Was Frau und Mann alles aus Papier machen kann, zeigt die Messe paper positions berlin, die bereits zum sechsten Mal anlässlich des Gallery Weekends stattfindet. In der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom in der Französischen Straße, wo 52 Galerien Werke von über 140 Künstlerinnen und Künstlern präsentieren, herrscht eine entspannte Atmosphäre, wie in einer belebten lichtdurchfluteten mediterranen Piazza. Die Schau ist übersichtlich, nicht überladen, das Horror vacui ist passé, das tut mitnichten weh, die Messestände sind offen und nur knapp oder nicht voneinander abgegrenzt, sodass der Eindruck entsteht, eine vielseitige Gruppenausstellung zu besichtigen. Das reich, aber dezent gemusterte Parkett lenkt nicht ab, an vielen Stellen wirkt es wie ein gediegener Rahmen für das Gezeigte. Zu sehen ist großartige Kunst aus und auf Papier, die auch in die kleinste Wohnung passt und in den meisten Fällen auch für nicht allzu hohe Summen erworben werden kann.
Viele Arten, Papier zu gestalten
Das Papier ist geduldig, folgsam und lässt sich mannigfaltig verarbeiten und bearbeiten: Es kann geschöpft, gefaltet, geschichtet, bemalt, beschrieben, bezeichnet, bedruckt, beklebt, bestickt, ausgeschnitten, zu voluminösen oder grazilen Skulpturen geformt, gebogen und geklumpt werden. Es ist der ideale Werkstoff für Traditionalisten und Experimentierfreudige. Das alles ist in den paper positions berlin noch bis zum 1. Mai zu sehen: naturgetreue Tierdarstellungen von Svenja Schüffler (Jürgen Maaß Kunsthandel Berlin), deren Einzelheiten und altmeisterliche Ausführung durch eine Lupe betrachtet werden können. Darunter liegen die spitzen Utensilien, mit denen die Künstlerin sie fertigt. Minimalistisch und vordergründig abstrakt sind die Cut-Out-Drawings (Papier, Gouache und Acryl) Black Lines von Maija Kurševa (Māksla XO, Riga), wo sie die Leere zu konturieren scheint, um die fließenden Übergänge zwischen Stillstand und Bewegung, Form und Formlosigkeit, Begrenzung und Entgrenzung, Spannung und Entspannung zu versinnbildlichen. Ähnliche Botschaften vermittelt auch der andere Künstler der lettischen Galerie, Bodo Korsig. In den eigenartigen Reliefs aus der Serie Metamorphosen, die wie Scherenschnitte aussehen, stellt er die Natur als einen Kreislauf von Transformationen dar. Er fertigt sie aus handgeschöpftem, mit schwarzen Pigmenten gefärbtem Papier.
Scherenschnitte wie ein leeres Gitter
Ein Spiel zwischen dem Verhüllen und Enthüllen sind auch die konstruktivistischen Reliefs von Peter K. Koch (Kuckei + Kuckei Berlin), eine Mischung aus ovalen und eckigen Figuren, die sich zu Quadraten und Vierecken formen und von der Liebe des Künstlers zur Geometrie zeugen. Perfektion und irreführende Beschaffenheit sind Merkmale der farbigen Tuschezeichnungen von Felix Baxmann (Galerie Martin Mertens Berlin): Aus der Entfernung muten sie zwar wie stimmungsvolle abstrakte Pastelllandschaften an, doch aus der Nähe betrachtet wirken sie wie echte Tapisserien. Großformatige Origami-Kompositionen der iranischen Künstlerin Afshan Daneshvar (O Gallery Teheran) erinnern ebenfalls an Wandteppiche, sind zugleich ephemer und kompakt, seidig und spröde, sie leuchten in allen Schattierungen von Schwarz. Weiß und filigran sind dagegen die Scherenschnitte von Hansjörg Schneider (Galerie Nanna Preußners), aus denen er geometrische biomorphe Plastiken zaubert. Sie sind drinnen hohl wie fantasievolle Gitter für die Leere, während die Reliefs von Angela Grajcar die Oberfläche durchbrechen und die darunter liegenden Schichten offenlegen. Beeindruckend sind auch die wuchernden oder sich zu Gruppen verbindenden Gebilde auf den Zeichnungen von Daniela Wesenberg: ein Sinnbild der unsichtbaren und unerschöpflichen Kräfte der Natur.
Einsamkeit und kostümierte Belanglosigkeit
Die Messe papier positions 2022 ist ein gelungener Mix aus minimalistischen, monochromen oder fast monochromen und kontemplativen Arbeiten und solchen, deren Dynamik und Ästhetik an die Street Art anknüpft. Zu den letzteren gehören die Ölpastelle von Daniel Ekta (Galleri Thomassen Gothenburg). Er zeigt abstrahierte, fratzenhafte Menschenfiguren, die in ihren Uniformen eingesperrt sind. Vereinzelung, Pose und Isoliertheit von Menschen, Tieren und Fabelwesen ist auch das Thema der Tuschezeichnungen von Emma Kohlmann (Golestani Düsseldorf). Die Papierarbeiten von Haisal Habibi, Maliwine Stauss und Malja Zeneli (Galerie Jarmuschek + Partner, die die paper positions veranstaltet) zeigen das einsame und entfremdete Individuum, welches, in seiner Rolle und Image gefangen, sich unbewusst oder zwanghaft zur Einsamkeit und kostümierten Belanglosigkeit verurteilt.
Neu und alt ohne Vorbehalt
Wer sich eher für ältere Papierkunst interessiert, wird auch nicht enttäuscht sein. Werke der Klassischen Moderne mit lauter großen Namen gibt es bei Kunkel Fine Art München, Dr. Nöth Kunsthandel + Galerie Ansbach und Thole Rotermund Kunsthandel Hamburg), die der Klassiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind bei Malte Ueckermann (Berlin) zu sehen und zu erstehen. Seine Schau der Siebdrucke von Josef Alberts und Rupprecht Geiger zeigt, dass manche Kunst nicht altert, denn sie inspiriert und wird immer wieder aufs Neue fortgeführt, was die diesjährige paper positions berlin auch überzeugend demonstriert. Selten ist das Eintauchen in die Kunst aus und auf Papier so beglückend und erquickend wie hier.
Text & Fotos © Urszula Usakowska-Wolff
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28. April – 1. Mai 2022
Deutsche Telekom Hauptstadtrepräsentanz
Französische Strasse 33 a-c
10117 Berlin