La maison somnole – Das Haus schlummert heißt die Ausstellung Romain Van Wissens in der Saarländischen Galerie. Die erste Soloschau des ostbelgischen Malers und Objektkünstlers in Berlin präsentiert 16 zum Teil großformatige Acrylbilder und eine mehrteiligen Installation, deren Hauptmotiv verschiedene Behausungen sind.
Am 11. Juni 2019 sprach Urszula Usakowska-Wolff mit Romain Van Wissen.
Warum spielen Häuser eine so große Rolle in Ihrer Kunst?
Das hat mit außen und innen zu tun: ein Thema, auf das ich immer wieder zurückkomme und das ich jedes Mal anders interpretiere, dem ich immer eine andere Funktion gebe. Hier ist eben die Idee, wie man ein Haus von der Funktion her ändern kann; es geht darum, was es früher war und was es werden wird. Häuser muss man sich sehr weit vorstellen: Dieses Schloss auf dem Bild Qui fait le malin tombe dans le ravin (Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein) sieht zum Beispiel so aus, als stünde es in einer Arena, aber das Schloss ist kein wirkliches Haus, es ist eine Illustration aus einem Lexikon, und in einem Lexikon macht man so viele Elemente wie möglich, damit man sehen kann, was es in einem Schloss so alles gibt. Doch dieses Schloss existiert in Wirklichkeit nicht. Es ist zugleich realistisch und fiktiv. Dieses Spiel mit wahr und nicht wahr ist auch oft bei mir vorhanden.
Geht es Ihnen darum zu zeigen, dass die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion in unserer Zeit fließend sind?
Ja, ein Beispiel dafür ist das Bild Pépite rétro futuriste mit einem Haus, das man vom Internet herunterladen kann, um daraus ein 3-D-Modell zu konstruieren. Das kann man dann zusammenlegen, selbst die Farbe bestimmen und als Dekor benutzen. Es gibt wahrscheinlich dieses Haus in der Realität, aber hier ist es eben ein virtuelles Element. Auf meinem Bild sieht dieses Haus wie ein Raumschiff aus, das unter der Decke einer russischen Metrostation schwebt. Etwas melancholisch ist Tango mortale mit Uhren, auf denen man den Ablauf der Zeit und die Sprengung einer Häuserzeile sieht. Es zeigt zugleich, dass an diesem Ort danach etwas Neues entstehen kann. Das Interessante ist, dass diese Häuser an der Küste stehen, denn ganz unten sind Schiffe zu sehen.
Beim näheren Betrachten fällt auf, dass es auf Ihren Bildern viele versteckte Details gibt, die scheinbar keinen Zusammenhang mit dem Dargestellten haben…
Für mich ist es sehr wichtig, dass man einen Gesamtbegriff bekommt, die Details aber andere Richtungen vorgeben können. Auf dem Bild Un Ersatz dérisoire (Ein lächerlicher Ersatz) ist das Haus aus ein Paar Holzbalken gemacht, es hat ein Paar Fenster, es ist ein hippieartiges Haus, eine einfache Bleibe, es sieht fast wie ein Gesicht aus. Viele Häuser haben dieses Anthropomorphische in sich.
Ihre Gemälde sehen oft wie Bühnenbilder aus. Haben Sie schon als Szenograf gearbeitet?
Nein, noch nicht, doch das würde mich interessieren. Ich habe oft Theater gemalt, und meistens sind im Hintergrund oder auf der Bühne Landschaften oder andere Elemente zu sehen: Das Spektakel, also das, was man dargeboten bekommt, ist eben diese Landschaft. Man könnte sich da setzen und schauen, wie die Landschaft fortschreitet, wie sie sich weiterentwickelt. Und auf meinen Bildern tauchen immer wieder Linien auf, denn sie haben etwas mit Bewegung zu tun.
Ist die Installation Ohne Titel ein Ausflug ins Dreidimensionale? Woher stammen die Fundstücke?
Es ist wieder das Spiel mit außen und innen, die Häuser sind klein und sehen wie Keramikziegelsteine aus. Häuser sind ja häufig aus Ziegelsteinen gebaut, und hier sind sie als Objekte, als Elemente, also Ziegelsteine sind Häuser. Für mich ist es wichtig, dass Sachen eine neue Funktion bekommen. Alle diese Objekte hier stammen aus meinem Haus in Membach. Es war früher eine Kneipe, und das ganze Mobiliar von der Kneipe war noch da, als ich es gekauft habe. Das ist ein kleiner Stuhl meiner Tochter, das ist eine Stuhlbank meiner Oma, die Objekte bekommen eine neue Funktion, sie repräsentieren vielleicht auch Personen. Personen, die im Kreis sitzen und eine Diskussionsrunde führen.
„Dans le creux de la nouvelle vague“ ist der Titel des Bildes, das Ihre Berliner Schau abschließt, auf Deutsch „An einem neuen Tiefpunkt“. Es zeigt ein einzelnes altes Haus, das auf einem sich auflösenden Bretterboden steht. Auf dem Dach haben sich Pelikane breitgemacht. Was ist damit gemeint?
Eine Insel, die der Ozean langsam verschlingt und wo die Häuser verfallen.
In der linken oberen Ecke des Bildes ist eine Hand mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger zu sehen. Sind das Gottes Finger? Ein Wink des Himmels?
Ich denke schon. Wir sollten darüber nachdenken: Wo geht es hin, was machen die Menschen mit ihrem Lebensraum?
Interview & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Romain Van Wissen
La maison somnole
11. Juni – 27. Juli 2019
Saarländische Galerie – Europäisches Kunstforum e.V.
Charlottenstraße 3, 10969 Berlin
Dienstag bis Samstag 14-18 Uhr, Eintritt frei
www.saarlaendische-galerie.eu
http://romainvanwissen.com/