Seit acht Jahren gehört die kleine, nur einige Schritte vom Rosa-Luxemburg-Platz entfernte Galerie mit dem Schild eines geflügelten Schweins über dem Eingang zum Markenzeichen der Torstraße. Diese Galerie heißt auf Englisch »Pigasus – Polish Poster Gallery« und hat sich der Popularisierung der polnischen Plakatkunst verschrieben. Es ist ein Ort, wo man nicht nur gute und erschwingliche Kunst sehen und bei den Ausstellungseröffnungen erlesenen Wein kosten und interessante Gespräche führen, sondern auch die mit positiver Energie geladene Atmosphäre genießen kann. Kein Wunder, denn Joanna und Mariusz Bednarski sind Menschen, die man sofort ins Herz schließt.
Von Urszula Usakowska-Wolff
»Wenn ich in unserer Galerie sitze, denke ich, dass wir es doch sehr gut haben, denn wir machen das, was wir lieben«, sagt Joanna. »An den Wänden unserer Wohnung in Szczecin, wo ich 1965 geboren wurde, hingen zwar auch Plakate, aber wir konnten damals nicht ahnen, dass wir in Zukunft eine Galerie in Berlin betreiben werden. In Polen haben wir die Poster weder bewusst gesammelt noch die Künstler persönlich gekannt. Wir gingen ins Kino und fragten an der Kasse, ob sie uns ein Filmplakat geben können, und wir bekamen es in der Tat.« Heute hat die Galerie in der Torstraße 62 in Berlin-Mitte fünftausend Motive im Angebot, was bedeutet, dass sie über mehrere Tausend Plakate verfügt! »Nach einem Tiefpunkt in den 1990er Jahren sind die polnischen Plakate wieder sehr populär und gefragt. Man spricht von einer neuen Polnischen Plakatschule«, erläutert Mariusz. »Unsere Galerie arbeitet jetzt endlich für uns, und nicht, wie früher, wir für die Galerie.«
Kuriose Erfahrung
Das Früher begann 1988, als Mariusz auf der Suche nach einem freieren Leben nach Berlin kam. »Das war seine erste Reise in den Westen«, erzählt Joasia, wie Joannas Kosename auf Polnisch lautet. »Er war fest entschlossen, in Berlin zu bleiben, denn in Polen herrschte damals eine sehr depressive Stimmung. Niemand glaubte daran, dass sich etwas ändern wird. Doch dann ist alles viel besser geworden, als wir je hofften. Einen Tag nach unserer Hochzeit 1989 zog ich dann auch nach Berlin.« Obwohl Mariusz als Spätaussiedler nach Deutschland kam, weil er in Szczytno, dem ehemaligen ostpreußischen Ortelsburg in einer Familie mit deutschen Vorfahren geboren wurde, wurde seine polnische Matura nicht anerkannt. Er musste die Abiturprüfung neu bestehen, ging mit 27 ein Jahr aufs Gymnasium, was er eine kuriose Erfahrung nennt. Danach war er Student an der FU, und zwar in einem damals neu eingeführten Fach, den Osteuropastudien. »Ich musste mein Studium vorzeitig beenden, einerseits, weil die Uni auf die neue Disziplin nicht richtig vorbereitet war und es zu wenig Kurse gab, um die erforderlichen Scheine zu bekommen, anderseits musste ich anfangen, Geld zu verdienen.« Er begann, im Polnischen Sozialrat in Kreuzberg zu arbeiten, wo er Konzerte, Theateraufführungen und Ausstellungen organisierte, wobei er viele polnische Künstler persönlich kennen lernte.
Fast ein Wunder
Ihre erste Galerie, eine ICH-AG, gründeten die Bednarskis in Schöneberg, wo Mariusz versuchte, polnische Grafik, Zeichnung und Malerei zu verkaufen: »Das war eine schöne Zeit und der Laden lief auch recht gut, doch wir konnten damit leider kein Geld verdienen, also machten wir nach anderthalb Jahren dicht. Doch wir hatten Glück, denn unser Freund Bernd Pappenfuß, der damals einer der Inhaber vom Kaffee Burger war, schlug uns vor, in einem seiner Räume, die sie als Lagerraum gemietet, aber nicht genutzt haben, unsere Galerie zu eröffnen. Für die 90 Quadratmeter, die uns dort zur Verfügung standen, sollten wir nur 250 DM zahlen, was in dieser schon zu der Zeit teuren Gegend fast an ein Wunder grenzte. Wir haben es uns nicht lange überlegt, denn wir hatten ja sowieso nicht viel zu verlieren und die Monatsmiete konnten wir, weil Joasia arbeitete, ohne große Probleme aufbringen.« Die Bednarskis zogen 2005 zwei Häuser weiter in ihre neue Galerie, wo sie heute von montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr anzutreffen sind. »Unsere Galerie erlebte Höhen und Tiefen, doch seit gut drei Jahren können wir sie zu zweit betreiben« sagt Mariusz. »Seitdem unser Internetshop richtig funktioniert, wir im Web und neben den Plakaten auch CDs mit polnischer, russischer und ukrainischer Musik verkaufen, klappt alles ganz gut.«
Wertvolle Rolle
»Pigasus« lebt von der Laufkundschaft, vom Verkauf im World Wide Web sowie von der Mundpropaganda. Mariusz erklärt: »Unsere Plakate wurden schon zweimal in eine Ausstellung aufgenommen, in der hundert beste Poster aus dem deutschsprachigen Raum in vielen Ländern der Welt gezeigt wurden, also dachten wir, dass uns die internationale Kundschaft die Bude einrennt. Das war aber nicht der Fall. Jetzt ist die Torstraße einerseits sehr populär auch unter den Touristen, andererseits kommen zu uns gezielt Sammler oder Händler, um Plakate zu kaufen. Diese tauchen dann in den USA oder Japan auf und kosten das Zehnfache dessen, was sie bei uns dafür bezahl haben. Aber das ist normal. Früher wussten wir nicht, dass es so weltweit Käufer gibt, die bereit sind, für ein polnisches Plakat viel Geld auszugeben. Neuerlich zahlte ein US-Amerikaner für ein Poster, das er im Schaufenster unserer Galerie sah, eintausend Euro und verließ sehr zufrieden die Galerie mit der wertvollen Rolle unter dem Arm. Vor kurzer Zeit besuchte uns ein Brasilianer, der genau wusste, was er kaufen will, denn er hat unsere Website aufmerksam gelesen.« Übrigens muss man nicht besonders vermögend sein, um sich ein Werk der Polnischen Plakatschule zu leisten, denn im »Pigasus« ist man ab 15 Euro dabei. Zu den Stammkunden und Freunden der Galerie gehört auch der inzwischen pensionierte Kunstlehrer Peter Jedinger, der bereits während seines Studiums an der Humboldt-Universität seine Leidenschaft für die polnischen Plakate entdeckte und mit fünftausend Exemplaren wohl über die größte Sammlung der polnischen Plakatkunst in Deutschland verfügt.
Beflügelnd und erschwinglich
»Wir wollen nichts anderes im Leben machen als diese Galerie«, sagt das (kunst)verliebte Ehepaar. »Jeden ersten Samstag im Monat eröffnen wir eine Ausstellung, die bis zum letzten Tag im Monat läuft.« In den acht Jahren seit ihrer Gründung hat die Galerie in der Torstraße mehr als 100 Ausstellungen gezeigt: Zur Hälfte konnte man dort Personale, zum anderen thematische Gruppenschauen wie zum Beispiel »Polnisches Kino im polnischen Plakat«, »Weltkino im polnischen Plakat«, »Plakatzen« oder »Verführer im polnischen und deutschen Theaterplakat« sehen. Die Plakate entwerfen die an den Ausstellungen beteiligten Künstler. Das erste stammte allerdings von dem in Polen sehr beliebten Hamburger Grafiker Andreas Torneberg, der alle Platten-Covers der polnischen Rockband Kult entwarf und dem die »Pigasus«-Eröffungsausstellung gewidmet war. Den Namen »Pigasus« dachte sich Mariusz aus: »Pegasus ist ein Symbol der hohen Kunst, wofür das Plakat nie gehalten wurde. Also ist unser geflügeltes Schwein ein Symbol der populären Kunst, die auch beflügelt, denn sie ist für alle erschwinglich.« Das Logo entwarf der Grafiker und Plakatkünstler Piotr Mordel vom Club der Polnischen Versager, auch er ein Künstler der Galerie.
Joasia und Mariusz Bednarski haben einen ganz einfachen Geschmack: Sie lieben, wie Oskar Wilde, nur das Beste. Deshalb zeigen sie in ihrer neusten Ausstellung 40 Plakate von Kaja Renkas, die 2004 mit Auszeichnung die Grafikabteilung der Akademie der bildenden Künste in Katowice absolvierte und seitdem dort als promovierte Dozentin arbeitet. Ihre subtilen und doch Aufsehen erregenden Poster, in denen sie an die Vorkriegsästhetik der Werbung anknüpft, um mit unseren Vorstellungen von der gestrigen und heutigen Popkultur zu spielen, sind die heißeste Versuchung, die es in der gegenwärtigen Plakatkunst gibt.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 11 / Mai 2011