schöpfen bedeutete: aus meinen Erlebnissen und Erfahrungen, und mein Ich war eine Frau. Und diesem jungen Mädchen und dieser Frau wurde das Aufwachsen unter spezifischen Bedingungen in einer ultrakatholischen (…) Familie zuteil. Keine Facette des Frauenschicksals, wogegen später Feministinnen kämpften, wurde mir erspart. Vor allem die Verflechtung der Religion mit den sexuellen Phobien war eine explosive Mischung. Um mein Ich zu retten, musste ich eine Rebellin werden. Die Kunst schien mir eine Domäne der Freiheit zu sein, da sie Konventionen und Zwänge überwand, also eine Sphäre der kreativen unverfälschten Projektion der Persönlichkeit war
(Maria Pinińska-Bereś, Korsette und Türme, Manuskript, August 1994, Archiv der Foundation Maria Pinińska-Bereś und Jerzy Bereś, Krakau, aufgerufen 7.10.2024)

Blick in die Ausstellung von Maria Pinińska-Bereś, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Blick in die Ausstellung von Maria Pinińska-Bereś, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Eine dramatische polnische Familiengeschichte

Die zukünftige Künstlerin wurde am 17. August 1931 in Poznań geboren. Ihre Mutter, Lya Heinzel, war die Tochter eines wohlhabenden Bauunternehmers mit luxemburgischen Wurzeln; ihr Vater, Rittmeister Piotr Piniński, war adliger Herkunft, Sportreiter, erfolgreicher Polospieler und Journalist. Er kämpfte um die Unabhängigkeit Polens und die Festigung der Zweiten Polnischen Republik. Ihre Kindheit verbrachte Maria Lya Pinińska in einem »goldenen Käfig«, umgeben von Dienerschaft und Gouvernanten und von der Außenwelt abgeschirmt. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs geriet ihr Vater in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wonach von ihm jede Spur fehlte. (Erst 1990 wurde bekannt, dass er zusammen mit über 3800 polnischen Kriegsgefangenen im Lager Starobelsk interniert und am 7. April 1940 von der NKWD in Charkiw, Ukrainische Sowjetrepublik, erschossen und in einem Massengrab verscharrt wurde. Der Bruder ihres Vaters, Mikołaj Piniński, wurde von den Deutschen im KZ Majdanek ermordet). Um als Familie eines polnischen Offiziers der Verhaftung durch die deutschen Besatzern zu entkommen, flüchtete ihre Mutter zusammen mit Maria, ihren beiden jüngeren Brüdern und dem despotischen und erzkonservativen Großvater aus Posen nach Krakau. Nach dem Ende der deutschen Okkupation wohnten sie in Katowice, wo Maria ein Kunstlyzeum absolvierte. Von 1950 bis 1956 studierte sie an der Akademie der schönen Künste in Krakau in der Skulpturklasse von Xawery Dunikowski (1875–1964). Der international hoch angesehene, vor dem Krieg lange Zeit in Paris lebende Bildhauer, der eine fünfjährige Haft im KZ Auschwitz überlebte, ließ sich zwar auf die propagandistische Zusammenarbeit mit dem stalinistisch geprägten kommunistischen Regime in Polen ein. Er nutzte aber sein Renommee dazu, seine Studentinnen und Studenten davor zu verschonen, Werke im Geist des Sozialistischen Realismus gestalten zu müssen. Maria, die Dunikowski für seine begabteste Studentin hielt, beendete das Studium der Bildhauerei 1956 mit einem Meisterdiplom. 1957 heiratete sie den Bildhauer Jerzy Bereś (1930–2012), den sie bei der Aufnahmeprüfung in die Krakauer Akademie kennenlernte. Ein Jahr später wurde ihre Tochter Bettina geboren. Danach bestimmten existenzielle Probleme ihr Leben, sodass die Kunst in den Hintergrund trat. Erst 1960 zogen sie in eine kleine Einzimmerwohnung am Rande von Krakau ein.

  • Maria Pinińska-Bereś, Kämpfer, 1960. Foto: Urszula Usakowska-Wolff, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024
  • Blick in die Ausstellung von Maria Pinińska-Bereś, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2004. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Blick in die Ausstellung von Maria Pinińska-Bereś. Foto: Urszula Usakowska-Wolff, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024

Runde Formen gegen geltende Normen

Nach dem Ende ihres Studiums gestaltete Maria Pinińska-Bereś anthropomorphe und zunehmend abstrakte Gipsfiguren, die sie aber nicht zufriedenstellten. Die meisten davon gingen verloren. Erhalten geblieben ist »Die Geburt« (1956/1957), die die Bildhauerin mit Rosa bemalte, was zum einen die Betrachter erstaunte, zum anderen ein Beweis ihrer Experimentierfreunde bei der Suche nach einem genuinen künstlerischen Ausdruck war. Dann wandte sie sich Holz, Metall, Beton und Leinen zu und schuf von 1961 bis 1963 geschlossene runde Formen, die sie »Rotunden« nannte, mit Glöckchen, Ketten, Haaren und Votivtäfelchen kombinierte und nicht auf Postamente, sondern auf Kissen oder Decken stellte und manchmal in Steppdecken einhüllte. Diese recht kleinen voluminösen und grauen Gebilde erinnern an archaische Kult- und Grabstätten, können aber auch als eine Anspielung auf die steifen Kleider und Roben verstanden werden, die die Körper der Frauen im 19. Jahrhundert und früher vom Hals bis Fuß wie Panzer umschlossen. Auch im 20. Jahrhundert war die Frau, wie Maria Pinińska-Bereś es zeigt, einerseits ein symbolisches Kultobjekt, andererseits eine Gefangene der festsitzenden Klischees und der geltenden Normen, was heißt, dass sie in Wirklichkeit instrumentalisiert und drangsaliert wurde. Weil diese Skulpturen gewichtig waren und die Künstlerin bei Transport, Aufstellung und Abtransport auf Männerhilfe angewiesen war, begann sie seit den 1960er Jahren leichte Stoffe wie Pappmaché zu verwenden. Aus dieser Zeit stammt die Werkreihe der hängenden oder stehenden »Korsette«, die eine enorme Energie und Dynamik ausstrahlen, weshalb sie sehr entschlossen und kämpferisch wirken.

  • Maria Pinińska-Bereś, Rotunde mit Glocke, 1963, Hängendes Korsett, 1965 und Stehendes Korsett, 1967. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Stehendes Korsett, 1967. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Stehendes Korsett, 1967. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Rotunde mit Votivtäfelchen, 1961. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Traditionelle Bildhauerei ist im ersten Aufzug vorbei

Die Retrospektive von Maria Pinińska-Bereś im Breslauer Vier-Kuppeln-Pavillon ist eine Art Kammerspiel in fünf Aufzügen und einem Epilog. Die Schau beginnt mit »Rotunden« und »Korsetts«, die von ihrer Abwendung vom traditionellen Begriff der Bildhauerei, der Auflösung der Form, dem Einsatz neuer Materialien und der Hinwendung zum Ich als Quelle der eigenen – weiblichen – Kreativität zeugen. Ihre Betonrotunden sehen wie aufgebrochene oder mit Schnitten versehene Menhire oder Stelen aus. Andere Skulpturen wirken androgyn, unter anderem der auf einem Sockel stehende, an vier Stellen perforierte »Kämpfer« aus Holz und Metall (1960), das teilweise bemalte »Hängende Korsett« (1965) aus Pappmaché, Leinen und Schnur, oder phallisch wie die 1963 entstandene »Textile Rotunde (Glockenturm)«, welche wie ein zwar oben gelöchertes, aber sehr raffiniert gestepptes riesiges Lila-Kondom anmutet. Viele ihrer damaligen Arbeiten lassen auch an Schutzmantelmadonnen denken, denen die katholisch erzogene und in einer katholischen Kirche getraute Maria Pinińska-Bereś einen subversiven ironischen Ausdruck verlieh.

Maria Pinińska-Bereś, Textile Rotunde (Glockenturm), 1963. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Maria Pinińska-Bereś, Textile Rotunde (Glockenturm), 1963. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Instrumentalisiert und zum Objekt degradiert

Ende der 1960er Jahre scheint die Künstlerin ihre eigene unverkennbare Darstellungsweise und das dazu passende, in der Regel textile Material gefunden zu haben, vor allem Leinen, den sie mit Watte und Schaumstoff ausstopfte und mit Holz, Sperrholz, Pappmaché, Metall und Gebrauchsgegenständen kombinierte und teilweise mit Rosa bemalte. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand der fragmentierte weibliche und mit der Zeit auch der fragmentierte männliche Körper. Ihre Objekte und Installationen waren eine mehr oder weniger subtile Kritik der patriarchalischen Gesellschaft, in der die vordergründige Aufgabe der Frau es ist, sich um die Hauswirtschaft, den Ehemann und die Kinder zu kümmern. Ist sie jung und attraktiv, wird ihr Körper instrumentalisiert und zu einem kurzlebigen Objekt männlicher Begierde degradiert. Das zeigt auf eine sehr überzeugende Weise die in einer Vitrine ausgestellte Pappmaché-Skulptur unter dem Titel »Ist die Frau ein Mensch?« (1972). Es ist ein weißer, mit rosaroten Kussmündern gemusterter Badeanzug, den große Brüste füllen, und auf dem Bauch ein Nabel sichtbar ist. Über dem Exponat hängt ein Etikett mit der Aufschrift »Herstellungsdatum … Mindestens haltbar bis?«

Maria Pinińska-Bereś, Ist die Frau ein Mensch, 1972. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Maria Pinińska-Bereś, Ist die Frau ein Mensch, 1972. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Des Lebens Poesie und Prosa in Rosa

In der darauffolgenden Werkreihe der »Psycho-Möbelchen«, die wie Szenen aus einem Boudoir anmuten und in denen alltägliche Dinge wie Fenster, Schränke, Türen, Teller, Betten, Liegen, Kissen, Deckchen, Spiegel und Tische Menschen verkörpern, gewinnt die Farbe Rosa, mit der sie teilweise bemalt sind, immer mehr an Bedeutung und wird allmählich zum Markenzeichen des häuslichen und erotischen Universums der Bildhauerin. Aus dem Jahr 1969 stammt die »Liebesmaschine«, eine einzelne weiße Holzbeute auf vier Beinen, in der sich zwei Hellrosabrüste und eine Vulva ähnliche Form befinden. Auf der Rückseite sind drei orangene Frauenbeine befestigt. Mithilfe einer orangenen Kurbel wird dieser erotische Mechanismus in Gang gesetzt. Weiße Brüste, die orangene- und Rosaschatten werfen, stecken auch im »Schränkchen I« (1970), und zwar in der oberen linken Ecke, während in der unteren linken ein weißer Suppenteller steht. In den Schranktüren befinden sich auf der Höhe der Brüste zwei Gucklöcher. Wenn die Türen geschlossen werden, kann man (was im Museum leider nicht gestattet ist) eine kunstgewordene Peepshow erleben. Auch auf diesem Gebiet war Maria Pinińska-Bereś ihrer Zeit voraus, denn die erste (kunstferne) Peepshow in Europa wurde 1976 in der Nähe des Münchener Hauptbahnhofs eröffnet. Aber Polen lag damals im Ostblock, und die westliche Kunstwelt hatte keine Ahnung, wie einfallsreich und vorausschauend diese Künstlerin war.

  • Blick in die Ausstellung von Maria Pinińska-Bereś. Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Liebesmaschine, 1969. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon 2024. Foto: Urszula-Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereć, Schränkchen, 1970. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024. Foto Urszula-Usakowska-Wolff

Ein Paravent und ein Schlauchschwan

Meistens versah Maria Pinińska-Bereś ihre Werke mit handgeschriebenen oder selbst gestickten Texten wie zum Beispiel »Flüstern« (1973), eine Art Tür, verziert mit einem Rosakussmund, das dreiteilige »Paravent« (1973) mit der Aufschrift »Ein Paravent ǀ ist gut ǀ für alles«, und »Ledas Schminktisch« (1974), wo sich, unter einem mit Rosa bemalten Kosmetik-Standspiegel, ein ausgestopfter Schlauchschwan schlängelt, der offensichtlich auf die mythologische und tragische Frauenfigur Leda und deren Darstellung in der bildenden Kunst rekurriert. Handbeschriftet sind auch die Installationen »Mein reizendes Zimmerchen« (1975), wo der Titel auf einer Wäscheleine hängt; »Fenster im Frühling« (1976), in dessen Mitte ein Rosakissen schwebt, sowie »Das Bett (Die Liebe der Bettdecke zum Bettlaken)« von 1975. Maria Pinińska-Bereś ging spielerisch mit Material, Sujets und Worten um. Sie hatte offensichtlich Freude an ihren Schöpfungen, weil sie sich die Freiheit nahm, Werke nach eigenen Ideen und Vorstellungen zu gestalten. Und für die, die an sich selbst und der Welt zweifeln, baute sie 1976 ein fast monochromes weißes Zelt, auf dem geschrieben steht: »Wenn du deine Stimme zu lange senkst, wenn es dir schlecht geht, tritt in dieses Zelt ein und schrei! PS: Vor dem Betreten zieh die Schuhe aus.«

  • Maria Pinińska-Bereś, Paravent und Flüstern, 1973. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Ledas Schminktisch, 1974. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Mein reizendes Zimmerchen, 1975. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Fenster im Frühling, 1976. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Mme Racamier 1991 und Das Bett (Die Liebe der Bettdecke zum Bettlaken)1975. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Zelt, 1976. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff

Ziehbrunnen, Aquarien und andere Hüllen

Maria Pinińska-Bereś schuf auch andere partizipative Objekte wie zum Beispiel den grandiosen, mit einer Kurbel ausgestatteten raumgreifenden »Ziehbrunnen in Rosa« (1977) mit einem 100 m langen und nur 50 cm breiten Rosa-Stoffband, das an einen Penis oder eine ausgestreckte Zunge erinnert, auf dem Boden mäandert und vom Publikum ausgerollt und eingerollt werden kann. Aus konservatorischen Gründen war das in der Breslauer Retrospektive leider nicht möglich. Ein wiederkehrendes Sujet in ihrem Œuvre sind Hüllen, mal in Form der bereits besprochenen »Korsetts« und »Rotunden«, mal als Aquarium ähnliche Vitrinen der Werkreihe »Existenziarium« (1977–1991), oder als »Überzüge« (1982) mit auf einem Tisch liegenden, sandgefüllten Steinen, einer mit Rosaleinen bezogenen Nackenrolle, einem Stab, einem schwarzen Bändchen mit der Aufschrift »Kunst der Berührung« und Tischbeinen, die, unten mit Stoff umgewickelt, wie eigenartige Stelzen aussehen. Pinińskas Bildsprache ist aber weit davon entfernt, gestelzt zu sein: Mit minimalistischen Mitteln und aus armen, dem Alltag entstammenden Stoffen schuf sie lebensnahe, ironische und selbstironische Werke, in denen sie ihre Emotionen und Reflexionen über die Rolle der Frau, ihre verborgenen oder unterdrückten Begierden, den Körperteilfetischismus und im allgemeinen über die Freude und Tücken der menschlichen Erotik veranschaulichte. Auf eine erfrischende Art setzte sie sich auch mit den Großen Alter Meistern auseinander wie zum Beispiel Henry Moore, Salvador Dalí, Jacques-Louis David, René Magritte und Jean-Auguste-Dominique Ingres, indem sie ihre eigenen phallisch-vulvalen Versionen derer Gemälde »König und Königin« (1986), »Brennende Giraffe« (1989), »Odaliske mit Sklavin« (1990) und »Mme Recamier« (1991) kreierte. Zum einen zeigt sie Eros als eine Kraft, die allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht und Stand, eigen ist. Zum anderen scheint ihre Figuren nichts zu verbinden, sie driften auseinander, wobei auffällt, dass das Männliche eine überragende Rolle spielt. Vielleicht sind diese und andere Arbeiten von Maria Pinińska-Bereś eine Art »Ballade von der sexuellen Hörigkeit«, die sie mit skulpturalen Mitteln inszenierte.

  • Maria Pinińska-Bereś, Existenziarium, 1971. Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Überzüge, 1982. Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, König und Königin, 1986. Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Brennende Giraffe, 1989. Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Mme Recamier, 1991. Vier-Kuppeln-Pavillon, Wroclaw, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Ein Happening, das Regen bringt

Ein eigenes Kapitel ihres Schaffens sind Happenings, die sie seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bevorzugt im Freien veranstaltete. Die Retrospektive im Vier-Kuppeln-Pavillon zeigt eine umfangreiche Foto- und Videodokumentation dieser Aktionen, darunter »Das Regengebet« (Sommer 1977) auf einer Wiese im Krakauer Ortsteil Prądnik. Der seit Wochen herrschenden Dürre wegen war alles vertrocknet. Die Künstlerin kniete mit einer kleinen Gruppe von Bekannten im Gras und schmiegte sich daran.

»Ich hob die dort liegenden Steine auf und warf sie weg, sodass eine Art Kreis entstand. Dann schnitt ich mit einem Messer das Gras samt Wurzeln aus: Auf diese Weise entstand eine ovale graslose Fläche. Dort, wo die Steine fielen, steckte ich Rosafahnen ein. Ich zog die Sandalen aus und stampfte auf die Erde. Dann legte ich mich in die Mitte, mit dem Gesicht gen Himmel, und meine Hände bildeten kleine Schüsseln
(Maria Pinińska-Bereś, Beres Foundation, aufgerufen am 7.10.2024)

  • Maria Pininska-Beres, Regengebet, Performance,1977, Krakau. Foto: Urszula Usakowska-Wolff (Retrospektive der Künstlerin, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024)
  • Maria Pininska-Beres, Regengebet, Performance,1977, Krakau. Foto: Urszula Usakowska-Wolff (Retrospektive der Künstlerin, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024)
  • Maria Pininska-Beres, Regengebet, Performance,1977, Krakau. Foto: Urszula Usakowska-Wolff (Retrospektive der Künstlerin, Vier-Kuppeln-Pavillon, Wrocław, 2024)

Rosafahnen für draußen und drinnen

Weil es kurz nach diesem Happening tatsächlich zu regnen begann, wurde Maria … der Hexerei verdächtigt. Wie dem auch sei, alle ihre Aktionen im Freien waren eine Hommage an die Natur, in der sie temporäre und leicht demontierbare Denkmäler schuf wie zum Beispiel den am 13.09.1979 auf einer Wiese in der Nähe des Dorfes Świeszyno in der Kaschubei aufgestellten »Ort« oder die ephemere »Annexion der Landschaft« (Herbst 1980 in derselben Gegend), wo die Rosa gekleidete Künstlerin eine Rosafahne in die Kuppe eines vorher von ihr mit einem weißen Seilzaun umgebenen Hügels steckte und die im Gras liegenden Steine mit unbeständiger rosaroter Farbe bemalte. Am Ende der beabsichtigt kurzlebigen Intervention brachte sie am Zaun ein Museumsschild mit der Aufschrift »(Temporär) annektiertes Gebiet« samt Datum und Signatur an. Nachdem Sonne und Regen die Farbe auf den Steinen zerstörten, war die »Annexion« vorbei. Legendär ist auch ihre Performance »Waschen (I)«, die im November 1980 während der Ausstellung »Kunst der Frauen« in der Galerie ON in Poznań stattfand. Inmitten einer mit einem Seilzaun abgesteckten Fläche standen zwei Metallzuber. Im ersten befand sich ein Waschbrett, auf dem Maria Pinińska-Bereś früher die Windeln ihrer Tochter wusch. Weißgekleidet betrat sie den Waschraum mit einem Arm voller Tücher. Nachdem sie sich eine rosarote Halbschürze umgebunden hat, wusch sie mehrere Male die Tücher, legte sie in den zweiten Zuber, spülte und wrang sie gründlich aus. Danach hängte sie sie einzeln nacheinander auf die Abgrenzungsleine. Es stellte sich heraus, dass auf jedem Tuch ein Rosabuchstabe stand, die zusammen das Wort »Feminizm« (Feminismus) ergaben. Am Ende der Performance zog sie die Halbschürze aus und befestigte sie wie eine Fahne auf einer Holzstange, die sie inmitten des Seilzauns platzierte. Das Ganze wiederholte Maria Pinińska-Bereś am 8. September 1981 unter freiem Himmel, im Park der Ortschaft Osieki bei Koszalin, wo der zweite Aufwasch des »Feminismus« einen ganzen Tag an der Sonne trocknete.

  • Maria Pinińska-Bereś, Fotodokumentation "Feminismus", 1980. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon. 2024. Fot:o Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Fotodokumentation "Banner", 1980. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon. 2024. Fot:o Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Fotodokumentation "Annexion der Landschaft", 1980. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon. 2024. Fot:o Urszula Usakowska-Wolff
  • Blick in die Ausstellung von Maria Pinińska-Bereś,im Vier-Kuppeln-Pavillon. 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Als Künstlerin und Frau verzichtet sie auf Blau

Beim Begehen und Besehen der Retrospektive von Maria Pinińska-Bereś im Vier-Kuppeln-Pavillon kann man verstehen, dass sie bewusst die missachteten, gering geschätzten oder der traditionellen Frauenrolle zugeschriebenen Arbeiten im Haushalt sowie Dinge, mit denen sie verrichtet werden, in den Fokus ihrer Kunst rückte. Sie setzte sich auch mit dem verkrusteten, abgeschotteten, von Männern dominierten Kunstbetrieb auseinander, in dem es keinen Platz oder nur Nischen gab, um sich als Künstlerin durchzusetzen, anerkannt, als gleichwertig betrachtet und behandelt zu werden. Ihre Hinwendung zum Rosa war auch kein Zufall. Die Signalfarbe Rot symbolisierte lange Zeit Männlichkeit und Stärke; der kräftige und auffällige Farbton Rosa, auch kleines Rot genannt, war ausschließlich für Jungen bestimmt. Hellblau passte angeblich besser zu den Mädchen. Maria Pinińska-Bereś eignete sich Rosa an, um zu zeigen, dass sie von den traditionellen Geschlechtszuschreibungen nicht viel hält. Zum anderen machte sie die Rosafahne zu ihrem Emblem – und wollte auf diese Weise erreichen, dass ihre Kunst, die sie für wichtig hielt, sichtbar und von den anderen wahrgenommen und wertgeschätzt wird.

Maria Pinińska-Bereś, Party-Tura IV (mit Anhänger, 1995), Party-Tura III (mit Kamm, 1994), Party-Tura II (mit Schwänzchen, 1974). Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
Maria Pinińska-Bereś, Party-Tura IV (mit Anhänger, 1995), Party-Tura III (mit Kamm, 1994), Party-Tura II (mit Schwänzchen, 1974). Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff

Party-Turen und runde Drahtfiguren

In den letzten fünf Jahren ihres Lebens setzte die am 20. April 1999 in Krakau verstorbene Künstlerin ihre 1974 begonnene Werkreihe »Party-Tura« (Parti-Tur) fort, bestehend aus Notenpulten, auf denen aufgeschlagene buchähnliche Objekte und einzelne Figuren wie zum Beispiel Kämme, Zungen, Schlangen, Schwänzchen, Stummel oder phallische Anhänger liegen. Aus dem Jahr 1997 stammt die Skulptur »Infantin mit Glöckchen. Käfig«, die zwar formal an die »Rotunden« anknüpft, aber aus Schweißdraht geformt ist und somit eine neue Schaffensperiode ankündigt. Zu diesem Werk ließ sich die Künstlerin wahrscheinlich von den Gemälden »Infante Felipe Próspero« (1659) und »Las Meninas« (Hoffräulein, 1656) von Diego Velázquez inspirieren. Das Erstere ist ein Porträt des damals zweijährigen, mit vier Jahren verstorbenen Thronfolgers des Königs Philipp IV. von Spanien. Der blasse und ernste Junge, der, wie damals üblich, ein Mädchenkleid mit Schürze trägt (von der eine Kette mit einem silbernen Glöckchen herunterhängt, das vor bösen Geistern schützen soll), könnte auch ohne diese Kostümierung für ein Mädchen gehalten werden. Das zweite ist ein Gruppenbild, in dessen Mittelpunkt die fünfjährige Infantin Margarita Teresa, eine der neun Töchter des spanischen Königs, steht. Unter ihrer prächtigen Robe, die ihren ganzen Körper mit Ausnahme des Kopfes und der Hände bedeckt, verbirgt sich ein Korsett und eine Reifrock, die zwar auf dem Gemälde nicht zu sehen sind, aber die die spanische Prinzessin so starr erscheinen lassen, als ob sie eingeschnürt und eingepanzert wäre. Maria Pinińska-Bereś verschmolz die beiden Königskinder zu einer Figur, zog ihr das unbequeme Kleid aus und entfernte ihren Kopf und ihre Hände. Durch diesen Eingriff nahm die »Infantin mit Glöckchen« die Form einer alten Schneiderpuppe aus weiß lackiertem Draht an. Das in ihrem Innern hängende Glöckchen klingelt nicht, denn keine bösen Geister waren wohl in Sicht.

Maria Pinińska-Bereś, Infantin mit Glökchen. Käfig (1997, rechts) und Bestiarum der Infantin, 1997-1998. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Maria Pinińska-Bereś, Infantin mit Glökchen. Käfig (1997, rechts) und Bestiarum der Infantin, 1997-1998. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Reizende Hüllen armer Kreaturen

Damit sich die »Infantin« nicht einsam füllt, stellte ihr Maria Pinińska-Bereś ein »Bestiarum« mit einem Pony, einem Hund, einem Papagei, einem Fisch und einer Eidechse, denen keine Köpfe und Glieder fehlen, bei. Doch die Menagerie der Königstochter das sind – genau wie sie – lauter, Zierkäfige: reizende Hüllen, die die Kreaturen vergittern, in Gefangenschaft halten oder sie aushöhlen. Auch diese letzte, 1998 der schweren Krankheit wegen unvollendete Installation ist ein Beweis dessen, wie luzid, geistreich und tiefgründig die Bildsprache dieser Künstlerin war. Sie ließ und lässt sich auch heute in keine Schublade stecken. Maria Pinińska-Bereś, die ihrer Zeit stets voraus war und als Pionierin der Feminist Art, Performance, Land Art usw. apostrophiert wird, blieb sich immer treu und ging unbeirrt ihren eigenen, oft steinigen Weg. Nach so vielen Jahrzehnten sind die heutige Zeit und deren kuratorische Welt bei der Großen Dame aus Krakau endlich angekommen. Wie heißt es so schön? Ach ja: Besser später als nie.

  • Maria Pinińska-Bereś, Die Wiese deines Kłrpers, 1987. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Pinińska-Bereś, Venus aus Meerschaum (vorn), 1977. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff
  • Maria Piniska-Bereś, Tür, 1980. Ausstellung im Vier-Kuppeln-Pavillon, 2024. Foto Urszula Usakowska-Wolff