Zwei unterschiedliche Frauen, zwei unterschiedliche Epochen, zwei unterschiedliche Blicke auf den Krieg: Käthe Kollwitz, eine der bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, die mit ihren Plastiken, Zeichnungen und Grafiken, darunter das 1924 geschaffene Plakat »Nie wieder Krieg«, zu einer Ikone des Pazifismus geworden ist, und Kata Legrady, welche, erst vor vier Jahren unter die Künstler gegangen, bereits als Popstar der coolen Antikriegskunst gefeiert wird.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Den 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges nimmt das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin zum Anlass, um die »Kriegsbildwelten« der beiden Künstlerinnen unter ein Dach zu bringen und in der Sonderausstellung »Mahnung und Verlockung« auf vier Etagen zu zeigen. Dem grafischen und skulpturalen, in der Regel kleinformatigen Werk von Käthe Kollwitz werden die Riesenobjekte, Installationen und C-Prints von Kata Legrady gegenübergestellt, in denen sich alles um die Waffen, ihre Produzenten (USA, China, Japan, Russland) und stellenweise auch um die Folgen des Waffengebrauchs dreht. Zu sehen sind mit Kreide auf drei Schultafeln gekritzelte sowie echte Pistolen, Gewehre, Minen, Handgranaten und Patronen, mit süßem, buntem und kuscheligem Zeug wie Smarties, Blümchen, Sternchen, Schmetterlinge und Fell beklebt. Es gibt auch Gasmasken mit Minnie und Mickey, ein »Cheval à bascule« mit einem Sattel der Luxusmarke Hermès, das Foto eines, wie könnte es anders sein, afrikanischen Kindersoldaten, zwei Totenköpfe mit den Titeln »Flowers« und »US-Dollar« sowie eine pinkfarbene, mit Chanel-Nagellack 217 überzogene Bombe. Es scheint, als wollte Kata Legrady eine neue Kunstrichtung etablieren, die als »Fun Gun Art« bezeichnet werden könnte. Doch ihre Kunst ist bestenfalls aus zweiter Hand und wirkt wie eine nicht besonders überzeugende Mischung aus Meret Oppenheim (»Pelztasse«), Andy Warhol (»Guns«), Damien Hirst (»Spot Paintings«, »For he Love of God«) und des polnischen Künstlerduos Kijewski & Kocur, das unter anderem Skulpturen aus mit Bonbons und bunten Wattebäuschchen beklebten Patronen schuf.
Keimzelle des Krieges
Die Ausstellung »Kriegsbildwelten« von Käthe Kollwitz und Kata Legrady hat einen hohen Wiedererkennungswert, zumindest in dem Teil, der »verlockend« wirken soll. Die Kunstbeflissenen fühlen sich an die oft kopierten, nie erreichten Werke der Klassikerinnen und Klassiker der Moderne und Postmoderne erinnert, die Kunstfremden staunen über offensichtliche Kalorienbomben, die sie zum Glück nur mit den Augen verschlingen dürfen. Doch das Ganze hat einen noch viel tieferen Sinn, worüber gleich am Eingang der erste von insgesamt sieben Wandtexten aufklärt: »Mit einer Schultafel, einem Schaukelpferd und Disney-Figuren versetzt uns Kata Legrady in die Kindheit zurück. Zuerst erscheinen die Symbole kindlicher Bildung und Freizeit harmlos und unschuldig. Doch sie offenbaren, wie militärische Propaganda den Alltag von vielen Kindern und Jugendlichen bestimmt. Zudem entlarven sie die Überzeugung als Selbstbetrug, dass man in einer gewaltbeherrschten Welt harmlos und unschuldig bleiben könne. Käthe Kollwitz hat selbst erleben müssen, dass die Militarisierung von Kindheit und Jugend eine entscheidende Keimzelle des Krieges ist. Die propagandistische Beeinflussung ihrer beiden Söhne Hans und Peter hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich der jüngste Sohn Peter freiwillig für den Fronteinsatz. Trotz größter Zweifel und Sorgen versuchte Käthe Kollwitz, seine Opferbereitschaft zu verstehen – und sogar zu teilen (…). Ihre schwankende Einstellung zum Krieg änderte sich jedoch, als der Krieg ihr >Opfer< tatsächlich einforderte und Peter mit 18 Jahren an der belgischen Front fiel. Sein Tod bedingt das pazifistische Spätwerk der Künstlerin.«
Ohne Darstellungen der Kampfhandlungen
Was verbindet die »Kriegsbildwelten« von Käthe Kollwitz und Kata Legrady, wenn sie so viel trennt? Es trennt sie ja mehr als ein ganzes Jahrhundert, die persönliche Erfahrung, die Art und Weise, wie Kunst geschaffen, vermarktet, verbreitet und zur Schau gestellt wird. Käthe Kollwitz (1867 – 1945) war eine Künstlerin, die von Anfang an in ihren Grafiken und Zeichnungen die Armut, die Ausbeutung der Arbeiter und Bauern sowie ihren Kampf um ein besseres Leben zum Ausdruck brachte. Nach dem Verlust ihres Sohnes zeigte ihre Kunst das Leid der Hinterbliebenen, der Mütter und Witwen. Ihr Werk ist ein Appell an die Menschen, alles zu unternehmen, damit es »Nie wieder Krieg« geben kann, was bekanntlich nicht gehört wurde. Die Kunst ist zwar eine Möglichkeit, auf die Gefahren und Folgen des Krieges aufmerksam zu machen, sie vermag ihn jedoch nicht zu verhindern. 1944, am Ende ihres Lebens, stellte Käthe Kollwitz ernüchtert fest: »Ein jeder Krieg hat seinen Antwortkrieg schon in der Tasche.« Ein jeder Krieg fordert Opfer: verwitwete Frauen, Waisen und Männer, die als Kanonenfutter an die Front abkommandiert werden. Das sind die von der Kriegspropaganda befeuerten »Freiwilligen«, junge Täter, die für das Vaterland, welches auch immer, auf dem Schlachtfeld ihr Leben angeblich opfern müssen. Die wahren Drahtzieher der Kriege, welche Millionen in den Tod schicken, stellt Käthe Kollwitz nicht dar. Das ist sozusagen der gemeinsame Nenner, auf den die Ausstellungskuratoren Gudrun Fritsch und Pay Matthis Karstens beide Künstlerinnen bringen. Sie thematisieren nämlich den »eigentlichen Kern des Krieges, die Kampfhandlungen, gar nicht. Kata Legradys kriegsbezogenes Werk zeigt zwar fast nur Objekte des Krieges. Deren Einsatz sehen wir jedoch nie«, denn es sind »Kriegsgeräte ohne Besitzer und Benutzer. Auch die Werke von Käthe Kollwitz sparen den eigentlichen Gewaltakt aus«, steht es in großen Lettern an der Wand.
Käthe im Schatten der »Fellgranate Kate«
Die Wand ist geduldig, das Papier auch, wenngleich es, wie im Fall der Grafiken und Zeichnungen von Käthe Kollwitz, gewaltig empfindlich ist, sodass in den Ausstellungsräumen verständlicherweise mit Licht gespart werden muss. Dagegen werden Kata Legradys Artefakte üppig angestrahlt. Ihre Größe, Masse und Farbigkeit beherrschen die Schau, stellen die filigranen Papierarbeiten, ja, sogar die üppigen Frauenskulpturen der Kollwitz in den Schatten. Dafür sorgt auch die Inszenierung dieser entwaffnenden Kunst. Legradys Arbeiten sind größtenteils in Vitrinen zu sehen und mit Titeln versehen, die echt lustig klingen, obwohl sie, wie das in der Produktwerbung so üblich, recht einfach gestrickt sind: »Fellgranate Kate«, Patronen »White Butterfly«, »Pink Heart«, »Stars and Stripes«, Handgranaten, die folgerichtig »Pineapple« heißen und mit grünen, gelben, blauen, pinken oder mehrfarbigen Smarties geschmückt sind. Passend könnte auch eine Serie mit dem Titel »Pomegranate« sein, eine Idee, auf die mich Kata Legradys Bild- und Wortwelten spontan brachten. Ein Granatapfel ist für eine Kunstgranate keine schlechte Namenswahl, denn nicht nur die Granate »Ananas« macht Spaß beim Lesen und unter Glas. Professor Emeritus Bazon Brock, der Kata Legrady 2011 die erste Ausstellung in Deutschland, und zwar in seiner »Denkerei – Amt für unlösbare Probleme« am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg bescherte und der sie seitdem unermüdlich fördert, bescheinigt ihr, »eine bildschöne Frau, die wie ein Model aussieht«, zu sein. Nein, das ist nicht alles, denn »sie erweist sich als eine erstrangige Agentin universeller Zivilisierung der Kraftmeierei wie des Behübschungszaubers.«
Soldatin, Schützin, Künstlerin
Leider können an dem persönlichen »Behübschungszauber« nur wenige teilhaben, denn die »kraftmeierische« Legrady tritt in der Öffentlichkeit sehr selten auf. Sie glänzt durch Abwesenheit und beflügelt die Fantasie: Ist sie etwa eine Kata Morgana? Die 1974 im ungarischen Städtchen Barcs geborene Frau wurde, wie die Legende besagt, zur Soldatin ausgebildet und gehörte als Schützin dem ungarischen Olympiateam an. Sie studierte Musik und Gesang an der Akademie in Pécs, kam nach Deutschland, heiratete 1999 den Herforder Unternehmer, Kunstsammler und Kunstmäzen Jan A. Ahlers (1934 – 2013), wollte Opernsängerin werden, »entschied sich dann aber«, wie Wikipedia schreibt, »für eine Laufbahn als bildende Künstlerin.« Das war goldrichtig, wovon allein in diesem Jahr zwei Ausstellungen in renommierten Häusern zeugen: »Smart Pistols« im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe sowie die gegenwärtige Schau im Käthe-Kollwitz-Museum. Dort hängt jetzt im vierten Stock, wohl als krönender Abschluss der »Mahnung und Verlockung«, die »Chanel 217 (pink bomb)« von Kata Legrady unter der lichtdurchfluteten Decke. Das passt zu Berlin: Was früher ein Rosinenbomber war, ist heute unverkennbar eine Rosabombe.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 18, September 2014
Mahnung und Verlockung.
Die Kriegsbildwelten von Käthe Kollwitz und Kata Legrady
1.07.-9.11 2014
Käthe-Kollwitz-Museum Berlin
Fasanenstraße 24
10719 Berlin
Öffnungszeiten
täglich 11.00 – 18.00 Uhr
dienstags bis 21 Uhr
Eintritt 6 / 3 Euro
Ausstellungskatalog:
E.A. Seemann Verlag Leipzig, 2014
Preis 20 Euro