Komplizierte Handlungen sind nicht ungewöhnlich bei Giuseppe Verdi. Wer kann schon sagen, was er gesehen hat, wenn er aus einer Aufführung des »Troubadour« kommt? Verworrene Familiengeschichten, politische Intrigen und Machtkämpfe, wechselnde Stimmungen im Volk: das sind die treibenden Kräfte in der Oper »Simon Boccanegra«.
Der ambitionierte Plebejer Simon Boccanegra hat mit der Tochter des patrizischen Dogen Jacopo Fiesco ein Kind, Maria. Als die Mutter des Kindes von Ihrem Vater gefangen gehalten wird, kommt dieses zuerst in die Pflege einer alten Frau, nach deren Ableben in ein Mädchencollege – unter dem Namen Amelia Grimaldi. Boccanegra und Fiesco sind im Streit um die Vorherrschaft in Genua, und als Boccanegra Fiesco eine Koalition anbietet, macht der die Herausgabe des Kindes Maria zur Bedingung. Doch Maria ist verschollen. Der Streit der beiden Rivalen geht weiter. Boccanegra wird vom Volk zum Dogen gewählt und erfährt, dass seine Geliebte Maria tot ist. Amelia soll mit Boccanegras Vertrautem Paolo verheiratet werden, aber sie liebt Gabriele Adorno, der auch Doge werden will. – Genug des Wirrwarrs. Wie das alles ausgeht, sehen und hören Sie am besten selbst, denn ein Besuch dieser Oper kann nur wärmstens empfohlen werden.
Nahezu eine Männeroper
In Vasily Barkhatovs Inszenierung ist die Liebesgeschichte der Amelia/Maria eine Nebenhandlung. Zuerst geht es ihm um die Machtkämpfe der Männer. Die wiederholen sich, sowohl in den Privaträumen als auch in der Öffentlichkeit. Beide Schauplätze sind immer wieder auf der großen Drehbühne zu sehen. Barkhatov hat die Handlung aus dem 14. Jahrhundert in die Gegenwart verlegt, und es ist nahezu eine Männeroper. Nur Männer streiten um die Macht im Staat und verlieren dabei das private Glück. Das wird per Video in die Handlung eingeführt, bleibt ein Traum.
Feine Nuancen, mächtige Tutti, strahlende Sterne im Bühnenpersonal
Das Orchester der Deutschen Oper leitet Jader Bignamini ebenso souverän wie einfühlsam. Als Verdi-Spezialist gelingen ihm die feinen Nuancen ebenso wie die mächtigen Tutti. Die Musik führt die Sänger auf der Bühne, ohne sie auszuspielen. Das Orchester zeigt seit langem einmal wieder, was es kann. Auch die Solisten wissen zu überzeugen. Attilio Glaser als Adorno erfüllt alle Erwartungen, die man einem Heldentenor zutraut, hätte aber im Duett mit Maria Motolygina gern auch weichere Töne vertragen. Liang Lis Bass wird in allen Szenen der Fiesco-Rolle gerecht. George Petean in der Titelrolle führt mit weichem Bariton und stärkeren tiefen Tönen durch die Handlung, und sein Duett mit Liang Li ist einer der Höhepunkte des Abends. Ein strahlender Stern im Bühnenpersonal ist Maria Motolygina, ihr jugendfrischer Sopran hellt das düstere Machtspiel der Männerrollen auf. Den von Jeremy Bines geleiteten Chor zu loben, ist für einen Rezensenten eine müßige Sache, denn das muss er immer wieder tun. Auch diesmal löste der Chor seine gesanglichen und darstellenden Aufgaben hervorragend.
»Simon Boccanegra« an der Deutschen Oper ist vor allem ein musikalischer und gesanglicher Genuss, auch wenn Giuseppe Verdi es versäumt hat, den Sängern eine große Arie in die Rollen zu schreiben.
Text © Manfred Wolff
Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
Giuseppe Verdi
Simon Boccanegra
Deutsche Oper Berlin
Bismarckstraße 35, 10627 Berlin
Nächste Vorstellungen: 04.02., 09.02., 17.02., 19.02., 25.02.2023