Thomas Schütte: Schöne Grüße vom Meister großer und kleiner Geister im me Collectors Room Berlin
Thomas Schütte: Schöne Grüße vom Meister großer und kleiner Geister im me Collectors Room Berlin

Thomas Schütte: Schöne Grüße vom Meister großer und kleiner Geister im me Collectors Room Berlin

Er gehört zu den international bekanntesten und begehrtesten deutschen Künstlern – und ist einer, der (fast) alles kann. Der am 16. November 1954 in Oldenburg geborene und in Düsseldorf lebende Thomas Schütte zeichnet, aquarelliert, fotografiert, ätzt, knetet, modelliert, töpfert, hobelt und meißelt.

Von Urszula Usakowska-Wolff

Er lässt »Große Geister«, »Wichte« und »Frauen« aus Bronze, Stahl und Aluminium gießen, baut bizarre Architekturmodelle und echte Tee- oder Gartenhäuser für Sammler. Er findet für jedes Material das richtige Medium, und für jedes Medium das richtige Material. Er bevorzugt Techniken und Motive, die als antiquiert belächelt werden: voluminöse figurative Skulpturen, Köpfe und Vasen aus Keramik, Blumenradierungen, Porträts, Akte und mit einigen wenigen Linien skizzierte Szenen aus dem Alltagsleben. Thomas Schütte hat Freude am Formen und Gestalten, an der intellektuellen und körperlichen Arbeit, die Kunst bedeutet. Er tut also das, was in seiner Studienzeit (1973-1981) an der Kunstakademie Düsseldorf verboten und verpönt war. Kunst ist für ihn ein »ernstes Spiel«, auch mit Worten, wie man auf vielen seiner Grafiken lesen kann: »The Witzelblower«, »Laberinth«, »Nicht so laut! Hier wird gebaut!«, »Die Party Partei«, »Walkrampf«, »Blöde Blume«, »Silly Lily«, »Breite Masse« oder »Not Me«.

  • Ausstellungsansicht "Schöne Grüße Thomas Schütte, me Collectros Room Berlin, 2013/2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
    Ausstellungsansicht »Schöne Grüße Thomas Schütte«, me Collectros Room Berlin, 2013/2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Druckgrafiken und überlebensgroße Plastiken

Thomas Schütte, ein Schüler von Gerhard Richter, ist ein Widerspenstiger, der sich von der »breiten Masse« der Kunstanbieter, Kunstlobbyisten und Kunstkonsumenten nicht zähmen lässt. Eigentlich scheint er für den Kunstmarkt ungeeignet zu sein, denn er will nichts Revolutionäres erfinden und führt mit einer beeindruckenden Konsequenz vor, dass Kunst schön, dekorativ, heiter oder düster sein darf, dass sie ästhetische Bedürfnisse befriedigen kann, ohne vor der Wirklichkeit die Augen zu verschließen. Trotzdem oder gerade deshalb hat er Erfolg. Spätestens seit seiner Teilnahme an der documenta IX (1992) in Kassel, wo er auf dem Portikus des ehemaligen Roten Palais die mehrteilige Keramikplastik »Die Ankunft der Fremden« zeigte, um auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam zu machen, erfreut sich sein vielseitiges Oeuvre einer ungebrochenen Popularität. Er ist ein unglaublich produktiver Meister großer und kleiner Geister, denn er fertigt sowohl handliche Druckgrafiken und Keramiken als auch über 2,5 Meter hohe Plastiken. Für seine bis zu anderthalb Tonnen schweren Skulpturen aus der Serie »Frauen«, von denen er in den Jahren 1998-2009 sage und schreibe 18 geschaffen hat, wurde er 2005 auf der Biennale von Venedig als bester internationaler Künstler mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Auch gegenwärtig reißen sich um den in der Öffentlichkeit ungern auftretenden Mann Sammler, Galerien und Museen. Allein in diesem Herbst ist eine Auswahl aus seinem bildhauerischen und zeichnerischen Werk in drei Ausstellungshäusern: im Museum Folkwang in Essen, im Kunstmuseum in Luzern und in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen.

  • Ausstellungsansicht "Schöne Grüße Thomas Schütte, me Collectros Room Berlin, 2013/2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
    Ausstellungsansicht »Schöne Grüße Thomas Schütte«, me Collectros Room Berlin, 2013/2014. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Nichtig ist wichtig

Gut, dass es in Berlin einen Ort gibt, wo zum ersten Mal in dieser Stadt eine große Einzelausstellung des anderswo so gefeierten und geschätzten Künstlers besichtigt werden kann. Das ist der me Collectors Room in der Auguststraße 68, wo der Sammler Thomas Olbricht die von ihm erworbenen Werke Thomas Schüttes, darunter 200 Druckgrafiken aus dessen Meisterhand, zur Schau stellt. Den Schwerpunkt seiner Kollektion bildet das druckgrafische Werk, die der Künstler seit Mitte der 1990er Jahre bis heute mit unverminderter Experimentierfreude und Schaffenskraft produziert: Radierungen, Holzschnitte und Lithografien. Im Gegensatz zu seinen üppigen und robusten »Frauen«, von denen zwei – die »Stahlfrau I« und die »Bronzefrau III« – in der »Schöne Grüße Thomas Schütte« betitelten Ausstellung präsentiert werden, sind Schüttes Büttenblätter dezent, reduziert, fragil und ephemer. Wie die »Silly Lily«, eine »Blöde Blume«, die am Anfang »Gut«, doch dann kaum erblüht, schon verblüht, verwelkt und »Tot« ist: unentrinnbares »The End«. Thomas Schüttes Kunst ist von dieser Welt, denn sie befasst sich mit dem Leben, wozu das Streben, Eifern, Scheitern und Sterben gehören. Zugleich stellt er die Rolle und Bedeutung des Künstlers als eines großen Geistes und Schöpfers in Frage, indem er seine Grafikserien »Quengelware« oder »Sweet Nothings« nennt. Das ist lustig und zeugt von einer gehörigen Portion Humor, doch seine Kunst ist keine Kiste mit schön verpackten zuckersüßen Nichtigkeiten. Die kleinformatigen Papierarbeiten sind genauso wichtig wie die »Großen Geister« und andere monumentale Skulpturen, weil sie sich auch ein minderbemittelter Kunst-Fan leisten und in seine Wohnung hängen kann.

  • Thomas Schütte, Silly Lily, 1995. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
    Thomas Schütte, Silly Lily, 1995. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Melancholie und Harmonie

Thomas Schütte ist ein zeitgenössischer Klassiker, der sich der Tradition verpflichtet fühlt. Er setzt sich in seiner Kunst offensichtlich mit den Großen Meistern und Meisterinnen wie zum Beispiel Hokusai, Honoré Daumier, Henri Laurens, Amadeo Modigliani, Wilhelm Busch, Marcel Duchamp oder Louise Bourgeois auseinander. Im Mittelpunkt seines Interesses steht der Mensch, den er häufig verzerrt und verkrampft, aber immer mit viel Empathie darstellt: eine tragikomische Figur und ein Janusgeschöpf, der, wie die Keramikplastik »Doppelkopf« versinnbildlicht, gleichzeitig nach hinten und nach vorne blickt, doch in welche Richtung sein Weg auch gehen mag, führt er immer zum »The End«. Genauso einfach wie die Botschaft der Kunstwerke ist ihre Präsentation im Erdgeschoss, Treppenhaus und in der ersten Etage des me Collectors Rooms. Die Schau »Schöne Grüße« wirkt ausgesprochen klassisch, ganz und gar traditionell. Die Skulpturen stehen im Raum, die Büsten der »Wichte« säumen wie ein Fries eine Wand, die Radierungen und Zeichnungen hängen in Reihen oder Blöcken an den Wänden, die Grafikmappen liegen in Vitrinen. Keine Monitore, kein Flimmern und Rauschen, keine Lautsprecher, kein Ton. Nichts bewegt sich außer den Schritten und Blicken der Besucher und Besucherinnen, die von Bild zu Bild, von einer Plastik zur anderen wandern. Sie haben viel Zeit, um sich in aller Ruhe auf das Gezeigte einzulassen. Schüttes Werk ist geprägt von Melancholie und Harmonie, Ernst und Ironie, von Sehnsucht nach Perfektion und ewiger Schönheit. Einer Schönheit, die der Künstler auch in den gewöhnlichsten Geschichtszügen, Pflanzen und Dingen entdeckt – und nicht davor zurückschreckt, sie für alle sichtbar zu machen.

Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Erschienen im strassen|feger 23 / November 2013


»Schöne Grüße Thomas Schütte«
14.09.2013-06.04.2014
me Collectors Room / Stiftung Olbricht
Auguststraße 68
10117 Berlin

Dienstag bis Sonntag 12-18 Uhr
Einzelticket  7 Euro / ermäßigt 4 Euro
Eintritt frei bis 18 Jahre und für Hartz-IV-Empfänger

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