Sebastian Bieniek ist ein Meister der Täuschung und des subversiven Humors. Er stellt unsere Sehgewohnheiten infrage, indem er die Wirklichkeit defragmentiert, das Bekannte verfremdet und es in einem neuen überraschenden Kontext zeigt. Er bringt zusammen, was nicht zusammen gehört, und weil die Kunst alles, na ja, fast alles möglich macht, gelingt es diesem Künstler, aus dem Nichtzusammenhängenden eine Einheit zu konstruieren. Es passt zwar nicht zusammen, was nicht zusammen passt, aber wenn es entsprechend inszeniert und in einen Rahmen gesteckt wird, wirkt die Überschreitung des Faktischen authentisch, sie wird ein Teil der Wirklichkeit, obwohl es im wirklichem, das heißt »echtem« Leben solche Transgressionen eher selten gibt.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Eine andere Art zu malen
Auch in diesen Fotografien, die zum ersten Mal in einer Galerie, also in einem realen Raum präsentiert werden, spielt Sebastian Bieniek mit der Wahrnehmung, mit gesellschaftlichen Konventionen, Geschlechterrollen und tradierten Vorstellungen. In seinem einzigartigen Universum ist nichts eindeutig, vieles ist fließend, geht ineinander über. Der Künstler arbeitet immer in Serien, die aus zehn bis 90 Fotografien bestehen, denn er ist der Meinung, dass ein einzelnes Foto jeder machen kann, wogegen eine Serie »schon mehr ein Werk, etwas Zusammenhängendes ist.« In der Ausstellung »Die Traurigkeit der Elefanten« zeigt Sebastian eine Auswahl seiner Fotografien aus mehreren Serien, vor allem aus: »Coupleations«, »Interventions«, »Man in Canvas«, »Bodyscapes« und »Undivided Divided«. Weil er von der Malerei kommt, ist für ihn das Fotografien eine andere Art zu malen: Er malt mit der Kamera. Form und Farbe, Dunkelheit und Licht – das sind alles Elemente, die in seinen Fotografien eine große Rolle spielen. Seine Fotoserien bestehen aus Porträts, Stillleben, Akten und Landschaften, mit denen er spielerisch und unkonventionell umgeht. Doch seine Porträts, wie vor allem in »Coupleations«, »Interventions« und »Bodyscapes« zu sehen, wirken auch sehr plastisch, denn der Körper ist eine Skulptur.
Verdoppelungen und Multiplikationen
Der Mensch, wie ihn Sebastian Bieniek auf seinen Fotografien darstellt, ist ein Zwitterwesen, das aus weiblichen und männlichen Elementen besteht. Die Paare verschmelzen miteinander, mal pathetisch, mal theatralisch, mal grotesk, sie sind gleichermaßen eine fragile und robuste Einheit. Der Künstler arbeitet mit Verdoppelungen und Multiplikationen. Janusköpfig sind die Porträts seiner Protagonisten und Protagonistinnen, er inszeniert sie in unbequemen Posen, häufig mit seltsam verrenkten Gliedern, er setzt einem Gesicht ein anders Gesicht oder eine Fratze auf. So entsteht ein eigentümliches Maskentheater, das einer Gauklerparade ähnelt. Was ist echt und was ist fiktiv? Ist die Wirklichkeit Fiktion oder die Fiktion Wirklichkeit? Was ist die Maske und was ist das Gesicht? Ist das Gesicht die Maske oder die Maske das Gesicht? Ist das schon Transgression – oder eine harmlose Metamorphose? Das sind nur einige Fragen, die sich beim Betrachten von Sebastian Bienieks Fotografien stellen. Nichts ist so, wie es sein sollte, denn durch eine einfache und unerwartete Intervention verändern sich das Bild und die Rezeption einer Person. Das Gewöhnliche wirkt ungewöhnlich, das Vertraute und Harmlose unheimlich, bedrohlich, auf jeden Fall anders als gewohnt.
Nichts ist eindeutig
Künstler zu sein bedeutet für Sebastian Bieniek, mit Figuren und Sachen, mit gesellschaftlichen Konventionen, Geschlechterrollen und tradierten Vorstellungen spielerisch umzugehen. Nichts ist eindeutig, denn die Welt, wie Sebastian sie wahrnimmt und darstellt, ist nicht entweder – oder, sondern sowohl als auch. Sie zeichnet sich durch eine Dualität aus: Alles ist sowohl schwarz als weiß, hell und dunkel, neu und alt, schön und hässlich, verlockend und abstoßend, chaotisch und geordnet. Bekanntlich wohnen mindestens zwei Seelen in jeder Brust. Was Sebastian in seiner Kunst und im Alltag beschäftigt, ist die multiple Persönlichkeit und die Bipolarität, die unter dem Einfluss der Virtualität entstehen und das reale Leben und die Psyche des Menschen verändern. In einer von den digitalen Medien dominierten Welt sind sich die Menschen ihrer Identität nicht sicher, sie sind gespalten in ein digitales und ein reales Sein, wobei die Grenzen zwischen den beiden Existenzformen fließend sind und häufig nicht mehr auseinander gehalten werden können, worüber er auch das Buch »Realfake« geschrieben hat.
Maler, Performer, Filmemacher und Fotograf
Sebastian Bieniek ist einer, der die Kunst der Kommunikation wie kein anderer beherrscht, und das sowohl in der realen als auch in der digitalen Welt. Seine Galerie ist der virtuelle Raum der sozialen Medien, ein riesiges Netzwerk. Seine Seite auf Facebook gefällt 500 000 Personen, auf Instagram und Tumblr folgen ihm zehntausende. Der Maler, Performer, Filmemacher und Fotograf will sich programmatisch den Regeln des Kunstmarkts nicht unterwerfen und hat Erfolg damit. Er hat alles in seiner Hand: die Produktion und die Vermarktung seiner eigenen Werke. Am 24. April 1975 im Dorf Czarnowąsy bei Opole (Polen) geboren, zog er 1989 von Oberschlesien nach Niedersachsen, studierte Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und dann an der Universität der Künste Berlin, wo er 2002 bei Katharina Sieverding einen Abschluss als Meisterschüler machte. Danach absolvierte er ein Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Mit seinen Performances und Videos, in denen er zuerst seine und die Schmerzgrenzen des Publikums auslotete, dann zunehmend die Mechanismen des Kunstmarkts, die Manipulierbarkeit der Künstler und die Vorgehensweise der Künstlermacher offenlegte, erregte er großes Aufsehen. Seine 2013 begonnene Fotoserie »Doublefaced«, die sich zuerst in den sozialen Medien ausbreitete, machte ihn international bekannt. Der Erfolg dieser Serie ist ungebrochen, sodass Sebastian Bieniek sich nur noch auf sie beschränken könnte, doch er möchte kein Gefangener seines Erfolgs werden, also versucht er immer etwas Neues, um seine künstlerische Freiheit den Regeln des Kunstmarkts nicht zu opfern.
Viele Facetten des Alltags
Obwohl Sebastian Bieniek das Internet benutzt, um für seine Kunst eine grenzenlose Aufmerksamkeit zu erreichen, stammen seine Models und Sujets, wie auf vielen der Fotografien zu sehen, aus der realen Welt, aus seiner unmittelbaren Umgebung, aus seinem Atelier, aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis, von seinen Reisen. Die Menschen auf seinen Fotografien sind zwar verfremdet, aber nicht gestylt. Sie sind authentisch, entsprechen selten dem medialen Schönheitsideal, sie sind so, wie Menschen halt sind. Ob Menschenbilder, Akte, Körper- oder Naturlandschaften – sie kommen alle aus dem Alltag. Der Alltag ist nicht nur banal und unscheinbar, wie viele von uns meinen, sondern er hat viele Facetten: Nicht nur der Teufel, sondern auch Eros steckt im Detail. Weil der Künstler die Gabe hat, das Verborgene ans Tageslicht zu holen, sieht Speiseeis auf einem seiner Fotografien ganz schön heiß aus: »Eros c´est la vie«, lautet der passende Titel. Wenn Sebastian seine Finger auf die Buchstaben des Schriftzugs »Hotel Peninsula«, eine Nobelherberge in Hongkong, legt, wird daraus ein »Hotel Penis«. Der Alltag ist erotisch, surrealistisch, suprematistisch und dadaistisch, besonders in der Serie »Man in Canvas«, in der Sebastian Bieniek zum einen mit Kunstzitaten spielt, zum anderen Abstraktion mit Figuration auf seine duale Weise in Einklang bringt. Für manche dieser Fotografien benutzt er auch Ready-mades: Bilder von anonymen Malern, die er auf Flohmärkten oder im eBay kauft und verfremdet: Ein Frauenporträt hat je zwei rotlackierte Finger in den Augen und im Mund; das Konterfei von Gorbatschow steht auf einem offensichtlich weiblichen Po; das lange Haar der Dame quillt dem einst so mächtigem Mann aus dem Mund und wirkt wie ein Bart.
Dieser Künstler ist einer, der sein Publikum gern verwirrt, indem er falsche Fährten legt. Deshalb nennt er seine Ausstellung in der Fotogalerie Friedrichshain »Die Traurigkeit der Elefanten«. Was hat dieser Titel mit dem Gezeigten zu tun? Nichts oder doch etwas? Bei Sebastian Bieniek kann man nie sicher sein. Auch das macht den Reiz seiner Kunst aus.
Text © Urszula Usakowska-Wolff
Sebastian Bieniek
»Die Traurigkeit der Elefanten«
25.03. – 06.05.2016
Fotogalerie Friedrichshain
Helsingforser Platz 1
10243 Berlin
Öffnungszeiten
Dienstag – Mittwoch 14 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 20 Uhr
Freitag – Samstag 14 – 18 Uhr