Die Deutsche Oper Berlin hat am 28. April 2019 mit Oceane von Detlef Glanert eine vom Publikum begeistert aufgenommene Welturaufführung gefeiert und damit ihre Tradition der Pflege zeitgenössischer Oper fortgesetzt und dem Fontanejahr einen musikalischen Höhepunkt geschenkt.
Der letzte Ball im Seehotel
Die Geschichte dieses Sommerstücks, das eher vom Ende des Sommers und von heraufziehenden Herbststürmen kündet, erzählen Detlef Glanert und sein Librettist Hans-Ulrich Treichel frei nach einem Fragment Theodor Fontanes, das dieser nach 20 Seiten liegen ließ. Madame Luise beklagt den finanziellen Ruin ihres Seehotels, für das keine Bank mehr Kredite einräumen will, und ihr Oberkellner Georg, den sie in ihrer französischen Vergangenheitsträumerei immer Georges nennt, zählt die vielen Mängel des Hauses auf. Zwei letzte finanzielle Rettungsringe scheinen noch greifbar: die Hotelgäste Gutsbesitzer Martin von Dircksen und die geheimnisvolle Oceane von Parceval. Die könnten doch mit einem Privatdarlehen das Hotel retten. Doch erstmal soll mit einem rauschenden Ball, mit großem Buffet das Ende der Saison gefeiert werden. Die im Ballsaal eintreffenden Gäste tuscheln viel über die fremde Oceane, und Pastor Baltzer würzt das Buffet mit vaterländischer Moral, mit Warnung vor allem Fremden. Als Oceane das Parkett betritt, ist Dircksen sofort von ihr angetan. Er fordert sie zum Tanz auf, und als sie zögernd einwilligt, steigert sie sich zu einem wilden Einzeltanz. Sie flieht die entsetzte Gesellschaft. Einsam am Strand will Dircksen sie küssen, doch sie wehrt ihn ab. Am nächsten Morgen treffen sich Dircksen und Oceane und Dircksens Freund Dr. Felgentreu und Kristina, Oceanes Begleiterin, zu einem Picknick. Dort wird die angespülte Leiche eines ertrunkenen Fischers gefunden, was alle Gäste in tiefe Trauer versetzt. Lediglich Oceane bleibt ungerührt. Sie entsagt beim Picknick dem Wein und will nur Wasser, viel Wasser. Kristina und Felgentreu verdrücken sich in die Dünen und Dircksen schwärmt Oceane von einem glücklichen großbürgerlichen Leben vor, hält um ihre Hand an. Das erwidert sie mit einem leidenschaftlichen Kuss, was Dircksen als Verlobung auslegt. Diesen Schritt haben im Off auch Felgentreu und Kristina vollzogen. Als den zur Abreise bereitstehenden Hotelgästen die Verlobungen verkündet werden, reagieren sie empört und werden dabei vom Pastor Baltzer angefeuert. Oceane entflieht dem Hass und der Verachtung zum Strand. Da steht dann Dircksen allein – mit dem Abschiedsbrief Oceanes in der Hand.
Viel Lob für alle
Die Rolle der Oceane ist mit der schwedischen Sopranistin Maria Bengtsson hervorragend besetzt. Sie überzeugt sowohl klanglich als auch durch eine gelungene schauspielerische Leistung. Nikolai Schukoff singt den Dircksen mit klarem Tenor, hält auch die verzweifelten Partien in weichem Ton. Sopran und Tenor – da geht in der Oper immer was, mal tragisch, mal glücklich. Nicole Haslett als Kristina und Christoph Pohl als Dr. Felgentreu bilden das glückliche Gegenpaar, wobei es Nicole Haslett gelingt, ihrer Rolle eine fast soubrettenhafte Färbung zu verleihen. Albert Pesendorfer gibt als Pastor Baltzer in bewährter Art mit seinem Bass den unerschütterlichen Fels in der stürmischen Stimmung seiner Szenen. Madame Luises Ängsten und Träumen verleiht Doris Soffel ausdrucksvoll die Spannung, die ihrer Person und ihrer Situation innewohnt. Der Chor unter Leitung von Jeremy Bines singt sowohl im Off die wortlosen Stimmen des Meeres wie auch auf der Bühne die handlungstreibenden Positionen des Hotelpublikums in gewohnter Präzision, wobei auch eine schauspielerische Leistung zur Geltung kommt. Last but not least sei auch die zuverlässige Mitwirkung der Statisterie zu loben.
Das Ende einer Epoche
Detlef Glanert hat mit der Oceane eine Oper geschaffen, in der er sein umfangreiches kompositorisches Handwerkszeug geschickt einsetzt, um das Publikum einzufangen und trotz moderner Elemente nicht zu erschrecken. Man freut sich, wenn man beim Zuhören Zitate erkennt, sei es nun ein wenig Richard Strauß oder ein Bachscher Choral. Glanert malt mit dem großen Orchester die Stimmen des Meeres und der Wellen, vom leisen Plätschern bis zum gewaltigen Sturm, gibt mit der Musik aber auch der Handlung das nötige Tempo. Donald Runnicles am Pult setzt das mit dem Orchester der Deutschen Oper gekonnt um. So vielfarbig die Musik ist, so grau in grau ist das Bühnenbild, in das Robert Carsen die Handlung setzt. Es ist das Ende der wilhelminischen Epoche, abgenutzt und zerbrechlich. Die bühnengroße Videowand untermalt mit dem Blick auf das Meer die jeweiligen Stimmungen der Handlung. Mal plätschern kleine Wellen auf den Strand, mal rollen drohende Wogen heran.
Glanert und Treichel haben mit Oceane eine Geschichte erzählt, die nicht ins Museale abgleitet. Die Frage nach dem Umgang mit dem Fremden ist ebenso aktuell wie die Unsicherheit im richtigen Umgang mit dem Weiblichen. Damit ist auch das Publikum angesprochen. Am Premierenabend dankte es das mit lang anhaltendem Beifall, ohne schmähende Pfiffe. Oceane wird nicht nur ein Premierenstück sein.
Titel, Zwischentitel & Beitragsfoto © Urszula Usakowska-Wolff
Oceane
Detlev Glanert
Ein Sommerstück für Musik in zwei Akten.
Libretto von Hans-Ulrich Treichel frei nach Oceane von Parceval von Theodor Fontane.
Uraufführung am 28. April 2019 an der Deutschen Oper Berlin >>>
Weitere Aufführungen am 3., 15., 17. und 24. Mai 2019