Die Blumensträuße weisen darauf hin, dass es hier vor kurzem etwas zu feiern gab. Sie schmücken ein Ambiente, in dem das Weibliche zelebriert wird. An den Wänden hängen seltsame Frauenporträts. Die darauf Abgebildeten sind einäugig, zweiäugig, blauäugig, manchmal auch janusköpfig. Ihre Hälse sind lang, ihre Konterfeis maskenhaft, verträumt, erdig. Ihre Lippen sind rot, die Leinwände bedeckt eine Schrift, die offensichtlich keine lateinische ist.
Von Urszula Usakowska-Wolff
Die Titel der Bilder geben Auskunft darüber, dass die in Rollen gezwängte und mit Klischees behaftete Weiblichkeit viele Namen und Gestalten hat: »Madonna«, »Fee«, »Mutter Erde«, »Tempeltänzerin«, »Geisha«, »Kämpferin«, »Göttin«, »Priesterin«, »Heilige Hure«, Wanderhure«, »Perserin«, »Weiße Frau«. Während die Gemälde fast schon ephemer wirken, haben die aus Stone, Zement und Gips gefertigten Büsten eine starke körperliche Präsenz. Sie versinnbildlichen Frauen, die trauern und leiden, die sich jedoch mit ihrem Schicksal nicht abfinden und den Unmut darüber laut herausschreien. Dieses facettenreiche weibliche Universum ist das Werk von Shahla Aghapour. Sie zeigt es anhand von über 70 Arbeiten in der Ausstellung »1001 Blick«, eine Anspielung auf die »Erzählungen aus 1001 Nacht«, in der ART Galerie Benakohell.
Ein weißer Fleck wird bunt
Am 31. Oktober ging für Shahla Aghapour ein Traum in Erfüllung: Sie eröffnete ihre eigenen Galerie. Eine mutige, aber auch eine weise Entscheidung, denn der Ort, den sie dafür auserkoren hat, ist bisher ein weißer Fleck auf Berlins Kunst- und Kulturkarte. Es handelt sich um die Gegend des U-Bahnhofs Scharnweberstraße in Reinickendorf, eine reine Wohngegend, kein Anziehungspunkt für Kunstfans oder Touristen. »Nachdem ich die Miete für mein Atelier in Charlottenburg nicht mehr bezahlen konnte und ein Teil der Malkurse, die ich auf Honorarbasis gegeben habe, wegen Geldmangel gestrichen wurde, war ich auf der Suche nach einer Lokalität, in der ich arbeiten, ausstellen und unterrichten kann«, sagt Shahla. Es hat drei Jahre gedauert, bis ich diesen Laden in der General-Woyna-Straße gefunden habe. Es soll zugleich eine Galerie und ein Atelier sein. Während der Renovierungsarbeiten habe ich gemerkt, dass die Leute sehr glücklich sind, dass hier eine Galerie entsteht, denn es gibt hier keine solchen Kultureinrichtung weit und breit. Neben Ausstellungen, Mal- und Kunstworkshops habe ich vor, in Zukunft auch Lesungen und Performances zu veranstalten. Wenn alles gut läuft, möchte ich einmal im Monat Kinder, deren Eltern wenig Geld haben, umsonst unterrichten.«
Frauen können mehr
Shahla ist eine Frau, die Wärme und Zuversicht ausstrahlt. Sie hat eine angenehme Stimme, spricht leise, lacht oft, trägt häufig einen Hut, der an den von Lisa Minelli im Kultfilm »Cabaret« erinnert. Doch sie hat mit dieser Filmfigur nur äußerlich ein wenig zu tun, denn ansonsten ist die Künstlerin und frisch gebackene Galeristin die Ruhe in Person. Sie ist freundlich, ehrlich und bescheiden, aber selbstbewusst und konsequent. »Ich male Frauen, weil es mir darum geht, ihnen zu zeigen, dass sie mehr können als sie denken. Sie sollen mehr an sich glauben, selbstbewusster werden, kämpfen und weitergehen. Ich möchte auch zeigen, dass Frauen, egal im welchen Land, weniger Möglichkeiten haben als Männer, um sich zu entfalten und anerkannt zu werden. Einige meiner Bilder heißen >Geisha<, das sind hochgebildete Frauen und Künstlerinnen, die Musik spielen und Gedichte rezitieren, doch sie werden nicht anerkannt, denn ihre einzige Aufgabe ist es, die Männer zu unterhalten. Dasselbe betrifft auch die Tempeltänzerinnen in Indien oder die Frauen im Orient: Frauen sind stärker und haben mehr Wissen als Männer, doch die Männergesellschaft lässt sie nicht vorankommen.«
Keine Zukunft in Teheran
Solche Ansichten vertritt Shahla Aghapour seit ihrer Jugend. Die 1958 in Teheran geborene persische Aserbaidschanerin wuchs in einem liberalen und kunstinteressierten Elternhaus auf. Sie studierte Kunst und Journalismus in ihrer Heimatstadt. Weil sie kritische Texte über die Islamische Republik, vor allem über die Unterdrückung und Entmündigung der Frauen in der Zeitung Ayandegan (Zukunft) schrieb, wurde sie 1988 verhaftet, verbrachte einige Tage im Gefängnis und flüchtete nach der Entlassung in die Türkei. Drei Monate lebte sie in Istanbul, von dort ging es mit dem Flugzeug nach Berlin, wo einer ihrer Brüder studierte: »Ich sprach kein Wort Deutsch, nur Englisch. Ich hatte vor, aus Deutschland in die USA zu gehen, das wollten damals alle Iraner. Dann habe ich gemerkt, USA ist nicht mein Fall und bin hier geblieben. Ich habe meinen Mann Michael Goldberg kennen gelernt, ich habe in Berlin Kunst studiert und fand, dass hier ein besserer Ort für Kultur ist als die USA.« So sehr sie ihr Leben in Berlin und seine freie, multiethnische und tolerante Gesellschaft genoss, so sehr vermisste sie am Anfang ihre Heimat, die sie wegen der Gefahr einer Verhaftung nicht besuchen darf: »Ja, ich hatte damals großes Heimweh und war sehr traurig, dass ich Teheran wahrscheinlich nie wieder sehen werde. Im Laufe der Zeit hat das nachgelassen. Geblieben ist Nostalgie.«
Durst auf Kunst
Nostalgisch ist auch der Name der Galerie: Benakohell. »Das ist ein Ort im persischen Aserbaidschan. Benakohell liegt in einem tiefen Tal, zwischen zwei kleinen Bergen, dort gibt es viele schöne Quellen und eine sehr schöne Landschaft. Seit über 25 Jahren war ich nicht mehr dort, aber alle meine Kindheitserinnerungen hängen mit diesem Ort zusammen. Das sind ganz schöne Erinnerungen«, sagt Shahla. Nach Benakohell ist die zukünftige Künstlerin in den Schulferien gefahren, dort hat sie als Sechsjährige ihre ersten Skulpturen gemacht: »Sie waren aus Erde aus dem Garten meiner Großeltern, kindliche Skulpturen, die ich gestaltet und damit gespielt habe. Das waren meine Spielzeuge.« Shahla ist eine vielseitige und multimediale Künstlerin, die sich zwischen Bildern und Worten, zwischen der Gegenwart und Erinnerung bewegt. Was sie nicht auf Leinwand ausdrücken kann, fasst sie in Verse: »Ich schreibe meine Gedichte auf Persisch, manchmal auf Aserbaidschanisch, dann übersetze ich sie ins Deutsch.« Persische Buchstaben und Strophen stehen auf Shahlas Gemälden. Die vielen Augen, die auf uns blicken, sind ein Spiegel der Seele. Und die Kunst kommt vom »Durst«, wie ein Poem von Shahla Aghapour heißt, in dem wir lesen: »Ich male / schaffe ein Bild / singe ein Lied / schreibe ein Gedicht / Denn ich bin durstig nach dem Geheimnis der Sehnsucht.«
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 23/2015
Shahla Aghapour
1001 Blick – Bilder und Skulpturen
Noch bis zum 8. Januar 2016
ART Galerie Benakohell
General-Woyna-Straße 1
13403 Berlin
Öffnungszeiten:
Di – Fr 14 bis 20 Uhr
Finissage und Lesung am 8. Januar 2016
um 19:30 Uhr
Buchtipp:
Shahla Aghapour
Oliver Twist in Teheran. Gedichte
Pop Verlag Ludwigsburg
Preis 13,90 Euro