Das Exklusivinterview mit Rolando Villazón führte für den strassen|feger Urszula Usakowska-Wolff
Señor Villazón, seit Ende der 1990er Jahre sind Sie einer der gefragtesten und beliebtesten Tenöre weltweit. Sie singen, tanzen und schauspielern, darüber hinaus führen Sie selbst Regie, treten in abendfüllenden Filmen, Dokumentationen und in Talkshows auf, moderieren eigene Fernsehsendungen, fördern junge Talente, nehmen CDs auf. Sie sind stets auf Reisen und in Bewegung. Damit nicht genug, denn Sie betätigen sich auch als Zeichner, und Sie haben vor kurzem Ihren ersten Roman »Malabares« in Spanien veröffentlicht, der 2014 auf Deutsch erscheinen wird. Wann finden Sie für das alles Zeit? Haben Sie überhaupt noch Zeit zum Schlafen, geschweige denn für ein Privatleben?
Ich habe das große Glück, dass alles, was ich tue, mir wirklich viel Spaß macht. Dadurch, dass meine Aktivitäten so unterschiedlich sind, ist mein Leben auch sehr abwechslungsreich. Meine Freizeit, und das ist besonders die Zeit, die ich mit meiner Familie verbringe, hat aber natürlich einen großen Stellenwert und bringt mir ebenso viel Freude und auch den nötigen Ausgleich. Ich denke, es gibt immer mehr Zeit, als wir denken, um die Dinge zu tun, die wir lieben. Wir müssen uns diese Zeit aber auch bewusst nehmen.
Wer oder was gibt Ihnen die Kraft, ein so aktives Leben zu führen? Was tun Sie, um immer so frisch, jugendlich, natürlich und zufrieden zu wirken? Wo tanken Sie Ihre schier unerschöpfliche Energie?
Ich schöpfe sehr viel Kraft aus meinen Begegnungen mit den vielen unterschiedlichen Menschen, die ich treffe, und letztlich auch aus meinen Aktivitäten, die ich sehr liebe. Ich gehe mein Leben meistens mit positiver Energie an, auch wenn ich natürlich Momente der Reflexion und Traurigkeit sehr wichtig finde. Wir sind schließlich nicht nur hier, um glücklich zu sein, sondern um das Beste aus dem zu machen, was uns gegeben wurde.
Sie sind in Mexico geboren, doch ein Teil Ihrer Familie stammt aus Österreich. Deutsch ist auch eine der Fremdsprachen, die Ihnen geläufig sind. Haben Sie es zuhause gelernt?
Nein, bei mir zuhause wurde kein Deutsch gesprochen. Meine Omi allerdings hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dass wir Kinder etwas von unserem deutschsprachigen Erbe mitnehmen, und hat uns auf der deutschen Schule in Mexico City angemeldet. Auf die bin ich ein paar Jahre gegangen und habe Deutsch gelernt – und lerne es heute immer noch. Es ist eine ganz schön komplizierte Sprache!
Wollten Sie schon als Kind Opernsänger werden? Wer hat Ihr Gesang- und Schauspieltalent entdeckt? Wie ist eine solche rasante Karriere überhaupt möglich und zu erklären?
Ich hatte wahrscheinlich schon als kleines Kind eine künstlerische Ader – entdeckt wurde ich aber buchstäblich, als mich der Leiter einer Kunst- und Theaterakademie für Kinder singen hörte. Da stand ich zuhause unter der Dusche. Er war der Ansicht, dass man mich fördern sollte, und so begann ich singen, spielen und tanzen zu lernen. Noch ohne konkrete Ambitionen allerdings, die kamen erst später, nachdem ich einige andere Berufe ausprobiert hatte – Clown, Lehrer und auch Ordensbruder! Schließlich entschied ich mich dann für den Gesang und begann ein Studium am Konservatorium in Mexico City. Von dort kam ich in ein Förderprogramm für junge Sänger am Opernhaus in Pittsburgh, nahm an Wettbewerben teil und machte dann so langsam Karriere. Es ging gar nicht so wahnsinnig schnell am Anfang, sondern entsprach dem typischen Karrierebeginn für einen jungen Sänger. Als ich dann ein paar erfolgreiche Debüts hinter mir hatte, ging es aber relativ schnell, dass ich bekannt wurde.
Welche Rolle spielt Literatur in Ihrem Leben. Es ist bekannt, dass Sie sehr viel lesen.
Literatur spielt eine enorm wichtige Rolle in meinem Leben, denn durch Literatur habe ich einen Zugang zur Seele der Menschen entdeckt. Als Kind und Jugendlicher erschienen mir die Charaktere, über die ich las, vielschichtiger und reicher als die Gesichter der Menschen, die ich auf der Straße sah. Wahrscheinlich, weil sie durch die großen Meister der Literatur erklärt wurden. Literatur hat mir auch geholfen, meine Augen nach innen zu wenden und mich selbst zu entdecken.
Was bedeutet Popularität für Sie? Führen Sie darüber Buch? Sammeln Sie Zeitungsausschnitte mit den überwiegend enthusiastischen und den wenigen moderateren Texten über Sie?
Nein, ich führe kein Buch und habe auch kein persönliches Museum. Manchmal gibt es sehr besondere Momente, und dann behalte ich vielleicht ein Bild oder einen Artikel, der diesen Moment einfängt. Popularität ist großartig, wenn man sie richtig einordnet – sie gibt dir künstlerische Macht und Freiheit, und vor allem die Möglichkeit, Verbindungen mit anderen Menschen einzugehen. Ich sehe es als eine meiner wichtigsten Aufgaben, Beziehungen zu Menschen zu schaffen, den Menschen etwas zu geben. Popularität kann dabei sehr hilfreich sein.
Es gibt Leute, die Sie wegen Ihres Faibles für Komik und Clownerie mit dem britischen Komiker Mr. Bean vergleichen. Ich denke aber, dass Ihnen Charlie Chaplin näher liegt. Ist es so?
Natürlich denke ich, dass Chaplin der größte Clown ist, den es je gegeben hat. Aber ich bewundere auch Rowan Atkinson als Mr. Bean sehr – es ist also so oder so ein großes Kompliment.
Wie man lesen kann, sind Sie seit 25 Jahren glücklich verheiratet, haben zwei Söhne und einen Mops. Haben Sie genügend Zeit für Ihre Familie?
Ja, ich habe glücklicherweise viel Zeit für meine Familie, da ich meine Planung danach ausrichte und immer genug freie Zeit einbaue. Wir sind einfach gerne zusammen – essen gemeinsam, spielen, gehen spazieren oder schauen einen Film. Am wichtigsten ist aber, dass wir miteinander sprechen, und das tun wir gerne und viel.
Welche Opernkomponisten lieben Sie am meisten? Was sind Ihre bevorzugten Opernhelden und Opernsänger? Gibt es einen Sänger, der Sie als Ihr Vorbild betrachten? Warum?
Ich liebe alle Komponisten, auch die, die ich gar nicht selber singe – zum Beispiel Brahms oder Wagner. In letzter Zeit habe ich allerdings eine besonders große Liebe zu Wolfgang Amadeus Mozart entwickelt. Ich habe seine Briefe verschlungen und liebe jeden Ton, den er komponiert hat. So nah habe ich mich, glaube ich, noch nie einem Komponisten gefühlt. Er ist einfach wundervoll. Es gibt viele Kollegen, in der Vergangenheit und in der Gegenwart, die ich bewundere. Ein einziges Vorbild habe ich aber nicht.
Gibt es eine Rolle, die Sie nie spielen würden?
Den Pinkerton in Madama Butterfly. Er ist einfach zu unsympathisch.
Sie haben alles: ein glückliches Familienleben, Millionen von begeisterten Fans weltweit, Ruhm, Geld, Freude an Ihrem Beruf, Sie lachen gern und zaubern den anderen ein Lächeln ins Gesicht. Sind Sie wunschlos glücklich?
Ja, ich bin sehr glücklich – und habe viel Glück gehabt. Ich hatte die Chance, eine Ausbildung zu erhalten, die meine Talente entwickelt hat. Ich habe immer wieder wichtige Menschen getroffen, die an mich geglaubt und mich gefördert haben. Dies ist ein großes Glück, und es ist keine Selbstverständlichkeit. Ich weiß das und sehe es als meine Verantwortung, zufrieden zu sein mit dem, was ich habe und mich so wenig wie möglich zu beschweren. Es ist auch meine Verantwortung, etwas abzugeben – durch Engagement, aber auch durch etwas Poesie oder auch ein Lachen, das man schenkt. Ich weiß, dass viele Menschen nicht so viel Glück im Leben haben wie ich, und Glück spielt eine so große Rolle.
Joseph Beuys meinte, alle Menschen sind Künstler. Sie sagen, dass alle Menschen Sänger sind. Echt?
Ja, das stimmt. Vielleicht sind nicht alle professionelle Sänger, aber sie sind Sänger. Genauso wie sie Clowns oder Philosophen sind, und ich glaube, dass wir alle drei Identitäten in uns suchen müssen.
Sie verbringen sehr viel Zeit auf Reisen, vor allem in Flugzeugen. Können Sie überhaupt still sitzen? Wofür nutzen Sie diese langen Reisen? Für Lesen, Schreiben, auf neue Ideen zu kommen?
Ich nutze die Zeit um zu lesen, zu schreiben, aber vor allem, um zu schlafen.
Sie sind auch als ein Mensch bekannt, der seine Bekanntheit und Zeit dafür einsetzt, um anderen Menschen zu helfen, denen es nicht so gut geht. Sie sind unter anderem Botschafter der Roten Nasen, gehen als Clown Rollo zu kranken Kindern in Krankenhäuser und bringen sie zum Lachen. Warum tun Sie das?
Der wichtigste Grund ist, dass ich einen Scheinwerfer auf diese großartige Organisation richten will, die so eine wichtige Arbeit macht. Es ist so wichtig, den Alltag in den Krankenhäusern etwas aufzuhellen und den Patienten ein Lächeln zu schenken. Diese Clowns tun das fast jeden Tag und machen so einen riesigen Unterschied im Leben der Patienten. Ich bin nur ein paarmal im Jahr dabei, was natürlich zu wenig ist. Aber durch meinen Namen kann ich dieser Organisation zu einer größeren Bekanntheit verhelfen, und das ist auch sehr wichtig.
Sie wollen jetzt offensichtlich Ihr ehrenamtliches Engagement auch auf andere Gruppen ausweiten und helfen, auf deren Probleme aufmerksam zu machen. Sie haben dem strassen|feger ein Interview angeboten, ferner eine extra für uns von Ihnen gefertigte und signierte Zeichnung, die bei einer Auktion versteigert werden und den obdachlosen oder wohnungslosen Menschen zugutekommen soll. Was hat Sie dazu bewogen? Sind Sie während Ihrer zahlreichen Aufenthalte in Berlin mit unseren Verkäufern und Verkäuferinnen in Berührung gekommen? Lesen Sie den strassen|feger?
Ja, ich habe schon Verkäuferinnen und Verkäufer getroffen und mit ihnen schöne Gespräche gehabt. Es berührt mich immer sehr, einen Menschen zu sehen, der auf der Straße lebt. Wir sind so gewöhnt an ihren Anblick, dass wir das individuelle Schicksal, die Schwere der persönlichen Situation oft gar nicht mehr wahrnehmen. Das möchte ich verändern. Viele Menschen wissen vielleicht gar nicht, dass es den strassen|feger gibt, und ich möchte dieses großartige Projekt bekannter machen. Das Leben auf der Straße ist sehr hart und niemand, der nicht auf der Straße leben möchte, sollte dazu gezwungen sein.
Können Sie sich vorstellen, bei Ihrem nächsten Berlinbesuch den strassen|feger in der U-Bahn zu verkaufen und dabei ein bekanntes Lied oder eine Arie zu singen?
Unbedingt, ja. Ich habe, ehrlich gesagt, noch nie daran gedacht, aber es ist eine tolle Idee, die ich unbedingt umsetzen will, wenn ich das nächste Mal in Berlin bin.
Erschienen im strassen|feger 26, Dezember 2013
Anfang März 2014 spendete Rolando Villazón unserem Verein mob e. V. 25000 Euro, die er in der Geburtstagssendung von »Einer wird gewinnen» erspielte. »Das Thema Obdachlosigkeit liegt mir sehr am Herzen«, sagte der Startenor. »Ich bin davon überzeugt, dass alle Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft oder sozialen Situation – ein Anrecht auf ein Leben in Würde haben. Niemand soll ausgegrenzt am Rande der Gesellschaft leben müssen und es ist unsere Pflicht, von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Der Verein mob e.V. unterhält den strassen|feger, den ich immer kaufe, wenn ich in Berlin bin und betreibt die so wichtigen Notunterkünfte für Menschen, die sonst auf der Straße leben müssen. Ich freue mich sehr, die Arbeit des Vereins zu unterstützen.« Vielen Dank, Maestro!