Softporno und Hardcore auf Leinwand und Styropor
Softporno und Hardcore auf Leinwand und Styropor

Softporno und Hardcore auf Leinwand und Styropor

Liebe, Lust und Frust, schön gemalte Acrylbilder und kitschige Kunststoffreliefs, die um Sex und Erotik kreisen, präsentiert die Doppelausstellung »X-Rated« im Berliner me Collectors Room. Über 50 Werke von William N. Copley (1919-1996) und Andreas Slonimski (geb. 1959) zeigen das bunte Treiben der Geschlechter aus maskuliner Sicht.

Von Urszula Usakowska-Wolff

»Erotik und Sex sind wunderbar. Menschen, die das genießen, haben mehr vom Leben«, meint Thomas Olbricht. Der 63jährige Chemiker und Arzt, lange Zeit als Professor für innere Medizin und Endokrinologe am Universitätsklinikum Essen tätig, genießt den Ruf, mit über 2500 Objekten eine der größten und ungewöhnlichsten Sammlungen Europas zu besitzen, für die er ein großes Haus, den me Collectors Room in der Auguststraße 68 bauen ließ. Seit Mai 2010 können dort sowohl eine Wunderkammer mit Kunstwerken und Kuriositäten, die aus den letzten 500 Jahren stammen, als auch ausgewählte zeitgenössische Positionen einer Kollektion bestaunt werden, welche sich mit heiteren und düsteren Seiten der menschlichen Existenz, mit Sexualität, Gewalt, Leid und Tod auseinandersetzen. Für Thomas Olbricht ist leidenschaftliches Sammeln eine Sucht, die er sich als Spross und Erbe der Wella AG leisten kann. Zu seinen Sammlungsstücken, die diesmal nur das erwachsene Publikum sehen darf, gehören etliche Arbeiten von zwei Künstlern, die sich das ewig der Männlichkeit lustspendende Weibliche zum Thema gemacht haben.

Bilder von William N. Copley, Ausstellung "X-Rated", me Collectors Room Berlin, 2011. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Bilder von William N. Copley, Ausstellung „X-Rated“, me Collectors Room Berlin, 2011. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Liebesdienerinnen aus Pornomagazinen

Das Leben des etwas in Vergessenheit geratenen William N. Copley, dessen Bilder in der ersten Halle des me Collectors Room hängen, ist filmreif. Nach seiner Geburt wird er vor einem New Yorker Krankenhaus ausgesetzt und von den reichen Eheleuten Ira und Edith Copley adoptiert. Er studiert an der Yale University und ist während des Zweiten Weltkriegs Soldat in Afrika und Italien. 1946 eröffnet er eine Galerie in Beverly Hills, in der er Werke von noch unbekannten Größen des Surrealismus, unter anderem von René Magritte, Man Ray und Max Ernst ausstellt. Er verkauft keine einzige Arbeit, gibt den Kunsthandel auf, bringt sich selbst das Malen bei und verbringt mehrere Jahre in Paris. Seine Bilder und Zeichnungen, in denen er Motive aus dem Alltag aufgreift, die scheinbar einen dekorativen und naiven Charakter haben, nehmen die Pop Art vorweg. 1974 richtet ihm das New York Cultural Center die Soloschau »X-Rated« aus, in der dreißig großformatige Gemälde gezeigt werden, mit Titeln bekannter Filme und Romane wie etwa »Maltese Falcon«, »Grand Hotel« oder »Behind the Green Door« versehen, die meistens keinen Zusammenhang mit den Bildinhalten haben. William N. Copley, der sechsmal verheiratet war, führt in seiner »nicht jugendfreien«, jetzt zum ersten Mal in Europa gastierenden Schau üppige Schönheiten vor, die, ob blond, ob braun, es in bunten Matisse-Dekors sowohl miteinander als auch mit Männern treiben, oder in eindeutigen Posen zum außerehelichen Sex auffordern. Diese verführerischen Liebesdienerinnen aus Pornomagazinen, zum Objekt der männlichen Begierde und des Voyeurismus reduziert, riefen 1974 in New York keinen Skandal hervor – und werden es heute in Berlin auch nicht tun. Wohl deshalb, weil der Künstler seinen Geschlechtsgenossen einen Spiegel vorhält und sich über ihre heimlichsten Sexwünsche augenzwinkernd lustig macht. »Wenn jeder wüsste, was die da so getrieben haben, wäre das schrecklich«, lautet ein von William N. Copley überliefertes Zitat. Gestern wie heute verweisen seine Bilder mit viel Humor darauf, dass Fantasie die größte Pornografie erzeugt.

Andreas Slonimski, Bilder aus der Serie "xyz. erotic vol.", me Collectors Room Berlin, 2011. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Andreas Slonimski, Bilder aus der Serie „xyz. erotic vol.“, me Collectors Room Berlin, 2011. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Glitzer und Spritzer

Kitschig-vulgäre Hardcore-Szenen, die wie Graffitis in öffentlichen Toiletten anmuten, stellt Andreas Slonimski in seiner neuesten Werkserie »xyz. erotic vol.« dar. Über dem Eingang zur Halle, wo die mit Pastellacrylfarben und Glitzer besprühten Styroporreliefs präsentiert werden, montierte er eine weißrot gemusterte Markise, die sich auf eine Tapete aus William N. Copleys Bild »Grand Hotel« bezieht. Doch im Gegensatz zu seinem US-amerikanischen Kollegen, der aus einer Ära stammt, in der die Sexualisierung der Gesellschaft noch in den Kinderschuhen steckte, haben die kleinen, bonbonfarbenen, stellenweise glitzernden Obszönitäten des deutschen Künstlers mit Erotik nichts zu tun. Spritzende Riesenschwänze und andere Ergüsse, Atombusen, monströse Mösen und Rosetten sind Karikaturen unserer sexbesessenen Zeit. Sie drücken den Frust mit der von den Medien verordneten Lust aus – und deuten an, dass Menschen, für die Genuss kein Muss ist, wirklich mehr vom Leben haben.

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 7 / März 2011


William N. Copley und Andreas Slonimski
X-RATED
30.01.- 8. 05.2011
me Collectors Room Berlin
Auguststr. 68
10117 Berlin
Di – So 12-18 Uhr
Eintritt Wunderkammer und Ausstellung 6/4 €