Wojciech Sternak fotografiert abseits der ausgetretenen Pfade
Wojciech Sternak fotografiert abseits der ausgetretenen Pfade

Wojciech Sternak fotografiert abseits der ausgetretenen Pfade

Ein Fries zieht sich durch den Raum, auf der linken Wand bestehend aus kobaltfarbigen quadratischen, auf der gegenüber dem Eingang liegenden aus rechteckigen ockerfarbigen Bildern. Sie sind in weiße Holzrahmen und Passepartout gefasst und alle auf gleicher Höhe und mit gleichen Abständen perfekt gehängt, sodass das Auge darüber ungestört gleiten kann: Nichts lenkt vom Betrachten ab.

Wojciech Sternak am 18. März 2018 bei der Eröffnung seiner Ausstellung "Sieben Wege" im Projektraum art.endart in Berlin-Wedding. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Wojciech Sternak am 18. März 2018 bei der Eröffnung seiner Ausstellung „Sieben Wege“ im Projektraum art.endart in Berlin-Wedding.
Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Schritt für Schritt, Bild für Bild

Diese kleinen Bilder, die wie altmeisterliche Radierungen aussehen und jetzt den Projektraum art.endart in einen Ort der Stille und Kontemplation verwandeln, sind das Werk des Fotografen Wojciech Sternak (* 1979) aus Warschau. Seine Fotografien aus dem Zyklus Sieben Wege, den er 2014 begonnen hat, sind das Ergebnis eines Forschungsprozesses, in dem er Gegenden erkundet, die abseits der Ziele des Massentourismus liegen, unbedeutend oder nicht attraktiv erscheinen, weil sie sich offensichtlich durch nichts Außergewöhnliches auszeichnen: ein Campingplatz, Boote am Ufer eines Sees, eine Lichtung im Wald, ein von Gestrüpp überwucherter Turm, einige anämische Birken an einem Hang, ein Kinderspielplatz, ein Outlet mit einer überlebensgroßen Rentierfigur, die in einer Einöde stehen. Wojciech Sternak ist ein Reisender, der sich auf seine Reisen lange vorbereitet, ein Wanderer, der seine eigenen Wege geht. Der Bilderflut, die wir mit unseren kleinen digitalen Wundergeräten aufnehmen, um damit, allen anderen gleich, in virtuellen Räumen zu protzen, setzt der Künstler eine überschaubare Anzahl monochromer und unspektakulärer Bilder entgegen, die lange in Erinnerung bleiben, weil sie langsam begangen und betrachtet werden müssen: Schritt für Schritt, Bild für Bild. Wenn wir an den Bildern entlangziehen, scheinen sie sich zu bewegen und fügen sich zu einem Roadmovie zusammen, in dem wir sowohl die Rolle des Publikums als auch die der Mitwirkenden spielen.

Wojciech Sternak, Foto aus dem Zyklus "Lappland",

Ins Blaue hinein wie bei Yves Klein

Um die Aura der Länder, Landstriche und Landschaften, die er bereist oder erwandert, sinnlich greifbar zu machen, bedient sich Wojciech Sternak Fototechniken, die seine Absichten am besten ausdrücken. Sie sind, wie er sagt, »ein Medium zwischen dem Reisenden und den Rezipienten und sollen ihnen nicht nur das Bild der Welt, sondern auch die Erfahrung des Reisens vermitteln.« Somit wird die Fotografie selbst zu einem Weg, und der Betrachter zum Reisenden, der sich darauf bewegt. Wie das geht, ist im Projektraum art.endart zu sehen, wo zwei der Sieben Wege gezeigt werden. Die fotografische Reise beginnt in Lappland. Dort verbrachte Sternak mit seiner Familie einen knapp einmonatigen Urlaub, legte siebentausend Kilometer zurück. »Lappland ist der nördlichste Zipfel Europas. Hier kann der Tag ein halbes Jahr dauern. Wir haben die Ostsee vom Osten umkreist, wir haben den Polarkreis überschritten, um dann den Weg nach Süden zu nehmen: über die Lofoten, Dalarna und Dänemark«, sagt er. Die Kamera musste sich dem langsamen Rhythmus der Reise anpassen: den vielen Rastpausen auf Campingplätzen, dem Wandern durch die Wälder und an den Ufern der Seen, den langen Aufenthalten in Dörfern und Städten. Deshalb benutze er auf seiner Lappland-Reise »einen einfachen, alten Fotoapparat mit sehr langer Belichtungszeit, die sich von zwei bis über zehn Stunden erstreckte, also genau so lange dauerte wie unser Rast am jeweiligen Ort, die Mahlzeiten oder der Schlaf. « Von den knapp 70 Fotos, die er in Lappland aufgenommen hatte, wählte er 26. Und weil in Lappland zu jeder Jahreszeit die Blaue Stunden zu herrschen scheint, sind alle Bilder blau: digitale Farbprints vom analogen Negativ. Technik, Inhalt und Atmosphäre bilden in Lappland eine Symbiose – und wir staunen ob der vielen Schönheit dieser kleinen Meisterwerke der Fotografie. Und gehen in dieses Blau hinein, so ähnlich wie bei Yves Klein

Wojciche Sternak, Foto aus dem Zyklus "Monte Silentii", Albumen print, 5x7 inch format, © Wojciech Sternak
Wojciche Sternak, Foto aus dem Zyklus „Monte Silentii“, Albumen print, 5×7 inch format, © Wojciech Sternak

Aura und Albumin

Der zweite, im Projektraum art.endart gezeigte Weg trägt den geheimnisvollen Titel Monte Silentii. Zu sehen sind zwölf ockerfarbene Fotografien eines Waldes mit nackten Bäumen und laubbedecktem Boden, auf dem große Steinbrocken liegen oder archaisch anmutende Steinskulpturen stehen. Wir ahnen es: Dieser Weg läuft durch einen Ort, den eine mythische Aura umgibt. Mons Silentii – Berg der Stille, so hieß in ferner Vergangenheit der Zobten, heute Ślęża, der höchste Gipfel des Bergmassivs unweit von Wrocław (Breslau) in Niederschlesien. Dort befand sich in der Vorzeit eine heidnische Kultstätte, deren Überreste gestern wie heute eine touristische Attraktion sind. Es gibt keine Touristen auf Wojciech Sternaks Fotografien, die so wirken, als stammen sie aus der Zeit, in der dieses Medium erfunden wurde. Das ist kein Zufall, »denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist Tourismus mit der Fotografie aufs Engste verbunden, was der Albumin-Technik zu verdanken ist. Und gerade in dieser über 150 Jahre alten Technik habe ich die Abzüge gefertigt: im klassischen Format 5 x 7 Zoll.« So geht seine Reise auch an den Ursprung der Fotografie. Egal in welche Richtung der Künstler Wojciech Sternak reist: Er bewegt sich immer abseits der ausgetretenen Pfade.

Text © Urszula Usakowska-Wolff
Fotos © Wojciech Sternak

Wojciech Sternak: Sieben Wege
bis 18. April 2019
Projektraum art.endart >>>
Drontheimer Str.22/23, 13359 Berlin-Wedding
Mo-Sa 14 bis 18 Uhr, Eintritt frei

Ansprechpartnerin: Lucyna Viale
+49.1573.496.9888
art.endart@gmx.de
www.facebook.com/art.endart

Wojciech Sternak und Galeristin Lucyna Viale bei der Eröffnung der Ausstellung "Sieben Wege" im Projektraum art.endart in Berlin-Wedding am 18. März 2018. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
Wojciech Sternak und Galeristin Lucyna Viale bei der Eröffnung der Ausstellung „Sieben Wege“ im Projektraum art.endart in Berlin-Wedding
am 18. März 2018. Foto © Urszula Usakowska-Wolff